Sensibilität gestiegen Tausende Verdachtsfälle von Kindeswohlgefährdung

25. November 2022, 18:07 Uhr

In Sachsen-Anhalt sind 2021 mehr als doppelt so viele Verdachtsfälle von Kindeswohlgefährdung gemeldet worden wie 2012. Die Mehrzahl der rund 5.000 Fälle hat sich nicht bestätigt, oft war aber dennoch Hilfe nötig. Die Linksfraktion fordert, Jugendämter und Jugendarbeit zu stärken, damit diese den Verdachtsfällen nachgehen können.

In Sachsen-Anhalt werden immer mehr Verdachtsfälle auf Kindeswohlgefährdung geprüft. Das zeigt die Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion. Demnach hat sich die Zahl der Prüfverfahren innerhalb von neun Jahren mehr als verdoppelt. Während 2012 noch rund 2.300 Verdachtsfälle geprüft worden seien, seien 2021 etwas mehr als 5.000 entsprechende Verfahren eingeleitet worden.

Oft bleibt es beim Verdacht

Wie das Statistische Landesamt bereits im Sommer mitgeteilt hatte, ist das ein neuer Höchststand in Sachsen-Anhalt. Im Vergleich zum Vorjahr seien fast 330 Fälle mehr gemeldet worden. Die meisten Verdachtsfälle seien in Halle (rund 900) und im Kreis Mansfeld-Südharz (rund 750) gemeldet worden. Mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen sei jünger als sieben Jahre alt gewesen, fast 500 von ihnen jünger als ein Jahr. Jungen und Mädchen seien ungefähr gleich häufig betroffen gewesen.

Was ist eine Kindeswohlgefährdung?

Eine akute Kindeswohlgefährdung liegt laut Gesetz vor, wenn "das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet" sind und die Eltern "nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden."

Als akut wird die Kindeswohlgefährdung laut einer Erklärung des Statistischen Bundesamtes eingeschätzt, wenn ein Kind bereits geschädigt worden ist oder seien Sorgeberechtigten es nicht mehr davor schützen können. Von einer latenten Gefährdung ist demnach auszugehen, wenn diese nicht ganz auszuschließen ist. Das sei beispielsweise dann der Fall, wenn das Kind Verletzungen habe, die darauf hindeuten, die Eltern eine Kindeswohlgefährdung aber abstreiten.

Wird eine Kindeswohlgefährdung festgestellt, kann ein Gericht dem Gesetz zufolge Maßnahmen anordnen, von Kinder- und Jugendhilfe bis hin zum Entziehen des Sorgerechts.

Anlaufstellen für Kinderschutz in Sachsen-Anhalt

  • Der Kinderschutzbund bietet Kindern und Eltern Hilfe und Beratung an. Das Kinder- und Jugendtelefon ist über die 08001110333 von Montag bis Samstag, 14 bis 20 Uhr, erreichbar. Das Elterntelefon ist montags bis freitags 9 bis 11 Uhr sowie zusätzlich dienstags und donnerstags 17 bis 19 Uhr über die 08001110550 erreichbar.
  • Das Zentrum "Frühe Hilfen" bietet Unterstützung für werdende Eltern und Familien mit kleinen Kindern.
  • Die Kassenärztliche Vereinigung des Landes bietet online eine Übersicht über Gesetze, Anlaufstellen und Hilfsangebote.

1.300 Fälle von Kindeswohlgefährdung

Der Verdacht der Kindeswohlgefährdung hat sich der Landesregierung zufolge in rund 1.300 Fällen bestätigt. Auch das sei ein neuer Höchststand. In fast 690 Fällen hätten die Jugendämter eine akute Kindeswohlgefährdung festgestellt, in knapp 640 Fällen eine latente.

Bei der Mehrzahl der Verdachtsfälle, rund 2.100, habe man keine Kindeswohlgefährdung, aber einen Hilfebedarf erkannt. In knapp 1.600 Fällen habe weder eine Kindeswohlgefährdung vorgelegen, noch sei weitere Hilfe nötig gewesen.

Linke fordert mehr Personal für Jugendämter

Die Linksfraktion im Landtag sieht in den Zahlen einen Beleg dafür, dass sowohl die Bevölkerung als auch Schulen und Kitas eine höhere Sensibilität für mögliche Kindeswohlgefährdung entwickelt haben. "Lieber einmal mehr melden als zu wenig", sagte die Abgeordnete Monika Hohmann am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. Um die Fälle zu bearbeiten, bräuchten die Jugendämter mehr Personal. Außerdem forderte Hohmann mehr Angebote für Jugendliche, vor allem im ländlichen Raum.

Vergangene Woche hatte der Landtag einen Flächenfaktor für die Jugendarbeit in Sachsen-Anhalt beschlossen. Durch diesen werden die Gelder nicht mehr nur nach der Anzahl der Kinder und Jugendlichen verteilt, sondern auch nach der Flächengröße einer Kommune. Hohmann kritisierte, dass diese Entscheidung viel zu spät gekommen sei.

MDR (Ronald Neuschulz, Maren Wilczek), dpa

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 25. November 2022 | 17:00 Uhr

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