Sachsen-Anhalt Verkehrswacht ohne Nachwuchs: Wer bringt Kindern künftig Verkehrsregeln bei?

21. Oktober 2022, 17:56 Uhr

Verkehrswachten machen mit ihren diversen Angeboten für Kinder, Erwachsene und Senioren die Straßen sicherer. Doch dahinter stehen ehrenamtlich geführte Vereine, deren Mitglieder schwinden. Von einst 46 Verkehrswachten in Sachsen-Anhalt sind nur noch 20 übrig. Laut dem Landesverband steht eine Situation kurz bevor, in der die Verluste nicht mehr ausgeglichen werden können. Dann drohen Verkehrserziehungstage an Schulen wegzufallen.

Was Verkehrsschilder bedeuten und welche Regeln auf der Straße gelten, das müssen Kinder möglichst frühzeitig lernen. Nur so lassen sich Unfälle auf dem Schulweg vermeiden. In Sachsen-Anhalt ist Verkehrserziehung daher Teil des Lehrplans. Bei der Vermittlung sind viele Schulen und Kitas aber dringend auf die Verkehrswachten im Land angewiesen, die den Kindern zum Beispiel in sogenannten Verkehrsgärten die Grundlagen praktisch beibringen.

"Schlimmstenfalls Wegfall langjähriger Partner von Schulen"

Doch die als Vereine ehrenamtlich geführten Verkehrswachten in Sachsen-Anhalt haben Nachwuchsprobleme. Von einst 46 Orts- und Gebietsverkehrswachten im Bundesland würden inzwischen nur noch 20 existieren, teilte Christian Bott von der Landesverkehrswacht MDR SACHSEN-ANHALT auf Anfrage mit.

Bisher sei es den Verkehrswachten in der Regel gelungen, den Wegfall von Strukturen in bestimmten Landkreisen durch noch mehr Engagement der übrigen Vereine auszugleichen. Auch habe die Landesverkehrswacht als übergeordneter Verband oftmals Bedarfe über landes- und bundesgeförderte Projekte abdecken können. Auch diesem Kraftakt ist es zu verdanken, dass die Schulwegunfälle in den vergangenen Jahren nahezu landesweit zurückgegangen sind.

Mittlerweile nähere sich die Situation in bestimmten Regionen jedoch dem Punkt, an dem weitere Verluste nicht mehr ausgeglichen werden könnten. "Dies bedeutet dann in Endkonsequenz: Wegfall langjähriger und verlässlicher Partner für Schulen und sonstiger Einrichtungen und im schlimmsten Fall spürbar weniger verkehrserzieherische Angebote", sagte Bott.

Viele kleinere Verkehrswachten gefährdet

Besonders akut ist der Mangel laut Landesverkehrswacht derzeit in Salzwedel sowie bei den Gebietsverkehrswachten Oranienbaum und Zerbst. Bott: "Darüber hinaus sind viele kleinere Verkehrswachten so aufgestellt, dass bei Rückzug der derzeitigen Akteure das Fortbestehen gefährdet wäre."

Orts- und Gebietsverkehrswachten sind in ihrer Arbeit auf ehrenamtliche Mitglieder angewiesen. "Leider klagen viele dieser Vereine über Nachwuchsprobleme, insbesondere bei Personen, die Ämter zur Weiterführung der Vereine und zur Umsetzung von Projekten und sonstigen Veranstaltungen übernehmen möchten", so Bott.

Wer sich in der Verkehrswacht engagieren kann

Vereinsmitglied in den Verkehrswachten kann grundsätzlich jeder werden. Für die Mitarbeit in Projekten sind Erfahrungen in Sachen Verkehrserziehung und Verkehrssicherheit oder im Umgang mit der Zielgruppe – vor allem Schüler und Senioren – aber sinnvoll. Dazu gehören Lehrer, Polizisten oder Personen mit bestimmten Trainerscheinen. Dies ist jedoch keine zwingende Voraussetzung, da auch Fortbildungen angeboten werden.

Die Zahl der Einsätze kann mit der jeweiligen Verkehrswacht nach Bedarf und eigener Zeit abgestimmt werden, es gibt laut Landesverkehrswacht keine verpflichtenden Vorgaben. Für die Einsätze werden in der Regel Aufwandsentschädigungen oder Übungsleiterpauschalen ausgezahlt. Quelle: Landesverkehrswacht

Auch Sachsen-Anhalts Ministerium für Infrastruktur und Digitales blickt mit Sorge auf die Entwicklung. Zur Bedeutung der Verkehrswachten teilte das Ministerium auf MDR-Anfrage mit, dass die Vereine zu den wichtigsten Unterstützern und verlässlichsten Partnern von Kitas und Schulen bei der Verkehrserziehung zählten. Neben der Polizei leisteten sie einen wichtigen Beitrag, um die Straßen sicherer zu machen und die Zahl der Unfallopfer zu senken.

