Interview zu LGBTIQ+ Liebe sich, wer kann!

14. Februar 2023, 18:53 Uhr

Was bedeutet der Buchstabensalat LGBTIQ+ eigentlich? Für eine Reise in die Welt von Geschlecht und Sexualität wäre manchmal ein Reiseführer ganz hilfreich. Julian Wenzel ist Journalist und Host des queeren Podcats "Willkommen im Club" des Bayerischen Rundfunks und er hat sich als Autor an einem solchen Reiseführer versucht. Rebecca Haugwitz von MDR SACHSEN hat mit ihm über Herausforderungen und Erfolge einer Gesellschaft gesprochen, die zugleich progressiv sein und alle mit an Bord nehmen will.

Rebecca Haugwitz, MDR SACHSEN: Was verbirgt sich hinter LGBTIQ+?

Julian Wenzel: Das ist eine Abkürzung. Hinter jedem dieser Buchstaben steckt ein anderes Wort. Das sind alles Worte, die unterschiedliche Sexualitäten oder Geschlechtsidentitäten ausdrücken. Wir können da gerne Mal durchgehen:

  • L steht für "lesbisch"
  • G steht für "gay" im Englischen, also „schwul“
  • B steht für "bisexuell"
  • T steht für "trans"
  • I steht für "intergeschlechtlich"
  • Q steht für "queer"

Queer hat sich in den letzten Jahren so ein bisschen als Sammelbegriff durchgesetzt. Statt immer "LGBTIQ+" zu sagen, sagt man einfach nur "queere Menschen" und da zählen dann schwule Menschen dazu, genauso wie lesbische Frauen, genauso wie Transpersonen. Das steht so ein bisschen als Überbegriff. Und weil da noch viel, viel mehr dazu gehört nutzt man eben dieses Plus oder Sternchen. Das heißt dann so viel wie: Da geht noch mehr, wir könnten hier noch ganz, ganz viele Buchstaben aufführen, aber das wird dann ein bisschen zu lang. Deswegen kürzen wir es da ab.

Das klingt immer noch ganz schön kompliziert. Ich glaube, viele fühlen sich von diesem großen Spektrum, den neuen Begriffen und Möglichkeiten überfordert. Warum gibt es das Gefühl, dass das mit der Liebe und dem Geschlecht früher viel einfacher war?

Ich glaube, das hat ganz viel damit zu tun, dass es früher nicht die Begriffe gab, um Dinge zu beschreiben. Dass es zum Beispiel früher auch schon Homosexualität gab, das ist sehr ausreichend belegt. Dass es auch früher immer mal wieder Menschen gab, die Geschlechterrollen in Frage gestellt haben, die so mit "Mann" und "Frau" gespielt haben, die nicht so eindeutig dem einen oder anderen zuzuordnen waren. Das gab es auch früher schon. Es gab nur nicht diese ganz klaren Begriffe dafür und das hat sich eben über die letzten Jahre und Jahrzehnte geändert.

Insofern kann ich so ein bisschen nachvollziehen, dass es komplizierter geworden ist. Da kann ich sagen: Ja, ist es ein Stück weit, aber am Ende ist es auch nicht so schwierig. Kleines Beispiel: Heute vor drei Jahren wussten die wenigsten Menschen, was ein PCR-Test ist, was Inzidenz genau bedeutet oder was mRNA genau bedeutet. Und wir haben das auch in kürzester Zeit wegen der Corona-Pandemie schnell gelernt und wussten damit auch etwas anzufangen. Und so ähnlich ist es auch mit diesen Begriffen. Es muss sich nur ein bisschen damit auseinandergesetzt werden und so kompliziert ist es dann eigentlich gar nicht. Also ich fasse es nochmal zusammen: Letztendlich geht es um sexuelle Orientierungen, also, in wen sich Menschen verlieben – das ist so die eine Kategorie – und es geht um geschlechtliche Identitäten, also, welches Geschlecht Leute haben, welches Geschlecht Leute ausdrücken. Und das war es eigentlich auch schon. So schwierig ist es glaube ich nicht.

