Kinder sitzen beim Sportunterricht auf einer Bank
Manche Kinder müssen in Sachsen-Anhalt sogar auf die Aufnahme in den Sportverein warten. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Rolf Vennenbernd

Interview "Fatal" – Sportvereinen fehlen wegen Corona die Übungsleiter

08. August 2022, 20:42 Uhr

Gerade Kinder und Jugendliche drängen wieder in Sachsen-Anhalts Sportvereine – doch können sie zum Teil gar nicht aufgenommen werden. Denn: Es fehlen die Übungsleiter. Tobias Knoch, der Vorstandsvorsitzende des Landessportbundes, spricht im Interview über das Problem und mögliche Lösungen.

MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Knoch, warum würden Sie gerade Übungsleiter bei einem Sportverein in Sachsen-Anhalt werden?

Tobias Knoch: Weil es jetzt wieder richtig losgeht. Wenn du auf die Sportplätze und Sporthallen schaust, siehst du überall Bewegung. Kinder und Jugendliche vor allem, die lange in der Wohnung gesessen haben und sich wieder bewegen wollen. Da braucht es jemanden, der sie anleitet. Das würde mich schon motivieren, in einen Verein einzutreten und den Kindern etwas beizubringen.

Warum machen Sie es dann nicht?

Bei mir ist das ein zeitliches Problem. Ich habe jetzt gerade hinbekommen, dass ich selbst wieder ein bisschen sportlich aktiv sein kann. Aber als Trainer, das lässt mein Beruf beim LSB nicht zu, weil mir als Vorstandsvorsitzender gar nicht so viel Zeit übrig bleibt.

Zur Person

Tobias Knoch arbeitet seit zwei Jahren als Vorstandsvorsitzender des Landessportbundes Sachsen-Anhalt. Als solcher steht er regelmäßig im Austausch mit den Vereinen, aber auch beispielsweise mit Akteuren der Politik. Der Schwerpunkt seiner Arbeit bislang: Sachsen-Anhalts Sportvereine durch die Corona-Pandemie zu manövrieren.

Welche Gründe gibt es für den Mangel an Übungsleitern?

Zum einen fehlte während der Pandemie lange die Motivation. Wenn du lange nicht im Verein aktiv bist und das gesellschaftliche Zusammentreffen nicht hast, dann geht die Bindung verloren. Jetzt ist da wieder ein anderes Denken da, weil man sich wieder treffen und einbringen kann. Aber auf der anderen Seite haben während der Corona-Zeit auch ganz viele Menschen entdeckt, was es links und rechts noch so gibt und widmen sich eher neuen Dingen als dem ehrenamtlichen Engagement.

Aber Übungsleiter haben den Vereinen doch schon immer gefehlt, oder?

Ja, aber die Corona-Zeit hat das Ganze noch einmal beschleunigt. Wir haben rund 2.000 Übungsleiterinnen und Übungsleiter verloren. Wir haben ja sowieso schon immer Schwierigkeiten, Nachwuchs zu finden, was Trainerinnen und Trainer angeht. Und jetzt ist ein großer Teil auch noch weggebrochen.

Was bedeutet das denn ganz konkret für Vereine, aber auch Kinder und Menschen, die Sport im Verein treiben wollen?

Zum Glück kommen ja wieder immer mehr Kinder und Jugendliche in die Vereine. Aber teilweise kann dann kein Angebot geschaffen werden, weil Kinder da sind, die Sport treiben möchten, aber der Übungsleiter oder die Übungsleiterin fehlt. Und das ist natürlich fatal. Wir möchten ja, dass mehr Bewegung in Sachsen-Anhalt möglich ist.

Kinder wollen Sport im Verein treiben, aber können es nicht, weil die Übungsleiter fehlen – was ist das für ein Gefühl?

Das motiviert mich, an dieser Sache zu arbeiten. Weil mich das natürlich ärgert. Ich finde es bedauerlich, zu sehen, dass es viele Kinder und Jugendliche gibt, die gerne wollen, es aber an den Rahmenbedingungen fehlt. Im Zusammenspiel auch mit der Politik müssen wir also für bessere Rahmenbedingungen sorgen. Wenn wir im Land unterwegs sind, wird immer wieder berichtet, dass es Wartelisten für Kinder und Jugendliche gibt, ehe sie aufgenommen werden können. Zwar nicht flächendeckend, aber es gibt sie. Und das ist der schlimmste Fall.

Ist der Mangel an Übungsleitern eher ein Problem in der Stadt oder auf dem Land?

Das ist ein flächendeckendes Problem. Natürlich gibt es die Schwerpunkte bei den Verluste der Übungsleiter bei den größeren Vereinen in Halle und Magdeburg. Aber dass uns Ehrenamtliche, vom Platzwart bis zum Vorstandsmitglied, verloren gehen, das gibt es überall.

