Exactly Warum Alkoholsucht in Ostdeutschland so groß ist

19. September 2022, 19:09 Uhr

In Ostdeutschland wird besonders viel Alkohol konsumiert. Fast zwei Prozent der Ostdeutschen haben ein Alkoholproblem. Trauriger Spitzenreiter ist Mecklenburg: 2,1 Prozent der Gesamtbevölkerung hat ein Alkoholproblem. Aber auch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen liegen mit 1,7 bis 1,9 Prozent über dem Bundesschnitt.

Fast 40 Menschen pro 100.000 Einwohner sterben in Sachsen-Anhalt jährlich an den Folgen von Alkoholkonsum. Damit führt das ostdeutsche Bundesland die traurige Statistik an.

Und auch sonst die Zahlen der Alkoholtoten im Osten erschreckend hoch: Auf Platz zwei findet sich Mecklenburg-Vorpommern, Platz drei Brandenburg. Zum Vergleich: Im Heimatland des Oktoberfestes, Bayern, sterben jährlich rund 14 Menschen pro 100.000 Einwohnern an den Folgen des Alkoholmissbrauchs.

Alkohol gehört zur Festivalkultur

Das Rockharz Open-Air in Ballenstedt: Mehr als 20.000 Gäste feiern hier vier Tage zu Rock- und Metalmusik. Ein paar Tausend Liter Bier gehen über den Tresen des Bierwagens. Fabian Rudloff leitet die Gastronomie auf dem Gelände. Mit dem Jugendprojekt "Glück in Dosen" sammelt das Festival Pfandgeld für den guten Zweck. 36.000 Euro allein 2019. Quasi trinken für den guten Zweck.

Alkohol gehört für Rudloff zur Festivalkultur dazu: "Man hat hier halt wirklich jede verschiedene Berufsgruppe da. Du hast jeden Charakter hier rumlaufen und keiner verurteilt den anderen oder hat Vorurteile oder sonst was – sind halt alle gleich. Und dann kann man auch mal ein Bier trinken, auch mal mittags, ohne blöd angeguckt zu werden. Das ist dann einfach rauskommen aus dem Alltag und dann gehört das irgendwie dazu."

Ein Mann trinkt aus einer Getränkebüchse. 35 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

An vier Tagen Festival wächst der Pfandberg auch durch die unzähligen Camper an. In den Wohnmobilen lagert neben dem Dosenbier auch allerlei andere alkoholische Getränke.

Ein Festivalbesucher zeigt seinen Kühlschrank. Auf die Frage des Reporters, was er über einen Tag Festival hinweg so trinkt: "Acht bis zehn Liter Bier werden es schon sein." Ein ganzer Kasten über den Tag verteilt. Und Metalfan "Ömmes", der gebürtig aus Thüringen kommt, liefert auch eine erste Erklärung, warum das Trinken im Osten so verbreitet ist: "Das rührt vielleicht noch von den DDR-Zeiten. Ich mein, das war ja von der DDR gewollt. Wenn die Leute saufen, halten sie das Maul. Alkohol hat zu DDR-Zeiten nichts gekostet."

Jeder achte Erwachsene hat ein Alkoholproblem

Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums zeigen: Alkoholkonsum im gefährlichen Ausmaß ist ein deutschlandweit verbreitetes Problem. Zwischen 18 und 64 Jahren sind rund 1,6 Millionen alkoholabhängig. In riskanter Form, also an der Schwelle zur Abhängigkeit, sind es 6,7 Millionen.

Dabei handelt es sich jedoch nur um die offiziellen Zahlen. Viele Menschen leben ihre Krankheit im Verborgenen aus, unentdeckt von Freunden und Familie. Und nicht nur für die Betroffenen und ihr persönliches Umfeld ist der Schaden hoch. Das Ministerium schätzt, dass durch Alkoholmissbrauch ein jährlicher volkswirtschaftlicher Schaden von rund 57 Milliarden Euro entsteht.

Wenn nachts um drei die Traurigkeit kommt

Pit ist gelernter Restaurantfachmann, war Möbelspediteur, hat Eis verkauft: Alkohol hat ihn bis jetzt jeden Job gekostet. Es ist seine dritte Reha, diesmal in Magdeburg in der Rehaklinik "Alte Ölmühle". Mit Tischlerarbeiten arbeitet er in der Ergotherapie auch an sich. Das Essen in der Kantine der Klinik ist gut, sagt er.

