Baustellenschilder liegen ungenutzt an einer Mauer
Der Bauzaun steht, die Schilder verwittern. Massiv gestiegene Bau- und Energiekosten sorgen derzeit flächendeckend in Sachsen für Bautstopps bei Sanierungen, Modernisierungen und Neubauten von Wohnungen und Immobilien. Bildrechte: imago images/mhphoto

Folge der Energiekrise Baustopp bei Mehrzahl der sächsischen Wohnungsbauprojekte

15. September 2022, 09:52 Uhr

In der ersten Septemberhälfte hatte die städtische Wohnungsbaugesellschaft "Wohnen in Dresden" (WiD) einen Baustopp für knapp 140 Wohnungen verkündet. Durch gestiegene Bauzinsen und Materialkosten sind die Kosten explodiert. Für die Mehrkosten werden in diesem Fall die Steuerzahler zur Kasse gebeten. Eine Umfrage des Verbandes der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (vdw) Sachsen zeigt nun: Die Branche ächzt unter der Inflation und warnt vor stark steigenden Mieten.

Sanierungen, Modernisierungen und Neubauten von Wohnungen und Immobilien in Sachsen werden vielerorts gestoppt und verschoben. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Verbandes der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (vdw) Sachsen. Für den Verbandschef Rainer Seifert ein Alarmzeichen.

Diese Zahlen sind hochgradig alarmierend.

Rainer Seifert Direktor des Verbandes der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (vdw)

Sanierungen, Moderinisierungen und Neubauten gestoppt

Gestiegene Energiepreise belasteten die Wohungswirtschaft im Freistaat insgesamt, so Seifert. 84 Prozent der vom vdw befragten 130 Unternehmen gaben an, dass sie seit Sommer geplante Projekte verschieben oder neu planen mussten, erklärte der Verband am Mittwoch in Dresden. 73 der befragten Unternehmen (56 Prozent) haben Projekte komplett aufs Eis gelegt. Betroffen davon sind laut vdw zum Großteil Sanierungen und Modernisierungen (69 Prozent), gefolgt von Instandhaltungen (15 Prozent) und Neubauten (9 Prozent).

Millionenbeträge für Nebenkosten fordern Wohnungswirtschaft massiv

"Diese Zahlen sind hochgradig alarmierend", sagte Verbandsdirektor Rainer Seifert. Durch eine verfehlte Energiepolitik werde der Wohnungswirtschaft massiv Geld entzogen. Die Wohnungsunternehmen müssten für die Energiewirtschaft gerade Millionenbeträge bei den Nebenkosten vorfinanzieren. Den Unternehmen bleibe nichts anderes übrig, als dringend benötigte Investitionen zu stoppen und abzusagen. Die Bauboom-Zeit der vergangenen Jahre ist offenbar vorbei.

Rückblick ins Jahr 2019

Wohnungsbau 4 min
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Großer Baustopp in Dresden - Mehrkosten tragen sehr wahrscheinlich Steuerzahler

Ein Beispiel aus Dresden hatte im September für Aufsehen gesorgt. Dort hat die städtische Wohnungsbaugesellschaft "Wohnen in Dresden" (WiD) alle Neubauvorhaben gestoppt. Unmittelbar betroffen sind drei Baustellen für knapp 140 Wohnungen - der Neubau in der Florian-Geyer-Straße mit 79 Wohneinheiten, ein Wohngebäude in der Moritzburger Straße mit 30 und ein Vorhaben in der Schönaer Straße mit 28 Wohnungen.

Nach Angaben der WiD-Geschäftsführung sind gestiegene Zinsen für Bankkredite Grund für die Baustopps. Allein die Baukosten hätten sich demnach innerhalb eines Jahres um 22 Prozent erhöht.

Fördermittelzahlungen bringen Dresdner Stadtrat in Zugzwang, Kosten zu übernehmen

Bei Nichtfertigstellung einzelner Projekte könnte uns die Rückzahlung von Fördermitteln drohen, was wir unbedingt vermeiden müssen.

Kai Schulz Pressesprecher Landeshauptstadt Dresden

Für die gestoppten Bauprojekte waren bereits mehr als zehn Millionen Euro an Fördermitteln eingeplant. Und nun bringen diese Fördermittel und Darlehen die Stadt Dresden in Zugzwang. Für laufende Projekte soll Dresden der stadteigenen Gesellschaft vier Millionen Euro zuschießen. Das ist die Summe der entstandenen Mehrkosten, über die die WiD die Landeshauptstadt nach Angaben von Sprecher Kai Schulz informierte. Über die Zahlung der Millionen-Mehrkosten an die WiD muss der Stadtrat zwar noch entscheiden. Den Kommunalvertretern bleibt aber kaum eine andere Wahl, als das Geld freizugeben.