Und warum muss sich alle Welt jetzt mit Gender usw. auseinandersetzen? Das betrifft ja nur eine Minderheit, oder? Der WDR hat zum Beispiel erst kürzlich die Ergebnisse einer selbst in Auftrag gegebenen Studie veröffentlicht, in der es heißt, dass für fast zwei Drittel der Deutschen gendergerechte Sprache kaum eine oder gar keine Rolle spielt.

Da müssen wir jetzt erstmal die Dinge unterscheiden: Nur, weil man sich mit queeren Themen, also mit LGBTIQ+-Themen auseinandersetzt, hat das noch nichts mit gendergerechter Sprache zu tun. Es gibt auch genügend queere Leute, die gendergerechte Sprache selbst nicht gut finden. Das ist ein Thema für sich.

Zum ersten Punkt: Warum müssen sich plötzlich so viele damit auseinandersetzen, obwohl das eigentlich nur so eine Minderheit betrifft? Naja. Diese Minderheit ist dann doch am Ende recht groß, wir reden da über mehrere Millionen Menschen - allein in Deutschland. Das sind jetzt nicht so wenige. Und ich finde es den Menschen gegenüber gar nicht Mal so nett, zu sagen: "Ach, mit dir will ich mich gar nicht beschäftigen, das interessiert mich nicht." Das ist ziemlich abwertend und ich glaube, das ist auch für die Gesellschaft nicht gut.

Generell ist es gut, etwas über sein Gegenüber zu wissen und die anderen Menschen, die so um einen herum leben, zu verstehen. Also es wäre ein bisschen so, als wenn ich jetzt als hochnäsiger Bayer sagen könnte: "Ach, was interessieren mich denn die Sachsen, die paar Millionen Menschen. Ist doch eh nur eine Minderheit in Deutschland." Da werden sich jetzt wahrscheinlich auch einige denken: 'Also jetzt hör‘ aber Mal zu, das ist jetzt auch nicht fair.' Und so geht es halt auch diesen Menschen. Das ist eine Menschengruppe, in der gar nicht Mal so wenige sind, und mit denen wir alle im Laufe unseres Lebens Kontakt haben werden. Jeder Mensch wird einmal im Laufe seines Lebens mit einem schwulen Mann zu tun haben. Oder vielleicht auch mit einer lesbischen Frau. Das kann die Verkäuferin an der Käsetheke sein, das kann aber genauso auch jemand im Supermarkt sein, den man einfach nur kurz am Kassenband sieht.

Einmal im Jahr erstrahlen das Internet und die Schaufenster der Läden in allen Farben des Regenbogens, einen ganzen Monat lang. Ist das nicht schon ein großer Erfolg für die LGBTIQ+ Community?

Das ist der sogenannte Pride Month - der Monat, in dem man stolz ist, in dem queere Leute stolz sind. Im Juni ist das hier in Deutschland. Ich muss schon sagen: Ich freue mich darüber, klar. Das ist ein riesengroßer Erfolg und ich glaub das können alle Fußballfans auch nachvollziehen – wenn du irgendwo hinkommst und da hängt die Fahne deiner Heimatmannschaft, da denkst du dir so: 'Cool, das ist also jemand, der mich versteht und der vielleicht das Gleiche anfeuert‘, dann ist das ja ein cooles Gefühl und ähnlich ist das auch mit der Regenbogenfahne. Also wenn man irgendwo an einem Laden vorbeigeht und sich denkt: 'Cool, hier sind auch Leute, die das verstehen, die eine offene Tür haben für queere Leute.‘ Dann fühlt man sich da schon ein Stück weit zu Hause.

Stelle man sich einmal vor, vor 30 Jahren hätten die Leute eine Regenbogenfahne gehisst und aktiv gesagt: "Ich unterstütze Transmenschen, ich unterstütze intergeschlechtliche Menschen, ich finde es gut, dass schwule Menschen sich outen können!" – Das wäre damals halt nicht gegangen. Und dafür steht dieses Symbol ja auch.

Ein weiterer Erfolg wäre ja auch 2017 die Einführung der "Ehe für alle". Warum kämpft die LGBTIQ+-Community weiterhin für Aufmerksamkeit, was fehlt noch?

