NS-Regime Experten: Begriff "Drittes Reich" nicht ohne Weiteres übernehmen

29. März 2023, 05:00 Uhr

Die Zeit des Nationalsozialismus wird mitunter auch als "Drittes Reich" bezeichnet. Experten raten jedoch davon ab, den Begriff so zu übernehmen und zeigen Alternativen auf. Eine MDR AKTUELL-Nutzerin fragt sich, woher der Begriff kommt.

Das "Dritte Reich" bezeichnet tatsächlich den dritten Teil einer Reihe. Dirk van Laak ist Professor für die Geschichte des 19. bis 21. Jahrhunderts an der Universität Leipzig und erklärt, was davor kam: "Üblicherweise werden damit vor allem das Heilige Römische Reich Deutscher Nation als erstes Reich bezeichnet und dann das Zweite Deutsche Kaiserreich bis 1918."

Der Begriff "Drittes Reich" sei schon Ende des 19. Jahrhunderts in Büchern und Schriften aufgetaucht, sagt van Laak und ergänzt: "Meist wird er dann auf einen Autor namens Arthur Moeller van den Bruck zurückgeführt, der 1923 ein Buch über das 'Dritte Reich' schrieb und damit schon so etwas wie eine Verbindung zwischen Nationalismus und Sozialismus vorschlug."

Von den Nazis verboten

Im Dritten Reich selbst wurde der Begriff von den Nazis verboten. Es sollte stattdessen germanisches Großreich oder Großdeutsches Reich heißen. Der Begriff "Drittes Reich" habe sich aber trotzdem durchgesetzt und sei nach 1945 wieder aufgegriffen worden – vor allem durch einen Reimport aus den USA und England, wo man bis heute selbstverständlich vom "Third Reich" spreche, so van Laak.

Zentralrat der Juden rät von Verwendung ab

Jetzt höre man den Begriff auch in Deutschland wieder. Allerdings nicht von Doron Kiesel, dem Direktor der Jüdischen Akademie des Zentralrats der Juden in Deutschland: "Ich würde immer von dem Nationalsozialismus, der Terrorherrschaft oder vom nationalsozialistischen Regime sprechen. Ich würde schon, wenn ich diese Zeitepoche benenne, nicht mit verharmlosenden Zuschreibungen oder Begrifflichkeiten arbeiten."

Experten: Begriff "Drittes Reich" problematisch

Übernimmt jemand den Begriff einfach so, dann könne man vermuten, dass er oder sie auch die damit verbundene Perspektive einnimmt, so Kiesel. Oder – wie es Friedrich Markewitz, Sprachwissenschaftler an der Universität Paderborn ausdrückt: "In der Hinsicht würde man dann in Anführungszeichen so etwas wie Nazi-Sprech übernehmen."

Und das sei ähnlich problematisch wie Ausdrücke wie "Arbeit macht frei" zu verwenden. Oder von "völkisch", "Endlösung" oder "Sonderbehandlung" zu sprechen. "Das sind ja alles Ausdrücke, die von Akteuren im Nationalsozialismus gebraucht wurden", erklärt Markewitz. "Und die wir heute nicht mehr verwenden oder wenn sie verwendet werden, die dann als stigmatisierend wahrgenommen werden und es dann mediale Kritik gibt."

Wie problematisch der Ausdruck ist, komme vor allem auch darauf an, wer ihn mit welcher Absicht verwendet, so Markewitz. Das betonen auch Historiker van Laak und Doron Kiesel vom Zentralrat der Juden. Um Missverständnisse zu vermeiden raten sie, den Begriff beim Schreiben in Anführungszeichen zu setzen und beim Sprechen die Formulierung "sogenanntes Drittes Reich" zu benutzen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 29. März 2023 | 06:00 Uhr

49 Kommentare

Anita L. am 31.03.2023

Wenn man sich mal den Eintrag zum Begriff des Dritten Reiches in der Volksenzyklopädie Nr. Eins, Wikipedia, durchliest, kann man feststellen, dass die Diskussion über Bedeutung und Verwendung des Begriffs weder neu noch rein auf den deutschsprachigen Raum beschränkt ist. Es geht somit nicht darum, dass irgendeine "moderne Sprachpolizei" oder irgendwelche "woken Möchtergernwissenschaftler", "sogenannte Experten" dem armen deutschen Bürger vorschreiben möchte, wie er zu reden habe. Im Gegenteil wurde der Begriff eben schon im 19. Jahrhundert (weit vor der NS-Zeit) verwendet und läuft die Diskussion über den zu Beginn des Hitlerregimes propagandistisch genutzten, 1939 dann offiziell abgesetzten, sich jedoch im "Volksmund" gehaltenen Begriff bereits mit dem Ende der NS-Herrschaft und damit dem Beginn der wissenschaftlichen Aufarbeitung.

Norbert 56 NRW am 30.03.2023

Mich stören höchstens permanente Besserwisser und übers Maulfahrer wie auch selbsternannte Geschichtsumschreiber, bei Themen die sowas von flüssig sind...typisch deutsche Korinthen..... halt.

Anita L. am 30.03.2023

"Wenn dies jemanden stört, hat derjenige einfach Pech gehabt."

So kann man freilich auch mit anderer Menschen Ansicht und historischer Einordnung umgehen; sinnvoller empfinde ich es ja, den Begriff zwar gern weiter zu verwenden (da er sich offenbar "eingebürgert" hat), aber eben im Bewusstsein dessen, dass ein Begriff, von dem man dachte, dass dieser "schon immer so verwendet wurde", eben doch nicht so eineindeutig ist und tatsächlich von anderen Menschen - zu Recht - mit einer anderen Bedeutung verwendet wird.

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