Seit 20 Jahren steckt Pit in er Abhängigkeit fest. "Chrystal, Koks und Kiffen" damit hätte alles angefangen und davon sei er auch weg. Der Alkohol ist Ersatz geworden: "Es ist schleichend mehr geworden. Die Höchstmenge, die ich getrunken habe, waren drei Flaschen Schnaps und acht bis zehn Bier. Das Schlimme ist, du kannst noch gerade laufen, kannst noch sprechen. Was sich ein anderer Mensch nicht vorstellen kann", sagt Pit. Er habe seine Familie verloren, seine Freunde, seinen Rückhalt. "Du hast dann depressive Verstimmungen und in den nüchternen Phasen wird dir das dann alles bewusst. Was hast du alles gemacht? Wen hast du alles verloren? Und dann kann das passieren, dass man nachts um drei wieder anfängt mit Trinken, weil man traurig ist."

Pit weiß, dass seine Krankheit nicht in drei Monaten vorbei ist. Der exactly-Reporter fragt ihn, warum gerade im Osten so viel getrunken wird: "Ich kann dir nur von meinem Opa erzählen, das war ja alles DDR. Da gab es im Betrieb schon Schnaps. Die haben zur Belohnung ihre zwei Pullen Schnaps gekriegt. Mein Opa hat gesagt: 'Das war gang und gäbe. Fürs Wochenende hast du die mitgekriegt und das hast du getrunken.'"

Warum hat Ostdeutschland ein Alkohol-Problem?

Zu Suchtmedizinerin Gitta Friedrichs in die Rehaklinik "Alte Ölmühle" kommt die gesamte Gesellschaft, sagt sie. "Es werden mehr Frauen, aber es sind immer noch deutlich mehr Männer." Der reine Alkoholiker sterbe jedoch langsam aus. Es kommt wie bei Pit zu Mischkonsum; die passende Droge für die passende Stimmung. Nur 50 Prozent schaffen den Absprung, jeder Zweite wird rückfällig. "Die Sucht selbst wird man nie los. Man kann aber etwas dagegen tun", so die Suchtexpertin.

Warum gerade der Osten so von der Alkoholsucht betroffen ist, dafür sieht sie drei Gründe: "Die DDR-Trinkkultur ging bis in den Arbeitsplatz hinein. Weiterhin gab es kaum illegale Drogen." Und dann kam drittens auch noch die Wende, die soziale und gesellschaftliche Probleme mit sich brachte. "Und so ein Verhältnis zum Alkohol kann sich wohl auch von Generation zu Generation weitervererben", so die Suchtmedizinerin.

MDR (Lars Frohmüller)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Exakt – Die Story | 19. September 2022 | 20:45 Uhr

15 Kommentare

Reuter4774 am 20.09.2022

Nicht pauschalisieren, das ist du... und entlarvt Ihre Vorurteile. Und wer billige Stammtischpsychologie braucht? Aber wenn Sie sich jetzt toll fühlen können sei Ihnen die nötige Selbstaufwertung gegönnt.

Euphemismus am 20.09.2022

Eine Welle von Insolvenzen mit einem Tsunami aus uneinbringlichen Forderungen, Geschäftsaufgaben. Ergebnis Massenarbeitslosigkeit
all jene die dann auf der Leistungsseite wegfallen, kommen dann als Transferleistungsempfänger dazu. Das wird die sozialen Sicherungssystem die schon geplündert wurden von den Haltungstollen, in einen Strudel reißen.
Den die Regierenden durch neues Geld zu ersticken suchen werden.
am ende wird man Die Ach so tollen und ihre Entourage verfluchen.
Die Work Live Balancierer und die Haltungsmedialen werden mit ihren Göttern fallen. Bin schon auf die Ausreden gespannt.
und auf die Versprechen, es wird zum Erbrechen.
aber eines scheint mir sicher, der Glaspalast an der Elbe wird das Schicksal Insolvenz teilen. Damit all die vor allem teuren lernen was das Wort Emittentenrisiko bedeutet.

googelt mal das Wort Prolongation dann wisst ihr was da noch kommt
das wird den Euro umhauen.

sapere aude

Euphemismus am 20.09.2022

@Fakt ist, schon die Abstinenzler in den USA wollten das Problem mit der Prohibition angehen. Ergebnis? al Capone die Mafia und noch mehr Elend.

Aber sie haben meinen Post nicht ganz erfasst. einfach mehrmals lesen dann kommen sie dahinter was gemeint ist.

Mehr aus Sachsen-Anhalt