Bagger vor Müllberg
414 Millionen Tonnen Abfälle mussten 2020 bundesweit entsorgt worden, darunter auch mehrere Millionen Tonnen Verpackungsmüll aus Kunststoff. Bildrechte: picture alliance/dpa | Bernd Thissen

Dokumentation Wie viel Plastikmüll wirklich wiederverwertet wird

21. Juni 2022, 10:19 Uhr

Die meisten Menschen in Mitteldeutschland trennen den Müll, sortieren ihn mehr oder weniger sorgfältig und bringen Wertstoffe zu Sammelstellen. Doch was passiert mit den Wertstoffen wirklich? Gelangen sie zurück in die Kreisläufe? Eine ARD-Doku zeigt ernüchternde Fakten unter dem Label Recycling.

Die Menschen in Mitteldeutschland haben im Corona-Jahr 2020 mehr Verpackungsmüll hinterlassen als der Bundesdurchschnitt. Die meisten Kilo Verpackungsmüll pro Kopf fielen in Sachsen-Anhalt mit 91 Kilogramm an, informiert das Statistische Bundesamt. Mehr Verpackungsmüll verursachten nur die Rheinland-Pfälzer (94 Kilo) und die Menschen in Mecklenburg Vorpommern (91 Kilo).

Eingesammelter Verpackungsmüll in Mitteldeutschland (pro Kopf) im Jahr 2020
Bundesland Verpackungsmüll/pro Kopf
Bundesdurchschnitt 78 kg
Sachsen 85 kg
Thüringen 85 kg
Sachsen-Anhalt 91 kg

Quelle: Statistische Bundesamt (Destatis) 2022

Was passiert mit dem Verpackungsmüll?

Laut Umweltbundesamt in Dessau (UBA) verwertet die Abfallwirtschaft die gesammelten Kunststoffabfälle nahezu vollständig. 2019 hatte sie 46 Prozent aller gesammelten Kunststoffabfälle werkstofflich und weniger als ein Prozent rohstofflich verwertet. "53 Prozent der Abfälle wurden energetisch verwertet", informiert das UBA. Heißt: Diese Plastikmüllmengen landeten als Brennmaterial in Öfen und Heizanlagen. Die Übersicht für 2019:

  • Von 6,28 Millionen Tonnen aller Kunststoffabfälle bundesweit wurden 2,93 Millionen Tonnen (46,6 Prozent) werk- und rohstofflich genutzt.
  • 3,31 Millionen Tonnen (52,8 Prozent) wurden in Müllverbrennungsanlagen für Strom und/oder Wärmeerzeugung verbrannt oder kamen als Ersatzbrennstoff für fossile Brennstoffe in Zementwerke oder Kraftwerke.
  • 40.000 Tonnen, etwa 0,6 Prozent der Kunststoffabfälle, kamen laut UBA auf Deponien.

Aus Klima- und Umweltschutzsicht ist es wichtig, mehr Kunststoffabfälle werkstofflich zu verwerten.

Umweltbundesamt in Dessau

Was bedeutet werkstoffliches und rohstoffliches Recycling? Unter werkstofflichem Recycling werden Verfahren verstanden, bei denen die Struktur nicht wesentlich verändert wird und der Kunststoff als Material erhalten bleibt.

Beim rohstofflichen Recycling wird mittels chemischer Verfahren die Struktur des Kunststoffs in ihre einzelnen chemischen Grundbausteine zerteilt. Abhängig vom Verfahren des chemischen Recyclings können die Produkte dessen dann als Grundstoffe in der Industrie verwendet werden. Quelle: Umweltbundesamt

Kopfschütteln bei Insidern

Die Statistiken bewertet der Politikinsider auf EU-Ebene, Helmut Maurer, kritisch. In der ARD-Dokumentation "Die Recyclinglüge" sagt Maurer, der seit mehreren Jahren für die Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission arbeitet: "Das, was die Bürger immer glauben, was Recycling eigentlich sei, nämlich der Ersatz virginer* Rohstoffe in der Produktion, der findet nur marginal statt." Und: "Recycling ist nicht das, was wir glauben."

*Mit virginen Rohstoffen sind neue Kunststoffe aus frischem Erdöl/Rohöl gemeint. Wiederverwertete Kunststoffe werden auch Rezyklate genannt (Anmerk. d. Red.).

Experte: "Recycling ist nicht das, was wir glauben"

Nach Meinung von Maurer und anderen Kritikern liegt die wirkliche Recyclingquote nur zwischen fünf und sieben Prozent. Dieser Anteil habe sich auch nicht innerhalb von 30 Jahren des Grünen-Punkt-Systems in Deutschland nennenswert erhöht.

Das, was die Bürger immer glauben, was Recycling eigentlich sei, nämlich der Ersatz virginer Rohstoffe in der Produktion, der findet nur marginal statt. Recycling ist nicht das, was wir glauben. Es ist nicht eine Methode, um virgine Rohstoffe einzusparen. Wir haben es nicht geschafft, mehr als sieben Prozent virginer Materialien zu ersetzen durch Rezyklate.

Seit 1991 lesen auch die Verbraucherinnen und Verbraucher in Mitteldeutschland auf Plastikverpackungen das Wort recycelbar. Heißt: Es wäre im Materialkreislauf wiederverwertbar. "Aber wenn es eine Mischung ist aus verschiedenen Plastiksorten, dann können Sie es nicht recyceln — oder nur unter sehr, sehr hohem Aufwand. Und den Aufwand macht sich niemand“, erklärt der Chemieexperte bei Greenpeace Deutschland, Manfred Santen, in einer Analyse von Deutschlandfunk Kultur. Man glaube ja immer, dass das, "was wir da fein säuberlich verpacken oder in die Gelbe Tonne geben, recycelt wird. Das stimmt aber nicht."

Wo landet Müll aus Plastik noch überall?

Wertstoffe, die nicht wieder verwendet werden, landen entweder auf Mülldeponien innerhalb der EU, beispielsweise in Bulgarien, auf anderen Kontinenten oder zerschreddert in den Heizöfen von Zementfabriken. Das zeigt die ARD-Doku am Beispiel der Zementfabrik Dema in Thüringen. Deren Betreiber bekommen Geld vom Plastik-Entsorger, damit sie ihm die zerhäckselten Müllmengen abnehmen. Der Entsorger liefert außerdem das Heizmaterial direkt in die Fabrik - das die Bundesbürgerinnen und -bürger zuvor bereits über das Grüne-Punkt-System bezahlt haben.

Das Milliardengeschäft mit dem Müll in Deutschland - Bundesweit arbeiten rund 280.000 Menschen in etwa 10.000 Unternehmen, um Abfälle zu sammeln, zu sortieren und wiederzuverwerten.
- Private Entsorgungsunternehmen erwirtschafteten 2019 einen Umsatz von 39,5 Milliarden Euro.
- Der Branchenumsatz speziell der Recyclingwirtschaft lag 2019 bei 14,5 Milliarden Euro.

Quelle: Statista

MDR (kk)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 20. Juni 2022 | 13:54 Uhr

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