Ein Campingwagen mit der Aufschrift Spiritul Science Research Foundation
Im Sommer 2021 hat die SSRF ein früheres Hotel in Allrode gekauft. Mit diesem Campervan, der auf dem Grundstück steht, brechen Anhänger der Gruppe regelmäßig zu "Spirituellen Touren" durch Deutschland auf. Bildrechte: MDR/Lucas Riemer

Spiritual Science Research Foundation Religiöse Gemeinschaft im Harz hat Kontakt zu teils terroristischen Fundamentalisten

18. Juli 2022, 18:37 Uhr

Im vergangenen Jahr kaufte ein Guru-Kult namens "Spiritual Science Research Foundation" (SSRF) ein altes Hotel in Allrode im Harz. Nun zeigt sich: Die SSRF hat offenbar Verbindungen zur fundamentalistischen Organisation Sanatan Sanstha. Anhängern dieser Gruppe werden in Indien Mord- und Terroranschläge im Zeitraum zwischen 2007 und 2017 vorgeworfen.

Rund ein Jahr ist es her, dass eine hinduistisch inspirierte Glaubensgemeinschaft namens "Spiritual Science Research Foundation" (SSRF) eine frühere Hotelanlage am Rande des Örtchens Allrode im Harz kaufte. Schon im Herbst 2021 berichtete MDR SACHSEN-ANHALT über die Gruppe, die auf ihren Web-Kanälen Endzeitszenarien eines bevorstehenden Dritten Weltkrieges verbreitet und offenbar Verbindungen zur hindunationalistischen Organisation Sanatan Sanstha unterhält. Mehreren Anhängern von Sanatan Sanstha wird in Indien von dortigen Medien eine Beteiligung an Mord- und Terroranschlägen im Zeitraum zwischen 2007 und 2017 vorgeworfen. Sanatan Sanstha weist diese Vorwürfe zurück.

Nun gelang es Reportern von exactly, die Verbindungen der SSRF zur hindunationalistischen Sanatan Sanstha nachzuzeichnen und mit einer ehemaligen Anhängerin der SSRF zu sprechen, die mehrere Monate in einem Ashram der SSRF in Indien gelebt hat.

Rückblick: Im Herbst 2021 sind Reporter von MDR SACHSEN-ANHALT erstmals vor Ort in Allrode, besuchen einen Tag der offenen Tür bei der SSRF und sprechen mit Cyriaque Vallee und Bhavana Shinde, zwei zentralen Personen in der Gruppe. Sie relativieren die Weltuntergangsprognosen, die die SSRF über ihre Webkanäle verbreitet, als Metapher und berichten, dass der Hotelkomplex zu einem Seminar- und Tagungszentrum der SSRF umgebaut werden soll. Im Frühjahr 2022 solle mit Workshops begonnen werden, kündigen sie an.

Ein altes Gebäude
Dieses Gebäude ist Teil des früheren Hotelkomplexes in Allrode, der nun der SSRF gehört. Bildrechte: MDR/Lucas Riemer

Auffällig: In dem Gebäude der SSRF steht prominent ein Foto von Jayant Athavale, dem Gründer der in Indien aktiven Gruppe namens Sanatan Sanstha. Dieser sei eine "Inspirationsquelle der SSRF", sagt Cyriaque Vallee,  Guru der Gruppe in Allrode. Die SSRF und Sanatan Sanstha seien jedoch rechtlich getrennte Organisationen.

Kein Platz für Demokratie?

Sanatan Sanstha gilt in Indien als hindunationalistische Organisation und steht damit weit rechts auf dem politischen Spektrum. "Der politische Hindunationalismus in Indien hat das Ziel, eine harmonische Hindugesellschaft in Indien zu etablieren. Das ist ein politisches Ziel, was im Kern darauf zielt, dass nur Hindus als Mitglieder des Volkskörpers harmonisch zusammenleben”, sagt Pierre Gottschlich, der sich als Politikwissenschaftler an der Universität Rostock mit der Kultur und Politik in Indien beschäftigt.

"Athavale selbst hat das Ziel ausgerufen, Indien zu einer reinen Hindunation zu machen, zu einer Hindu Rashtra, idealerweise bis 2025. Und eine solche Hindu Rashtra bedeutet, dass dort religiöse Minderheiten keinen Platz haben. Es bedeutet auch, dass Demokratie, zumindest in einem westlich-liberalen Verständnis, dort keinen Platz hat”, sagt Gottschlich.