Verkehrspolizei könnte entstehende Lücken wohl nicht füllen

Ein weiterer Mitgliederschwund hätte laut Sprecher Andreas Tempelhof weitreichende Konsequenzen. "Kurzfristig würden bestehende bekannte Angebote wie zum Beispiel Jugendverkehrsschulen, der Schulweghelfer und mobile Angebote zur Verkehrssicherheit wegfallen", so Tempelhof. Längerfristig müssten dafür dann andere Strukturen geschaffen werden, die sich aber wegen fehlender Ehrenamtlichkeit erheblich auf Kosten des Landes verteuern würden.

In Sachen Verkehrserziehung kooperieren die Schulen nicht nur mit Verkehrswachten, auch die Verkehrspolizei kommt als Partner in Betracht. Ob Polizeibeamte die Arbeit der Verkehrswachten im Zweifel ganz übernehmen könnte, konnte das Verkehrsministerium nicht abschließend beantworten. Es sei aber jedenfalls von einem erheblichen Personalbedarf auszugehen. Doch auch die Polizei hat bekanntlich vielerorts Personalprobleme.

Geringeres Interesse an Ehrenamt als möglicher Grund

Die Gründe für die Nachwuchsprobleme sind laut Christian Bott vielschichtig. "Verlängerte Lebensarbeitszeit, verändertes und oftmals individualisiertes Freizeitverhalten und eventuell ein generell geringeres Interesse an ehrenamtlicher Tätigkeit machen es uns, aber auch vielen anderen Vereinen, schwer, Mitstreiter und Mitstreiterinnen zu finden." Hinzu komme, dass Verkehrserziehung und Verkehrssicherheit recht spezifische Themenfelder sind, die es schwer machen würden, schon Kinder und Jugendliche an die Vereine zu binden.

Zu den Aufgaben der ehrenamtlichen Mitglieder gehören etwa die Betreuung von Stationen an Verkehrserziehungstagen für Schulen, Trainings von Grundschülern für die Radfahrprüfung oder Verkehrszeichenlehre in Kitas. Zur Zielgruppe gehören aber nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene und Senioren. So führen die Verkehrswachten zum Beispiel auch Fahrsicherheitstrainings durch. Laut Verkehrsministerium haben die Verkehrswachten im vergangenen Jahr trotz Corona 130.667 Teilnehmer aller Zielgruppen in ganz Sachsen-Anhalt erreicht.

MDR (Daniel Salpius)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie | 19. Oktober 2022 | 16:00 Uhr

7 Kommentare

geradeaus am 23.10.2022

Ich kann ihnen da leider nicht widersprechen. Dasselbe ist mir ebenso aufgefallen in den letzten 2 Jahren. Das die Bereitschaft Verkehrsregeln zu brechen vor allem bei Autofahrern gestiegen ist, innerorts.

geradeaus am 23.10.2022

Ich stimme ihnen beiden zu, -steka- ebenso.
Auch die Kita-Betreuer_innen könnten/sollten so etwas durchführen können. Zumindest die Grundlegenden Sachen. Von den wichtigen Verkehrsschildern macht man im Internet Screenshots und zeigt die den Kids.

Ja und die Eltern sollten in der Regel dafür zuallererst zuständig sein, das ist wohl mehr als richtig.

Kaiser_Otto am 22.10.2022

für die Vermittlung von grundlegenden, für kleine und große Kinder heutzutage überlebenswichtigen Straßenverkehrsregeln sollten doch in erster Linie DIE ELTERN verantwortlich sein! KiTa, Schule, Verkehrswacht, Polizei usw. können ergänzend tätig werden – aber die Hauptverantwortung liegt nun mal bei den Eltern! Aber wenn diese es mit den Regeln selbst nicht so genau nehmen (mal schnell noch mit dem Kind bei „Rot“ über die Kreuzung …), was kann da erwartet werden? Das ist kein Generalvorwurf an alle Eltern, aber die beispielhaft genannten Rot-Verstöße können doch immer häufiger beobachtet werden.
Vielleicht fehlt auch einfach nur die richtige kindgerechte „Verkehrsregel-lernen“-App für’s Handy, die würde das Lernen für die Kids sicher interessanter machen.

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