Die Waldmoore von Großdittmannsdorf und der Kiessandtagebau von Ottendorf-Okrilla
Naturschützer und Anrainer sehen die Waldmoore von Großdittmannsdorf bei Radeburg in Gefahr, wenn das Kieswerk wieder einen neuen Kiessandtagebau öffnen darf. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt/Grafik: L.König

Erweiterung Kiessandtagebau Kies statt Natur im Heibo: Radeburger sehen Moore und Quellen gefährdet

27. Juni 2024, 05:00 Uhr

In direkter Nähe von Quell- und Moorgebieten im Dresdner Heidebogen zwischen Radeburg und Ottendorf-Okrilla wird im großen Stil Kies abgebaut. Seit mehr als einem Jahrzehnt versuchen Anwohner und Naturschützer dem Einhalt zu gebieten. Die Waldbesetzung von den Heibo-Aktivisten setzte im vergangenen Jahr ein Schlaglicht auf den Streit. Doch letztlich realisierte die Rohstoffwirtschaft ihre Pläne. Das Kieswerk Ottendorf-Okrilla rodete einen weiteren Streifen Wald und will viel mehr.

Mücken, Mücken, Mücken: Was Menschen in die Flucht treibt, ist für Frösche ein Fest. Ohrenbetäubend schraubt sich ihr Quaken in die Höhe, als Holger Oertel am sogenannten Kleinteich bei Großdittmannsdorf nach dem Rechten sieht. Zwischen Radeburg und Ottendorf-Okrilla bei Dresden hat die Natur eine besondere Oase geschaffen. Umgeben von kargen Böden, tritt hier besonders reines Wasser hervor. Es ist so nährstoffarm, dass nur die Spezialisten überleben: Torfmoose zum Beispiel oder der fleischfressende Sonnentau, der sich seine Nährstoffe über Klebedrüsen seiner Blätter fängt.

Bis zu 130 Hektar für neuen Kiessandtagebau geplant

Aber die Idylle ist gefährdet, denn das Kieswerk Ottendorf-Okrilla (KBO), das zu einer Unternehmensgruppe in Baden-Württemberg gehört, will weiter expandieren. Dafür soll in unmittelbarer Nachbarschaft bei Würschnitz ein Wald von bis zu 130 Hektar gerodet werden dürfen, um dort an die Kiesablagerungen zu kommen. So sieht es der neue Rahmenbetriebsplan vor, der gerade zur Genehmigung auf den Tischen des Sächsischen Oberbergamtes in Freiberg liegt.

Wenn man die Kiesrücken entfernt, werden die Moore austrocknen.

Holger Oertel Naturschutzhelfer der Landkreise Bautzen und Meißen

Anrainer fürchten, dass das Moor austrocknet

Laut Oertel konnten sich die umliegenden Moore aber nur wegen dieser Kiesrücken bilden. Dort sickere das Regenwasser über viele Jahre durch die Schichten, werde gefiltert, gespeichert und fließe stetig in die Waldmoore bei Großdittmannsdorf und in den Töpfergrund bei Radeburg ab. Letzterer sei das quellenreichste Gebiet im sächsischen Tiefland.

"Wenn man diese Kiesrücken entfernt, dann fehlt der Niederschlag, der dort versickert. Das wird dazu führen, dass die Moore vor allem im Sommer austrocknen", befürchtet der 47-Jährige. Als Naturschutzbetreuer ist es seine Pflichtaufgabe, hier Gefährdungen abzuwenden, betont er.

Moorpflanzen sind Überlebenskünstler und kommen mit wenig Nährstoffen zurecht.
Moorpflanzen sind Überlebenskünstler und kommen mit wenig Nährstoffen zurecht. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Mehr als sein halbes Leben lang kämpft Oertel als Mitglied des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) und inzwischen auch als offizieller Naturschutzhelfer der Landkreise Meißen und Bautzen um die Biotope seiner Heimat. Es ist gleichzeitig ein Kampf gegen den Kiessandabbau, der mit Genehmigung des Oberbergamtes (OBA) Stück für Stück wächst.

Oertel ist nicht allein. Er hat etliche Naturschutzverbände auf seiner Seite. Hinzu kommen Anwohner aus dem Radeburger Ortsteil Würschnitz, denen erste Brunnen ausgetrocknet sind und Leute, die sich in einer Bürgerinitiative zusammengeschlossen haben. Kurzzeitig hatten radikale Umweltschützer mit der Waldbesetzung im Heidebogen, kurz Heibo, überregionale Aufmerksamkeit provoziert. Doch egal, wie gut die Argumente und Gutachten auf der einen Seite sind, das Kiesunternehmen in Ottendorf-Okrilla auf der anderen Seite hält dagegen.

