Ein Angeklagter wird in Stuttgart-Stammheim beim Beginn eines Prozesses um Reichsbürger, die mutmaßlich einen Umsturz in Deutschland geplant haben sollen, in den Gerichtssaal geführt. 
Blick auf die Anklagebank. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Pool | Bernd Weißbrod

Mutmaßlicher Staatsstreich Prozess gegen "Reichsbürger"-Gruppe um Prinz Reuß gestartet

29. April 2024, 18:10 Uhr

Mutmaßliche "Reichsbürger" sollen einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant haben. Nun hat am Stuttgarter Oberlandesgericht in Stammheim der erste von drei Prozessen gegen die Gruppe begonnen. Es ist einer der größten Terror-Prozesse in der Geschichte der Bundesrepublik.

Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen hat am Montag in Stuttgart der erste von drei Prozessen gegen die mutmaßliche "Reichsbürger"-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß begonnen. Vor dem Oberlandesgericht (OLG) im Stuttgarter Stadtbezirk Stammheim müssen sich neun der insgesamt 27 Verdächtigen vor Gericht verantworten. Sie gelten als "militärischer Arm" der Gruppe. Den Beschuldigten werden die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens vorgeworfen.

Im Prozess in Stuttgart wollen sich zwei der Angeklagten zu den Vorwürfen der Bundesanwaltschaft äußern. Sie seien bereit, Angaben zur Person und zur Sache zu machen, sagten die beiden Angeklagten am Montag. Ein weiterer Angeklagter kündigte an, Angaben zur Person, aber nicht zur Sache machen zu wollen. Die restlichen sechs Angeklagten wollen zunächst überhaupt keine Angaben machen. Wann die beiden Angeklagten aussagen sollen, steht noch nicht fest.

Ein Angeklagter wird in Stuttgart-Stammheim beim Beginn eines Prozesses um Reichsbürger, die mutmaßlich einen Umsturz in Deutschland geplant haben sollen, in den Gerichtssaal geführt.  5 min
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Gericht lehnt Verfahrens-Aussetzung ab

Wegen des großen Andrangs vor dem Gerichtsgebäude startete das Verfahren vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht mehr als eine Stunde später als geplant. Weitere Prozesse folgen ab 21. Mai in Frankfurt am Main gegen neun führende Mitglieder der Gruppe sowie ab 18. Juni in München. Dort stehen schließlich die übrigen Verdächtigen vor Gericht. Einer der ursprünglich 27 Angeklagten ist inzwischen gestorben.

Der Präsident des Stuttgarter Oberlandesgerichts, Andreas Singer, sprach im Vorfeld von einem der "größten Staatsschutzverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik". Er begrüßte die Aufteilung der Verfahren auf drei Prozesse: "Wir wollen nicht in irgendeiner Turnhalle einen Schauprozess abziehen, sondern müssen uns mit den Individuen auseinandersetzen."

Die Verteidigung hingegen kritisierte, dass an drei verschiedenen Orten gegen die Gruppe verhandelt werden soll und hat deswegen eine Aussetzung des Verfahrens gefordert. Die Erkenntnisse aus den jeweils anderen beiden Verfahren seien schwer zu berücksichtigen. Das OLG hat eine Aussetzung des Verfahrens sowie die Zusammenlegung der Prozesse abgelehnt.

"Reichsbürger" Die sogenannten Reichsbürger in Deutschland behaupten, dass das Deutsche Reich (1871-1945) weiter existiert. Die Bundesrepublik und ihre Gesetze erkennen sie nicht an.

Gruppe wollte staatliche Ordnung gewaltsam abschaffen

Die Beschuldigten waren im Dezember 2022 bei einer Anti-Terror-Razzia der Polizei in mehreren Bundesländern sowie im Ausland festgenommen worden. Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft hat die mutmaßliche "Reichsbürger"-Gruppe um Prinz Reuß gewaltsame Umsturzpläne verfolgt. Demnach wollte sie die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland beseitigen und sie durch eine eigene Staatsform ersetzen. Ihr Plan sei es gewesen, mit einer bewaffneten Gruppe in das Reichstagsgebäude in Berlin einzudringen und Abgeordnete festzunehmen. Dabei soll die Gruppe bewusst auch Tote in Kauf genommen haben.

Die Gruppe soll Zugriff auf ein "massives Waffenarsenal" gehabt haben, unter anderem 382 Schusswaffen, 347 Hieb- und Stichwaffen sowie 148.000 Munitionsteile.