Die "Ehe für alle" ist eine rechtliche Gleichstellung gewesen. Mit der "Ehe für alle" konnten dann eben auch queere Menschen heiraten. Vorher ging ja nur die eingetragene Lebenspartnerschaft und das war jetzt nicht das Gleiche. Was rechtliche Gleichstellung angeht, gibt es aber immer noch was zu tun. Die rechtliche Anerkennung von transgeschlechtlichen Menschen ist immer noch wahnsinnig kompliziert. Es gibt ein Transsexuellen-Gesetz, das ist jetzt über 40 Jahre alt und das gilt – in leicht angepasster Form – immer noch, bis heute. Und das macht es Trans-Menschen ganz schwer, ihr Geschlecht anerkennen zu lassen und ihren Namen zu ändern. Da braucht es noch eine Reform und eine Veränderung.

Das andere ist die Aufmerksamkeit. Schön, wenn auf dem Papier rechtlich die Leute alle gleichgestellt sind. Aber wir sehen halt auch, dass in den letzten Jahren die Hassgewalt auf der Straße zunimmt. Ich lese fast jede Woche von Übergriffen gegen schwule Männer, die Händchen haltend irgendwo unterwegs waren, gegen Transpersonen – letztes Jahr in Münster: Malte, der niedergeschlagen wurde und am Ende sogar verstorben ist. Und diese Übergriffe, diese Aggressionen – sowohl auf offener Straße als auch online – man kann sich kaum vorstellen, was für ein Hass jeden Tag online über queeren Menschen ausgeschüttet wird. Hasskommentare, die sagen: 'Nehmt euch das Leben!' – solche Sachen. Wirklich schreckliche Sachen. Da muss drauf aufmerksam gemacht werden. Dass queere Menschen in Deutschland immer noch diskriminiert werden, dass sie immer noch Hassgewalt erfahren und dass es auch nicht sicher ist, dass der Status, den sich die Community inzwischen erarbeitet hat, dass die Aufmerksamkeit, die sich die Community erarbeitet hat, dass die nicht unbedingt gesetzt und für immer ist.

Wir sehen das an anderen Ländern: Es kann sich auch ganz schnell wieder anhand der Gesetzgebung etwas zurückdrehen und dann können Schwule nicht mehr so einfach Händchen haltend durch die Straßen laufen. Dann ist das vielleicht plötzlich wieder verboten. Und deswegen ist es glaube ich so wichtig für queere Menschen, sichtbar zu sein und diese Aufmerksamkeit für die Themen zu bekommen. Und an der Stelle ist es mir auch noch wichtig zu sagen: Es gibt auch noch wahnsinnig viele andere Themen, wir leben in wahnsinnig anstrengenden Zeiten. Das seh‘ ich total. Das ist halt ein Thema, um das sich gekümmert werden kann und sollte, und um das sich zum Glück auch gekümmert wird. Aber das heißt ja nicht, dass deswegen die Probleme mit z.B. Mietpreisen, die immer weiter steigen, oder mit unserer Energieversorgung oder in unserem Gesundheitssystem nicht angepackt werden können. Ich finde, wir sind in der Lage, als Gesellschaft viele unterschiedliche Themen anzupacken und gleichzeitig zu bearbeiten.

Das stimmt und das klingt auch, als stehe da noch ganz viel auf der Liste, was angepackt werden müsste. Geht es trotzdem voran?

Ja, total. Also, wenn ich heute mit 14/15-jährigen spreche, die mir dann sagen, 'Für mich war das Coming-out jetzt keine große Sache mehr', dann ist das der beste Beweis dafür, dass es eben für viele Menschen schon viel einfacher geworden ist. Es geht definitiv voran. Nichtsdestotrotz darf man auch nicht vergessen, dass für viele queere Menschen immer noch ein Coming-out ein riesiger Schritt ist, dass viele immer noch von ihren Familien und Freundeskreisen verstoßen werden, dass es queeren Menschen schwerer fällt, eine gute Arbeit zu finden, dass ein höherer Anteil an queeren Menschen obdachlos ist. Das sind alles so Punkte, die zeigen: Es geht voran, aber es gibt auch noch viel zu tun. Und genau deswegen wird halt viel über diese Themen gesprochen, weil viele Menschen in der Gesellschaft glaube ich das Gefühl haben, dass da etwas angepackt werden kann und dass sich was verändern kann.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Dienstags direkt | 14. Februar 2023 | 20:00 Uhr

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