Deutschland | Polen Tacho-Manipulationen hinter der Grenze: "Kilometerstand nicht mehr nachvollziehbar"

10. Mai 2019, 12:03 Uhr

Den Kilometerstand zu manipulieren, um den Wert eines Autos zu steigern, ist illegal. In Polen soll jetzt mit einem neuen Gesetz gegen Manipulationen vorgegangen werden. Dieses tritt 2020 in Kraft und sieht Strafen von bis zu fünf Jahren Haft vor. Unser Autor hat herausgefunden, wie unweit von Zorzelec, der polnischen Nachbarstadt von Görlitz, Tachostände manipuliert werden – gar nicht weit weg von der Grenze zu Deutschland.

"Für uns ist das Organisierte Kriminalität. Sie gehören zu den Gruppen von Autodieben. Jeder hat dort bestimmte Aufgaben", sagt Oberst Mariusz Sokolowski von der Kriminalpolizei Warschau. Und eine Aufgabe sei es, die Kilometerstände von Autos nach unten zu manipulieren. Das geschieht jedoch nicht nur bei gestohlenen Fahrzeugen, die dann gewinnbringend weiterverkauft werden sollen. Dieser "Service" wird häufig auch von Autobesitzern genutzt, die den Wert des eigenen Pkw steigern wollen, denen der Weg nach Holland jedoch zu weit ist. Dort ist die sogenannte Tachojustierung mehr oder weniger legal.

Unsere Fahrt ins polnische Zgorzelec über Görlitz dauert von Dresden aus hingegen nur zwei Stunden. Noch fünf Kilometer weiter kommen wir in einen kleinen Vorort von Zgorzelec. Rund 2.000 Menschen wohnen hier, darunter auch Raimund (Name geändert). Er ist Kfz-Mechatroniker mit einer eigenen Werkstatt. Und er ist Experte für Tachojustierung. "Bei einem richtigen Profi wie mir bezahlen Sie so um die 500 Euro. Und dann ist der Kilometerstand nicht mehr nachvollziehbar. Keine Chance", sagt Raimund, der gutes Deutsch spricht.

Den Kilometerstand halbieren

Sein Hof wirkt aufgeräumt und entspricht überhaupt nicht dem Klischee polnischer Autodiebe oder deren Umfeld. Einige Kundenfahrzeuge stehen auf dem Gelände, zwei moderne Werkstatthallen zeugen von Professionalität. In eine dieser Hallen fahren wir mit unseren 7 Jahre alten Mercedes C220. Tatsächlicher Kilometerstand: rund 130.000. Raimund will uns zeigen, wie einfach er diesen Kilometerstand manipulieren kann. "Wie viele Kilometer sollen drauf?", fragt er. Wir entscheiden uns für knapp die Hälfte: "62.500!" Raimund zeigt uns ein kleines Gerät, dass er über die sogenannte OBD-Dose mit dem Fahrzeug verbindet. Er kann jetzt in das Motorsteuergerät des Mercedes schauen, in das "Gehirn" der Limousine. Dort ist auch der Kilometerstand hinterlegt, der auf dem Tacho angezeigt wird: 130.162. Und dieser Kilometerstand wird nun auch auf dem Gerät angezeigt, das Raimund mit dem Fahrzeug verbunden hatte: "Also ich lösche den aktuellen Kilometerstand und tippe jetzt 62.500 ein." Nur wenige Momente später erscheint auf dem Tacho des Fahrzeugs ein neuer Kilometerstand: 62.490. Diese kleine Abweichung von 10 Kilometern sei normal, erklärt uns der polnische Kfz-Mechatroniker.

Illegale Wertsteigerung

Doch der tatsächliche Kilometerstand ist nicht nur im Motorsteuergerät für die Anzeige auf der Instrumententafel hinterlegt, sondern noch in vielen anderen Steuergeräten im Fahrzeug. Das ist sehr unterschiedlich, bei einigen sogar im Steuergerät für die Batterie. Auch diese müssen geändert werden für den perfekten Betrug. "Ja natürlich. Da bin ich grad dabei", sagt Raimund und schließt jetzt einen Laptop an das Fahrzeug an. "Hier sorgt jetzt eine spezielle Software dafür, dass auch in allen anderen Steuergeräten der Kilometerstand so angepasst wird, dass er mit dem auf dem Tacho übereinstimmt. Das dauert jetzt etwas." Nach einer halben Stunde ist der Fall erledigt. Raimund will jetzt noch die in den Speichern hinterlegten Servicedaten anpassen, dann ist er fertig. "So. Bitte schön. Mit jedem Schlüssel noch mindestens 15 Kilometer fahren. Weil der alte Stand im Schlüssel auch noch gespeichert ist", gibt uns Raimund noch mit auf dem Weg. Unser Mercedes hat gerade einen Wertzuwachs von 4.500 Euro erfahren. Da lohnt sich eine Investition von 500 Euro.

Das ist ein Geschäft. Das ist sogar ein großes Geschäft

Mariusz Sokolowski, polnische Kriminalpolizei

Mariusz Sokolowski ist Kripo-Mann bei der zentralen polnischen Ermittlungsgruppe CBS: "Wir haben sehr oft bei den organisierten Banden solche Computer für ganz verschiedene Marken gefunden." Und mit der Software lassen sich alle Steuergeräte komplett manipulieren. Von Raimund erfahren wir noch, wer hauptsächlich seine Kunden sind: "Also Privatpersonen eher weniger. Die gibt es natürlich auch. Aber es sind größtenteils Händler." Dazu würden auch Autohändler aus dem nahe gelegenen Deutschland gehören. Dort fahre er auch persönlich hin.

Dieses Thema im Programm: MDR JUMP bei der Arbeit | 26. März 2019 | 10:45 Uhr

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