Drei Männer mit dunkeln Haaren arbeiten an Sicherungskästen. Sie tragen hellblaue T-Shirts und Blaumänner.
In Deutschland fehlen immer mehr Fachkräfte. Besonders betroffen sind das Handwerk und die Pflege. Bildrechte: picture alliance / Monika Skolimowska/dpa-Zentralbild/dpa | Monika Skolimowska

Fachkräftemangel DIW-Chef Fratzscher warnt vor sozialen Verwerfungen

20. Mai 2023, 17:17 Uhr

Der Fachkräftemangel in Deutschland wird immer mehr zum Problem für Wirtschaft und Gesellschaft. Dieser Ansicht ist der Ökonom und DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Arbeitsminister Hubertus Heil sucht nach Lösungen. Er will junge Menschen für das Handwerk gewinnen und im Ausland um Fachkräfte etwa für die Pflege werben.

Der Fachkräftemangel könnte ein existenzielles Problem für zahlreiche Unternehmen und damit zu einer Gefahr für die Wirtschaft in Deutschland werden. Das sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, der "Augsburger Allgemeinen". Zugleich warnte er vor sozialen Spannungen durch den Fachkräftemangel.

Fratzscher sagte: "Wir haben schon heute mit fast zwei Millionen offener Jobs ein erhebliches Fachkräfteproblem, das primär auf die Demografie und die sinkende Zahl an Menschen im erwerbstätigen Alter zurückgeht." Das Problem werde sich in den kommenden zehn Jahren massiv verschärfen. Die Politik müsse entschiedener handeln. Fratzscher zufolge sollte die Zahl erwerbstätiger Frauen steigen. Zudem sprach er sich für eine bessere Qualifizierung und eine stärkere Zuwanderung aus.

Mit Blick auf mögliche soziale Spannungen erklärte der DIW-Chef: "Eine Bevölkerungsstruktur, bei der immer weniger beruflich aktive Menschen für immer mehr inaktive Menschen mitarbeiten, ist nicht primär wegen einer geringeren Wirtschaftsleistung oder abnehmender Produktivität ein Problem, sondern weil es zu Verteilungskonflikten zwischen diesen Gruppen führt."

Der Wirtschaftswissenschaftler Enzo Weber von der Uni Regensburg rechnet damit, dass Deutschland bis 2035 durch den demografischen Wandel weitere sieben Millionen Arbeitskräfte verliert.

Heil will in Brasilien um Pflegekräfte werben

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil kündigte unterdessen an, angesichts des Fachkräftemangels in der Pflege unter anderem den Blick nach Brasilien richten zu wollen. Der SPD-Politiker sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung", er wolle in Ländern um Pflegekräfte werben, "in denen es mehr junge und gut ausgebildete Menschen gibt, als der dortige Arbeitsmarkt aufnehmen kann". Im Rahmen dieser Strategie werde er im Juni mit Außenministerin Annalena Baerbock nach Brasilien reisen. Dort sei das Potenzial an Arbeitskräften in der Pflege besonders groß. Darüber hinaus gebe es Absprachen mit Indonesien und Mexiko. Heil betonte, man wolle aber keinem Land Arbeitskräfte wegnehmen, die es selber brauche.

Wir werden dabei sehr sensibel vorgehen, damit wir keinem Land die Arbeitskräfte nehmen, die es selber braucht.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil

Die Stiftung Patientenschutz sieht die Pläne skeptisch. Vorstand Eugen Brysch sagte, der Mangel an Pflegekräften sei zuallererst ein innerdeutsches Problem. "Das werden auch die wenigen zusätzlichen hundert brasilianischen Pflegerinnen und Pfleger nicht lösen." Die Anwerbezahlen nichteuropäischer Arbeitskräfte seien seit mehr als zehn Jahren sehr ernüchternd.

Junge Menschen für Handwerk begeistern

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will neben dem Werben um Fachkräfte im Ausland auch das Handwerk in Deutschland stärken und mehr junge Menschen zu einer Ausbildung bewegen. Dabei setzt er auch auf die Eltern. Heil sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung", inzwischen mache die Hälfte eines Jahrgangs Abitur. Oft drängten Eltern die Kinder danach zum Studieren. Etliche müssten das Studium abbrechen. Das sei keine gute Entwicklung. Heil erklärte: "Deutschland braucht nicht nur Master, sondern auch Meister." Handwerkspräsident Jörg Dittrich hatte vor kurzem erklärt, dass dem Handwerk derzeit knapp 40.000 Auszubildende fehlen.

Warum gibt es den Fachkräftemangel?

Zum einen stellt der demografische Wandel die Wirtschaft vor große Herausforderungen. Mit den "Baby-Boomern" gehen viele Erwerbstätige in den kommenden Jahren in Rente. Die freien Stellen können durch junge Menschen aufgrund geburtenschwacher Jahrgänge nicht ausgeglichen werden. Auch dass viele Menschen in Teilzeit arbeiten, ist ein Problem. Dies betrifft vor allem Frauen, die für Familie und Haushalt ihre Arbeitszeiten reduzieren.

Aber auch durch eine zu hohe Arbeitsbelastung entscheiden sich Menschen für ein Teilzeit-Modell. In der Folge fehlen die Arbeitskräfte, um alle Schichten ausreichend zu besetzen.

Die Lösungsmöglichkeiten sind vielfältig

Ein Ansatz ist, Menschen aus Teil- in Vollzeitarbeit zu bringen. Stellschrauben sind hier bessere Arbeitsbedingungen beispielsweise in der Pflege oder eine bessere Kinderbetreuung. Ein Lösungsansatz ist zudem die Gewinnung von Arbeitskräften aus dem Ausland. Hierfür hat die Bundesregierung eine Reform des Einbürgerungsrechts beschlossen. Auch die Vier-Tage-Woche wird als neues Instrument zur Gewinnung von Fachkräften wahrgenommen.

KNA, epd, AFP (jas/aju)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 20. Mai 2023 | 08:00 Uhr

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