Arbeitsmarkt Wie Sachsen mit dem Fachkräftemangel umgeht
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11. Juli 2023, 05:00 Uhr
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer will dem Fachkräftemangel entgegenwirken, indem Arbeitnehmer wöchentlich eine Stunde länger arbeiten und die Anreize zur Frühverrentung abgeschafft werden. Das forderte er vergangene Woche. Die Wirtschaftsforscher des ifo-Instituts sehen dagegen einen Ausweg in höheren Löhnen. Doch das werden nicht alle Unternehmen leisten können, stellte ifo-Forscher Joachim Ragnitz klar. Wie versucht man in Sachsen umzusteuern?
- Kleinere Firmen sind besonders stark vom Fachkräftemangel betroffen.
- Linken-Politiker Brünler ist dennoch zuversichtlich, was die Lage in Sachsen angeht.
- Auch in Sachsens Verwaltungen fehlt es an Fachkräften.
Es ist ein schwieriger Spagat, den Arbeitgeber vollführen müssen. Die Zahl der Fachkräfte ist schon gesunken. Potentielle Fachkräfte wollen nicht nur mit höheren Gehältern, sondern oftmals auch mit niedrigeren Arbeitszeiten geködert werden. Doch das führt dazu, dass eine Stelle, die früher eine Person ausfüllte, heute mehrfach besetzt werden muss. Durch den Fachkräftemangel wird das nicht jedes Unternehmen können, sagt Volkswirt Cornelius Plaul und unterstützt daher die Forderung von Ministerpräsident Kretschmer: "Angesichts dieser dramatischen Erwerbspersonenrückgänge brauchen wir wirklich jede Arbeitskraft, die wir haben und auch jede Arbeitsstunde, die diese leisten kann."
Kleinere Firmen trifft der Fachkräftemangel besonders
Plaul ist vom Institut für Mittelstands- und Regionalentwicklung, einem wirtschaftsnahen Forschungsinstitut. Er schildert auch, dass sich Arbeitnehmer bei großer Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt natürlich das attraktivste Angebot aussuchen können. Und die hätten in der Regel die größeren Unternehmen mit mehr Umsatz, so Plaul: "Es werden sicherlich einige – gerade kleinere – Firmen auf der Strecke bleiben. Denn wir wissen eben aus zahlreichen Statistiken: Die Betriebsgröße ist letztlich das A und O. Die entscheidet maßgeblich darüber, wie produktiv ich bin und was ich dann zahlen kann."
Linken-Politiker zeigt sich optimistisch
Der wirtschaftspolitische Sprecher der sächsischen Linksfraktion Nico Brünler widerspricht dieser Prognose. Zum einen würden die höheren Löhne bereits im Westen gezahlt und sorgten dort für wirtschaftliche Stabilität. Oftmals bewegten sich die sächsischen Unternehmen im gleichen Marktumfeld wie die westliche Konkurrenz und könnten ähnliche Preise für ihre Produkte verlangen. Sie sollten daher auch in der Lage sein, den gleichen Lohn zu zahlen.
Um technologischen Rückstand aufzuholen, seien außerdem Subventionen möglich, sagt Brünler: "Es gibt ja nicht umsonst Förderprogramme des Landes, des Bundes, der EU und so weiter, die solche Sachen ja auch auffangen sollen. Und da ist, glaube ich, im Freistaat Sachsen schon ziemlich viel gelungen. Ich glaube, wir haben da auch keinen Grund uns zu verstecken. Viele unserer Unternehmen im Bereich Maschinenbau oder Zulieferer im Fahrzeugbereich – oder wenn man an irgendwelche Start-ups im IT-Bereich denkt – sind nicht weniger produktiv und nicht weniger innovativ als Unternehmen in anderen Teilen Deutschlands."
Auch Verwaltungen suchen nach Fachkräften
Doch auch Sachsens Verwaltungen stecken in einer Zwickmühle, Land und Kommunen brauchen selbst Fachkräfte. Diese fehlen dann jedoch in der Wirtschaft. Der wirtschaftspolitische Sprecher der mitregierenden CDU-Fraktion, Jan Hippold, sagt, der Freistaat will sich darüber perspektivisch Gedanken machen: "Um eben der Wirtschaft nicht noch zusätzlich diesen Konkurrenzdruck aufzubürden. Wir werden perspektivisch nicht umhinkommen, entweder zu digitalisieren oder darüber nachzudenken, dass bestimmte Aufgaben eben nicht mehr erbracht werden können. Das wird ganz von alleine passieren. Unter dem Aspekt Aufgabenkritik wäre es mal gut, man beschäftigt sich frühzeitig damit, zu hinterfragen, was muss unbedingt noch sein und was kann man gegebenenfalls perspektivisch durch beispielsweise künstliche Intelligenz erledigen lassen."
Die dafür verantwortlichen Kommissionen gibt es schon seit einigen Legislaturperioden. Ob diese bisher die entsprechenden Ergebnisse geliefert haben, darüber könne man streiten, gesteht Hippold. Der Handlungsbedarf ist aber groß: Bis 2035 könnten in Sachsen 400.000 Arbeitskräfte fehlen – wenn nicht zeitnah umgesteuert wird.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 11. Juli 2023 | 05:00 Uhr