"Bei Nichtfertigstellung einzelner Projekte könnte uns die Rückzahlung von Fördermitteln drohen, was wir unbedingt vermeiden müssen. Das wiederum macht die Übernahme der Mehrkosten für uns nahezu alternativlos", antwortet Schulz auf Nachfrage von MDR SACHSEN. Die Kostenübernahme sei jedoch auf die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel begrenzt.

Diese Gelder betragen im Jahr 2022 laut Schulz 4,5 Millionen Euro und - vorbehaltlich des Haushaltsbeschlusses zum Doppelhaushalt 2023/2024 - im Haushaltsjahr 2023 fünf Millionen Euro. Im Haushaltsjahr 2024 sind es vier Millionen Euro. Mit den Geldern sollen begonnene Bauprojekte abgeschlossen und neue Bauvorhaben maximal bis zur Bauplanungsreife finanziert werden, so Schulz.

Rohbau eines Einfamilienhauses
Baustopp oder Projekte trotz explodierender Kosten durchziehen? Die Stadt Dresden wird nun Mehrkosten der städtischen Wohnungsbaugesellschaft mit Steuergeldern abdecken müssen. Sonst droht die Rückzahlung von Fördergeldern. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO/Frank Sorge

VSWG: Lieber Bestand sanieren als neu bauen

Der Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften (VSWG) hätte die eigentlich "nicht vorhandenen Fördermittel" in Dresden lieber in Bestandsimmobilien investiert gesehen, statt die Gelder in Neubauprojekte zu stecken. Es gebe keinen angespannten Wohnungsmarkt in Sachsen, denn es seien genug Wohnungen da, so VSWG-Vorstand Mirjam Philipp.

"Die Entscheidung ist wirtschaftlich absolut zu verstehen. Aber man kommt fördertechnisch bei der Fortführung dieses Neubauprogramms in die Absurdität, dass erneut nicht vorhandenes Geld in den sozialen Wohnungsneubau - die Betonung liegt auf Neubau - geschoben werden müsste, um die Kostensteigerungen aufzufangen", so Philipp.

Im selben Wohngebiet befänden sich leerstehende Genossenschaftswohnungen, die pro Quadratmeter laut Philipp ungefördert wesentlich günstiger sind. Die VSWG-Chefin stellt in ihrer Antwort an MDR SACHSEN zwei Fragen: "Was passiert, wenn die Belegungsbindung langfristig entfällt? Sind dann die Mieter der Sozialwohnungen in der Lage, 15 Euro pro Quadratmeter zu zahlen, die durch die Baukostenexplosion im Neubau entstanden sind?"

Belegungsbindung Staatlich geförderte Wohnungen unterliegen einer "Belegungs- und Preisbindung.

Das heißt: Der Staat hat den Bau dieser Wohnungen auf unterschieldliche Art und Weise subventioniert oder gefördert und im Gegenzug wird der Vermieter/Bauträger dazu verpflichetet, den Wohnraum komplett oder in Teilen der Gemeinde zu vergünstigten Mietpreisen zur Verfügung zu stellen.

Die Gemeinde wiederrum stellt diesen vergünstigten Wohnraum dann Menschen zur Verfügung, deren Haushalt "förderungsfähig" ist. Das bescheinigt ein Wohnberechtigungsschein (WBS). Der den Bezug von Wohnungen mit Belegungsbindung (Sozialwohnungen, WBS-Wohnungen).

In der Regel gilt die Belegungsbindung für Wohnraum für bis zu 30 Jahre. Erst nachdem die Belegungsbindung abgelaufen ist, dürfen die Mieten auf die ortsübliche Vergleichsmiete angehoben werden.

Bedeutet: Projekte, die während der Energie- und Baukrise fortgeführt und mit allen (finanziellen) Mitteln zu Ende gebracht werden, lassen ein neues Problem entstehen. Mit Steuergeldern werden Wohnungen gebaut, die den Marktpreis des Wohnviertels nach oben treiben. Wird die Wohnung nach der Zeit der Belegungsbindung frei vermietet, überfordern die entstehenden Kosten den klammen Mieter oder die Mieterin. Der vdw sieht angesichts der Energie- und Baukrise weitere Probleme.

Verband sieht Rückschlag für Energie- und Wärmewende

Die Energie- und Wärmewende bei Gebäuden komme ins Stocken, zusätzlich zum Problem steigender Mieten. "Für die Energie- und Wärmewende im Gebäudesektor und das bezahlbare Wohnen der Zukunft ist das ein Rückschlag ohnegleichen", sagt vdw-Direktor Seifert. Die Politik müsse handeln.

MDR (swi)/dpa

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 14. September 2022 | 10:00 Uhr

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