Schwere Vorwürfe gegen Sanatan Sanstha

Indische Medien werfen mehreren Anhängern von Sanatan Sanstha die Beteiligung an vier Bombenanschlägen in den Jahren 2007 bis 2009 sowie mehrere Morde zwischen 2013 und 2017 vor. Die Mordopfer, darunter die Investigativjournalistin Gauri Lankesh, hatten sich gegen ein hindunationalistisches Indien ausgesprochen. Sanatan Sanstha weist diese Vorwürfe zurück.

Was man allerdings sagen kann, ist, dass Sanatan Sanstha und ihr Guru und Führer Jayant Athavale in Indien in den letzten Jahren enorm zu der Verstätigung eines Klimas des Hasses beigetragen haben.

Pierre Gottschlich, Politikwissenschaftler und Indienexperte

Die Recherchen von exactly zeigen nun, dass die Verbindungen der Gruppe in Allrode zu Sanatan Sanstha offenbar deutlich enger sind, als SSRF-Guru Cyriaque Vallee zugeben will. So lädt die SSRF auf ihrer Website Anhängerinnen und Anhänger zu Workshops an der "Maharshi University of Spirituality" im indischen Bundesstaat Goa ein, deren Gründer Jayant Athavale ist. Fotos belegen, dass in demselben Gebäude offenbar auch der Ashram, also eine Art Tempel, von Sanatan Sanstha ist.

Dazu kommt: Auf einem Hinweisschild vor dem Gebäude steht, wer darin anzutreffen ist. Das Schild nennt Sanatan Sanstha – und verweist außerdem auf die Website der SSRF. Und dann gibt es auf der Website von Sanatan Sanstha sogar ein Foto aus dem Jahr 2017, das SSRF-Guru Vallee auf einer Veranstaltung der hindunationalistischen Organisation zeigt.

Nach monatelanger Suche gelingt es den exactly-Reportern, eine ehemalige Anhängerin der SSRF ausfindig zu machen, die bereit ist, über ihre Erfahrungen in der Gruppe zu sprechen. Die Aussteigerin hat längere Zeit in einem Ashram der SSRF in Indien gelebt. Es handelt sich um den Ashram in Goa, in dem offenbar auch Sanatan Sanstha sitzt. Die Aussteigerin sagt, dass sie dort auch SSRF-Guru Vallee getroffen habe.

SSRF-Aussteigerin packt aus

Und sie berichtet von strengen Regeln: So sei es in dem Ashram etwa verboten, Fleisch zu essen, Alkohol zu trinken und andere als spirituelle Musik zu hören. Die Gläubigen müssten unbezahlte Arbeit leisten, sogenannte "Seva-Dienste", Frauen dürften zudem ihre Haare nicht offen tragen. Als sie die Gruppe eines Tages verlassen wollte, habe man sie unter Druck gesetzt, weiter Seva-Dienste zu leisten, so die Aussteigerin.

Dem widerspricht Cyriaque Vallee, als exactly-Reporter ihn im Juni in Allrode wiedertreffen, um ihn mit den Recherchen zu konfrontieren. Anhängerinnen und Anhänger könnten jederzeit frei kommen und gehen. Der SSRF-Guru ist da erst seit ein paar Tagen aus Indien zurück. Vallee bestätigt, dort auch Sanatan Sanstha-Gründer Jayant Athavale getroffen zu haben. Er betont jedoch nachdrücklich, dass es sich bei der SSRF und Sanatan Sanstha um getrennte Organisationen handele. Anhängerinnen und Anhänger der SSRF kämen lediglich als Gäste in den Ashram von Sanatan Sanstha. Jayant Athavale bezeichnet er erneut als "Inspirationsquelle."

Angesprochen auf den angeblich bevorstehenden Dritten Weltkrieg, vor dem die SSRF auf ihren Web-Kanälen warnt, relativiert Vallee das Endzeitszenario: "Wir sagen den Menschen nur: ein Konflikt kann möglicherweise passieren. Was ja auch passiert, wie wir sehen. Wir sagen nur, wie du an dir selbst arbeiten kannst, um stabil zu bleiben.”

Vallee bestätigt in dem Gespräch, dass auch in Allrode unbezahlter Seva-Dienst der Gläubigen üblich sei, und dass es in dem Ashram verboten sei, Fleisch und Alkohol zu konsumieren oder Rockmusik zu hören. Dass Frauen ihre Haare nicht offen tragen dürfen, begründet der Guru mit "negativen Vibrationen", die dadurch übertragen würden.

