Bundesweite Studie Besonders viele Alkoholtote in Sachsen-Anhalt

11. Oktober 2022, 15:40 Uhr

Im bundesweiten Vergleich sind in Sachsen-Anhalt 2020 die zweitmeisten Männer und Frauen pro 100.000 Einwohnern an Erkrankungen gestorben, die ausschließlich durch Alkohol verursacht werden. Bei der Zahl der Jugendlichen und Kinder, die mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus behandelt wurden, liegt Sachsen-Anhalt auf Platz 3 im Ländervergleich. In einer MDR-Talkrunde berichtete am Montag ein Rettungssanitäter, dass etwa ein Drittel der Einsätze im Zusammenhang mit Alkohol stehen.

Im bundesweiten Vergleich sind im Jahr 2020 überdurchschnittlich viele Menschen, insbesondere Männer, an durch Alkohol verursachten Erkrankungen verstorben. Das geht aus dem Alkoholatlas 2022 hervor, den das Deutsche Krebsforschungszentrum in der Helmholtz-Gesellschaft herausgibt. Dazu gehören die Alkoholische Leberkrankheit oder die alkoholinduzierte Entzündung der Bauchspeicheldrüse.

Rettungssanitäter: Jeder dritte Einsatz wegen Alkohol

Nach Angaben des Alkoholatlas sind im Jahr 2020 59,8 Männer pro 100.000 Einwohnern und 14,2 pro 100.000 Einwohnerinnen an Erkrankungen verstorben, die ausschließlich durch Alkohol verursacht werden. Das sind im Ländervergleich je die zweithöchsten Werte nach Mecklenburg-Vorpommern, wo 2020 65,6 Männer und 15,3 Frauen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern wegen ihres Alkoholkonsums gestorben sind.

Der Rettungssanitäter Steffen Neubert aus Halle sagte bei der Talkrunde "Fakt ist" am Montag im MDR FERNSEHEN: "Etwa ein Drittel unseres Berufsalltags beschäftigt sich mit dem Thema Alkohol." Dabei seien einige Patienten und Patientinnen noch fit, andere seien in sehr kritischen Zustand: "Da muss ich den Notarzt dazu rufen und dann müssen wir in den Schockraum fahren, weil es um Leben und Tod geht."

Viele Alkoholvergiftungen bei Kindern

Der Atlas zeigt auch, dass Kinder und Jugendliche in Sachsen-Anhalt überdurchschnittlich häufig wegen akuter Alkoholvergiftung im Krankenhaus behandelt werden. Die Diagnose akuter Alkoholvergiftung wurde bei Menschen unter 18 Jahren im Jahr 2020 bei 113 Jungs und 104 Mädchen pro 100.000 Einwohnern und Einwohnerinnen gestellt.

Noch mehr Alkoholvergiftungen bei Kindern und Jugendlichen unter 18 gab es 2020 nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums in Sachsen und in Mecklenburg-Vorpommern.

Kinder fangen später mit Alkohol an

Der Alkoholatlas zeigt aber auch, dass junge Menschen immer später mit dem Alkoholtrinken anfangen: Die Zahl der Menschen zwischen 12 und 15 Jahren in Deutschland, die überhaupt jemals Alkohol getrunken haben, geht mindestens seit der Jahrtausendwende fast jährlich zurück.

Der Alkoholatlas zeigt, dass "riskanter Alkholkonsum", also mehr als 20 Milligramm Reinalkohol bei Männern und mehr als 10 Milligramm Reinalkohol bei Frauen pro Tag, in Sachsen-Anhalt nicht weiter verbreitet sind, als in anderen Ländern. 15,5 Prozent der Männer waren 2020 betroffen und 7,6 Prozent der Frauen. In Sachsen zeigten mit 26,7 Prozent die meisten Männer im Ländervergleich riskantes Alkoholkonsumverhalten, die meisten Frauen in Bayern mit 13,8 Prozent. Auch in vielen anderen Ländern überschreiten mehr Menschen die genannten Milligrammwerte als in Sachsen-Anhalt.

Ehemaliger Alkoholkranker kritisiert Werbung für Alkohol

Rettungssanitäter Neubert wünscht sich verschärfte Regeln und dass wie auf Zigaretten-Packungen auch auf Alkohol-Flaschen abschreckende Bilder platziert werden. Er sagt: "Beim Thema Nikotin hat man es ja auch geschafft aufgrund des Preises und aufgrund der Abschreckung auf den Schachteln – damit hat man Erfolge erzielt. Das würde man sich auch auf dem Alkohol wünschen."

Der ehemalige Alkoholkranke Rüdiger Jeziorski aus Magdeburg kritisierte die Werbung für Alkohol und Werbeprospekte. Seiner Ansicht nach sollten die Preise für Alkohol erhöht werden. Er sagte: "Es ist ein langer Prozess, bis man alkoholabhängig wird. Man selber gesteht sich das nicht ein. Ich habe in den Achtziger Jahren nichts ausgelassen, ich habe gefeiert. (…) Durch meinen Alkoholkonsum ist meine Ehe in die Brüche gegangen."

Die Trennung von Frau und Kindern habe er nicht verkraftet und dann bis bis zu drei Flaschen hochprozentigen Schnaps pro Tag getrunken. "Man denkt immer, mal spült die Probleme weg – aber die sind dann ja wieder da", so Jeziorski. Er machte einen Entzug in einer Suchtklinik und ist seitdem trocken.

FDP-Abgeordnete: "Alkohol ist Teil der Genusskultur"

In der MDR-Talkrunde am Montag wurde Alkoholkonsum auch von mehreren Beteiligten verteidigt. Die FDP-Bundestagsabgeordnete Kristine Lütke sagte, man müsse Alkohol differenziert betrachten. In Regionen mit großen Weinanbaugebieten sei Alkohol Teil der Genusskultur. Sie sagte: "Mir ist wichtig, dass wir auch über die Wirkung von Alkohol sprechen und aufklären. Dass wir die Menschen zu mündigen Verbrauchern machen, die bewusst entscheiden können, ob sie konsumieren oder ob sie nicht konsumieren."

Daniel Riecke von der Stammtischgruppe "Magdeburger Kneipenretter" sagte, es gebe eine deutsche Kneipenkultur, die langsam sterbe: "Immer mehr Kneipen schließen, weil immer weniger Menschen in die Kneipe gehen – die Laubenpieper trinken lieber bei sich auf der Terrasse ihr Bier."

MDR (Johanna Daher,Julia Heundorf)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN/MDR S-ANHALT | 10. Oktober 2022 | 22:15 Uhr

5 Kommentare

hilflos am 11.10.2022

Ich kann mich erinnern, dass es vor Jahren eine ähnliche Schlagzeile über Menschen in MV gab. Ich hatte den Artikel ausgeschnitten (mitteldeutsche Zeitung ca. 1998) und habe den einer nichttrinkenden Kollegin an den Schrank geklebt.
Sie fiel nicht in Ohnmacht oder bemühte irgendwelche Beauftragte... Gute alte Zeit

Der Pegauer am 11.10.2022

Alkohol verbieten, dafür Cannabis freigeben. Da wird der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. Später kommt dann noch Crystal-Meth hinzu. Schöne neue Welt 🤔

Ilse am 11.10.2022

Karl-W

Im Grunde schon seit Merkel im TV zu sehen war.

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