Grundzüge für neue Staatsordnung standen bereits

Die Gruppe hatte der Bundesanwaltschaft zufolge die Strukturen für eine eigene Staatsordnung bereits in Grundzügen ausgearbeitet. Als Staatsoberhaupt sollte demnach Heinrich XIII. Prinz Reuß fungieren. Auch Ressorts einer möglichen Regierung seien schon verteilt gewesen. So sollte die ehemalige Berliner Richterin und frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann für Justiz zuständig sein.

Zentrales Gremium der Gruppe war laut den Ermittlern ein "Rat". Eine Übergangsregierung hätte mit den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkriegs eine neue staatliche Ordnung in Deutschland verhandeln sollen. Für den mutmaßlich geplanten Umsturz seien gezielt auch Soldaten und Polizisten angesprochen worden. Unter den Beschuldigten, die ab Montag in Stuttgart vor Gericht stehen, ist auch ein Soldat des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr.

Strenge Sicherheitsvorkehrungen – Angeklagte hinter Glas

Die in Stuttgart Angeklagten sollten der Bundesanwaltschaft zufolge die mutmaßlich geplante Machtübernahme mit Waffengewalt durchsetzen. Dafür sei bereits mit dem Aufbau von mehr als 280 militärisch organisierten Verbänden, sogenannten Heimatschutzkompanien, begonnen worden.

Die neun Angeklagten, die seit ihrer Festnahme in Untersuchungshaft sitzen, werden in Stuttgart von 22 Anwälten verteidigt. Fünf Richter sowie zwei Ergänzungsrichter leiten das Verfahren. Die Angeklagten sitzen in abgetrennten Bereichen hinter dicken Glasscheiben. Über Mikrofone können sich mit ihren Verteidigern sprechen.

Ein Angeklagter wird in Stuttgart-Stammheim beim Beginn eines Prozesses um Reichsbürger, die mutmaßlich einen Umsturz in Deutschland geplant haben sollen, in den Gerichtssaal geführt. 
Auftakt des "Reichsbürger"-Prozesses in Stuttgart Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Pool | Bernd Weißbrod

Verhandlung in Stuttgart bis 2025 geplant

Für das Staatsschutzverfahren in Stuttgart unter dem Vorsitz von Joachim Holzhausen sind bis Januar 2025 zahlreiche Prozesstermine angesetzt. OLG-Präsident Singer berichtet von insgesamt 400.000 Blatt Ermittlungsakten um die Reuß-Gruppe, die 700 Ordner füllten. Mehr als 300 Zeugen sollten gehört werden, darunter allein 270 Polizeibeamte.

Ende 2022 war die Bundesanwaltschaft bundesweit gegen die mutmaßlichen Verschwörer vorgegangen. Ein Schwerpunkt des Einsatzes war Bad Lobenstein im Saale-Orla-Kreis in Ostthüringen. Dort in der Nähe besitzt Heinrich XIII. Prinz Reuß ein Jagdschloss, in dem er sich auch mehrfach aufgehalten haben soll.

Bewaffnete und vermummte Polizisten und ein Polizeifahrzeug stehen während einer Razzia auf einer Straße in Bad Lobenstein. 1 min
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Die Bundesanwaltschaft geht bundesweit gegen ein mutmaßliches militantes Verschwörer-Netzwerk vor. Es soll einen Staatsumsturz geplant haben. Ein Schwerpunkt der Razzien ist Bad Lobenstein in Thüringen.

Mi 07.12.2022 12:49Uhr 01:04 min

https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/ost-thueringen/saale-orla/video-razzia-reichsbuerger-bad-lobenstein100.html

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Aus diesem Grund wurden das Schloss und weitere Wohn- und Geschäftsräume von der Polizei durchsucht. Dabei wurde der Thüringer Norbert G. festgenommen und später von der Bundesanwaltschaft angeklagt. Ende März allerdings teilte eine Sprecherin des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit, dass der 73-Jährige gestorben sei. Zur Todesursache wollte sie sich nicht äußern.

Faeser kündigt harte Gangart gegen Rechtsextreme an

Bundesinnenministerin Nancy Faeser kündigte vor dem Prozess eine anhaltende Härte gegen Rechtsextreme an. "Wir werden unsere harte Gangart weiter fortsetzen, bis wir militante "Reichsbürger"-Strukturen vollständig offengelegt und zerschlagen haben", erklärte die SPD-Politikerin am Sonntag. Keiner in dieser extremistischen Szene sollte sich sicher fühlen. Die Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß sei das bislang größte Terrornetzwerk von Reichsbürgern. Es zeige die Stärke unseres Rechtsstaats, dass die Angeklagten nun vor Gericht stünden, so Faeser.

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dpa (mbe)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 28. April 2024 | 14:09 Uhr

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