Etwa zehn Anhängerinnen und Anhänger der SSRF befinden sich auf dem Gelände des Ashrams in Allrode, als die exactly-Reporter dort im Juni Cyriaque Vallee treffen. Doch sowohl die Gebäude als auch die Außenanlagen haben sich seit dem ersten Besuch im Herbst 2021 kaum verändert. Von dem angekündigten Umbau zum Seminar- und Tagungszentrum ist zumindest von außen betrachtet nichts zu erkennen. Entgegen der damaligen Ankündigung hätten auch noch keine Workshops in Allrode stattgefunden, sagt Vallee. Dies solle aber bald passieren.

Anwohner aus Allrode vermuten noch im Mai, die SSRF könnte sich mit der Bewirtschaftung des weitläufigen früheren Hotelkomplexes übernommen haben. Doch kurz darauf haben Nachbarn plötzlich Kaufanfragen für ihr Grundstück im Briefkasten. Absender: mutmaßlich Anhänger der SSRF.

MDR-Redakteur Roland Jäger
Bildrechte: Philipp Bauer

Über Roland Jäger Roland Jäger arbeitet seit 2015 für den Mitteldeutschen Rundfunk – zunächst als Volontär und seit 2017 als freier Mitarbeiter im Landesfunkhaus Magdeburg. Meist bearbeitet er politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen – häufig für die TV-Redaktionen MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE und Exakt – Die Story, auch für den Hörfunk und die Online-Redaktion.

Vor seiner Zeit bei MDR SACHSEN-ANHALT hat Roland Jäger bei den Radiosendern Rockland und radioSAW erste journalistische Erfahrungen gesammelt und Europäische Geschichte und Germanistik mit Schwerpunkt Medienlinguistik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg studiert.

MDR SACHSEN-ANHALT-Reporter Lucas Riemer
Bildrechte: Magnus Wiedenmann

Über Lucas Riemer Lucas Riemer arbeitet seit Juni 2021 bei MDR SACHSEN-ANHALT. Der gebürtige Wittenberger hat Medien- und Kommunikationswissenschaft in Ilmenau sowie Journalismus in Mainz studiert und anschließend mehrere Jahre als Redakteur in Hamburg gearbeitet, unter anderem für das Magazin GEOlino.

Bei MDR SACHSEN-ANHALT berichtet er vor allem über gesellschaftliche und politische Themen aus den Regionen des Landes.

MDR (Roland Jäger, Lucas Riemer)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Exakt – Die Story | 20. Juli 2022 | 20:45 Uhr

6 Kommentare

Thommi Tulpe am 19.07.2022

"... schon der Hinduismus ist hierzulande erklärungsbedürftig ...".
Warum? In Deutschland ist Religionsfreiheit garantiert. Das gilt laut Grundgesetz auch für den Hinduismus.

Freies Moria am 19.07.2022

Wenn bei wichtigeren Themen genauso intensiv recherchiert würde, dann ginge es langsam in Richtung Auftragserfüllung des MDR.
Hintergründe, die den meisten Lesern unbekannt sind, dürfen dabei tiefgründig aufgearbeitet werden - schon der Hinduismus ist hierzulande erklärungsbedürftig, denn erst daraus erschließt sich die Tatsache, daß es im Grunde eine Familie von Religionen ist, die sich in einem gemeinsamen Grundgerüst bewegen.

Nachdenker am 18.07.2022

Ein sehr interessanter Bericht und eine sehr akribische Recherche der beiden Reporter, die allerdings nicht viel Wissen über den Hinduismus haben. Ob die unterstellte "Boshaftigkeit" wirklich besteht, kann ich nicht prüfen.
Es wäre aber schön und enorm wichtig, wenn man diese Akribie auch gegenüber den anderen (beim MDR unter dem Thema gelisteten und vom Verfassungsschutz beobachteten) gefährlichen religiösen Gruppen im Sendegebiet aufbringt. Da es sich aber außer Scientology ausschliesslich um Gruppen einer bestimmten anderen Religion handelt, bei der jegliche Kritik gleich als ...phobie oder Rassismus gebrandmarkt wird, fürchte ich, wird das so wohl nicht passieren. Ich würde mir wünschen, daß die Reporter auch dazu mutig und umfassend berichten !

Mehr aus dem Harz

Mehr aus Sachsen-Anhalt