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MDR SACHSEN-ANHALT Fr 05.08.2022 14:00Uhr 00:22 min

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Was können Vereine tun, um Übungsleiter für sich zu gewinnen?

Wir haben verschiedene Möglichkeiten ausgelotet, wie wir das finanziell unterstützen können, damit die Vereine bessere Rahmenbedingungen anbieten können. Aber es muss natürlich auch die große Ansprache vom Verein an seine Mitglieder sein, wieder in den Verein zu kommen mit ihren tollen Angeboten zu werben, um dann auch wieder mehr Übungsleiter zu gewinnen.

Wie unterstützt der Landessportbund diese Vorhaben?

Der LSB unterstützt auf verschiedenen Ebenen: Zum einen auf der politischen Ebene, so haben wir im Juni zusammen mit dem Innenministerium eine Corona-Pauschale an die Vereine ausgezahlt. Da gab es 15 Euro pro Kind und zehn Euro pro Erwachsenem. Dann unterstützen wir auch Trainerlizenzen mit jeweils 100 Euro. Und den Wachstum der Mitglieder werden wir auch nochmal beziffern.

Das Zweite ist: Wir versuchen natürlich, mental zu unterstützen in Sachen Werbung. Und zwar gibt es die Initiative "Comeback des Vereinssports", wo man verschiedene Motive gemeinsam mit dem LSB auswählen kann. Man bekommt auch einen Druckkostenzuschuss und kann eben Werbung machen mit seinen Bildern und seinen Vereinsmitgliedern und dafür werben, dass die Leute zurück in den Verein kommen.

Und das Dritte ist eine ganz andere Geschichte: Nicht nur mit dem Innenministerium, sondern auch mit dem Bildungsministerium fördern wir Sport- und Bewegungscamps. Gerade jetzt im Sommer und in den Herbstferien werden ja viele Camps angeboten. Dort unterstützen wir auch. Da stehen 150.000 Euro zur Verfügung.

Manche Vereine wünschen sich eine Entbürokratisierung und wünschen sich zum Beispiel, dass es nicht für jede Altersklasse eine Übungsleiterlizenz braucht. Wie stehen Sie dem gegenüber?

Wir stehen für Qualität, deshalb gibt es das Lizenz-System im Sport. Viele Fachverbände möchte diese Qualität widerspiegeln, damit die Eltern sicher sind: Der Trainer hat eine Lizenz und dementsprechend ist mein Kind dort gut aufgehoben. Andererseits gibt es über diese Lizenzen hinaus viele Ehrenamtliche, die keine Lizenz haben, aber sich trotzdem engagieren und einbringen dürfen. Auch für die werben wir natürlich.

Warum wird es in zwei Jahren ausreichend Übungsleiter in Sachsen-Anhalts Sportvereinen geben?

Ich sehe, dass die Corona-Pandemie dafür gesorgt hat, dass sich ganz viele Vereine über ihre Schwächen und Stärken Gedanken gemacht haben. Da ist viel passiert. Da wird sich neuen Ideen gewidmet. Dieser Drive, der jetzt reingekommen ist, lässt mich hoffen, dass wir diese Zeit, die uns nachhaltig geschädigt hat, in Zukunft wieder umkehren können.

Die Fragen stellte Daniel George.

MDR (Daniel George)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 08. August 2022 | 19:00 Uhr

2 Kommentare

Gohlis am 09.08.2022

Nicht wegen Corona haben wir diese Probleme, sondern wegen der Coronamaßnahmen. Bei uns in Sachsen war einmal 7 Monate und dann noch einmal 3 Monate Sport in Gruppen verboten - wird in Sachsen-Anhalt nicht viel anders gewesen sein. Da ist die erfreuliche Meldung in diesem Interview noch, dass viele Kinder und Jugendliche in Sachsen-Anhalt wenigstens weiter Sport treiben wollen. Bei uns sind leider viele ausgeschieden und betreiben jetzt wahrscheinlich eSports... Die langfristigen gesundheitlichen Folgen (mangelnde körperliche Fitness, Adipositas etc.) sind erschreckend und es gab zu keinem Zeitpunkt eine Rechtfertigung für diese evidenzfreien Maßnahmen.

hansfriederleistner am 09.08.2022

Das war doch vorauszusehen. Wenn man den Amateursport und Jugendsport auf Null runter fährt, ist doch auch der ganze Übungsleiteranteil abgebaut worden.Wie viele ehemaligen ehrenamtlichen Trainer haben die Nase voll von der Gängelei von unsportlichen Politikern.

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