Kieswerke: Sind wichtiger Versorger für die Region

"Die Produktion von Kies und Sand, sowie den daraus folgenden Produkten ist aus der Lagerstätte bei Ottendorf-Okrilla von großer Bedeutung, da diese Lagerstätte bereits seit Jahrzehnten ein wichtiger Versorger für die Region und Großteile Dresdens war und immer noch ist", erklärt Julia Schönfeld vom Kieswerk. Dieser Lieferverantwortung wolle man auch in den kommenden Jahrzehnten Sorge tragen, sowie langfristig für Erhalt und Neuschaffung von Arbeitsplätzen, Wohnraum und Infrastruktur beitragen.

Kiesabbauflächen und Naturschutzgebiete
Zwischen Naturschutzgebieten bei Radeburg und Ottendorf-Okrilla wird in großem Stil Kies abgebaut. Bildrechte: MDR/Grafik: L. König

Ein von der Firma in Auftrag gegebenes hydrogeologisches Gutachten gebe Entwarnung: "In den Unterlagen wird dargelegt, dass für die Moore keine Gefährdung durch den Bergbau besteht", sagt Schönfeld von KBO. Man bleibe beim geplanten Kiesabbau zudem im Trockenschnitt, das heißt deutlich über dem Grundwasserspiegel. Nach dem Abbau werde dann der größte Teil der Abbaufläche durch KBO rekultiviert und wieder aufgeforstet. Hier sieht die Firma sogar Chancen zur Verbesserung: Denn man könne durch nachhaltigen Waldumbau stabile Mischwälder entwickeln.

Bürgerinitiative zeigt auf Absurditäten

Die örtliche "Bürgerinitiative contra Kiesabbau" kennt diese Argumente und widerspricht deutlich: "Das ist kein minderwertiger Wald, der hier steht und für den Abbau gerodet werden muss", sagt der Würschnitzer Heiko Richter von der BI. Auch dass der Kies, der darunter liege, sich laut Werksbroschüre super als Filterkies für Trinkwasserbrunnen eigne, findet Richter absurd. "Das heißt, man nimmt den Filterkies hier vom Grundwasserkörper weg, um ihn woanders für Filteranlagen verkaufen zu können."

Würschnitz liegt in einem Wasserschutzgebiet, es versorgt die Region von hier bis Weinböhla mit Trinkwasser.

Elisabeth Lesche Bürgerinitiative contra Kiesabbau

"Würschnitz liegt in einem Wasserschutzgebiet, es versorgt die Region von hier bis Weinböhla mit Trinkwasser", gibt Elisabeth Lesche von der BI zu Bedenken. Und das Geld, das von den Kieswerken erwirtschaftet werde, komme nicht Sachsen zu Gute. "Die Eigentümer sind das Adelshaus Württemberg. Das heißt, die Gewinne des Unternehmens fließen aus Sachsen ab", sagt Lesche.

Bürger wollen sich nicht mit Kapitalismus-Argumenten abspeisen lassen

Die 49-Jährige hat in den vergangenen fünf Jahren, seit sie bei der BI ist, einen abenteuerlichen Schlagabtausch miterlebt. "Es ist teilweise fachlich hanebüchen, wie da operiert wird." So sei es nicht relevant, dass der Kieskörper Wasser speichere, weil es ja noch regne. "Aber was ist, wenn es mal nicht regnet?"

Es sei zum Haare raufen, urteilt die Frau aus dem Radeburger Ortsteil Kleinnaundorf: "Man kann sich mit sachlichen Argumenten abhampeln und dann kommt jemand, der gut bezahlt ist, um die Ecke und sagt, 'Leute, ist alles wunderschön, aber wir müssen Geld verdienen.'" Die Bürgerinitiative gucke den Kieswerken aber weiter auf die Finger. Denn Behörden würden aus Lesches Erfahrung erst dann einschreiten, wenn Bürger sie auf Missstände aufmerksam machten.

Man kann sich mit sachlichen Argumenten abhampeln und dann kommt jemand, der gut bezahlt ist, um die Ecke und sagt, 'Leute, ist alles wunderschön, aber wir müssen Geld verdienen.

Elisabeth Lesche Anwohnerin und Mitglied der Bürgerinistative gegen Kiesabbau

Nabu hat Widerspruch gegen Deponie eingelegt

Nicht nur, dass Radeburgs Mooren künftig das Wasser abgegraben werden könnte, wie Holger Oertel befürchtet. Bereits jetzt sieht der Nabu Sachsen entstandene Umweltschäden. Im Laufe der Jahre wuchs in der alten Kiesgrube "Laußnitz 1" des Werks eine Deponie mit Bauschutt. Messungen des Nabu haben seither eine Veränderung im Wasser des Moorwaldes am Pechfluss bei Medingen ergeben.

Durch die Verfüllung der ausgekiesten Gruben mit Fremdmaterial gelangten Salze und Nitrate in die eigentlich nährstoffarmen Quellen. Es besteht die Gefahr einer Eutrophierung. Das heißt Überlebensspezialisten der Moore werden von anderen Pflanzen wie Brennnesseln verdrängt. Die Folge: Die Moore wachsen zu.

Eine Kreuzotter hat sich auf dem Waldboden bei Würschnitz zusammengerollt.
Eine Kreuzotter hat sich auf dem Waldboden bei Würschnitz zusammengerollt. Die Schlangen brauchen das Kühl-Feuchte und das Trocken-Warme. Wird es zu heiß, ziehen sie in die Moore, erklärt Holger Oertel. Bildrechte: Matthias Schrack

Nach Bekanntwerden der Wasserwerte wurde die Verfüllung des Kiessandtagebaus "Laußnitz 1" mit erdbaufremden Materialien zunächst gestoppt und dann wieder zugelassen. "Wir verfüllen wieder", bestätigte Julia Schönfeld vom Kieswerk MDR SACHSEN. "Es gab Untersuchungen zur Deponie und die sind vom Oberbergamt geprüft worden." Das OBA erteilte daraufhin die Freigabe. Dagegen hat der Nabu Sachsen jetzt Widerspruch eingelegt.

Zschocke: Bundesbergrecht muss geändert werden

Für die neue Abbaugrube in Würschnitz-West läuft das Genehmigungsverfahren beim Oberbergamt. "Eigentlich verbietet es sich, dort abzubauen, aber der Landtag kann keine bergrechtlichen Entscheidungen treffen", sagt dazu der Grünen-Landtagsabgeordnete Volkmar Zschocke.

Sachsens Grüne seien seit Längerem gegen die Erweiterung, "weil das ein ökologisch hochsensibles Gebiet ist und Eingriffe durch den Kiesabbau zu langfristigen und aus unserer Sicht unkalkulierbaren Schäden führen können", so Zschocke. Das hätten sogar Experten in diesem Jahr in einer Anhörung im Sächsischen Landtag deutlich gemacht.

Die Belange des Natur-, Klima- und Ressourcenschutzes müssen dringend mehr Gewicht bekommen im Bundesberggesetz.

Vokmar Zschocke Grünen-Landtagsabgeordneter

Bergrecht nicht mehr auf Höhe der Zeit?

Zschocke habe in Sachsen die Erfahrung gemacht, "dass fachlich starke Behörden vor Ort häufig von Landräten aus wirtschaftlichen Gründen ausgebremst werden". Das Problem im Fall Würschnitz sei vor allem, dass die Rohstoffunternehmen mit rechtskräftigen Genehmigungen hantieren können, die aber zum Teil auf sehr weit zurückliegende Planfeststellungsverfahren basieren. "Deswegen ist es dringend notwendig, das Bundesbergbaugesetz zu reformieren, weil es eine deutlich bessere Abwägung von Belangen des Natur- und Klima- und Ressourcenschutzes gegenüber den Belangen der Rohstoffgewinnung braucht.

Das sieht auch Sachsens Umweltminister Wolfram Günther (Grüne) so: Im Bergrecht mangele es seit Langem an der Beachtung ökologischer Fragen. "Der rechtliche Rahmen für den Bergbau muss daher auf der Höhe der Zeit weiterentwickelt werden. Nur wenn Natur und Landschaft ein deutlich höherer Stellenwert eingeräumt wird, können wir die biologische Vielfalt bei zukünftigen Abbauvorhaben wirksam schützen."

30 Einwendungen gegen den neuen Betriebsplan

Unterdessen bleiben die Menschen bei Radeburg beharrlich. 30 Einwendungen sind beim OBA zum neuen Betriebsplan eingegangen. "Sachsen ist ein sehr moorarmes Land, deswegen ist es wichtig, dass man die Restmoore, die noch existieren, besonders schützt", sagt Naturschutzhelfer Oertel.

Die Moore seien nicht nur wegen ihre Tier- und Pflanzenvielfalt wichtig, sondern auch fürs Klima. Den Kiesabbau dürfe das Oberbergamt nicht genehmigen, verlangt er mit Nachdruck. Falls es doch dazu kommt, will der Nabu Sachsen klagen.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 19. April 2024 | 19:00 Uhr

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