Eine junge Frau steht in einer Wohnung und haelt sich die Ohren zu (gestellte Szene).
Zenhtausende Menschen in Sachsen hören Verkehrslärm von Straßen, Schienen oder Flugzeugen in ihren Wohnungen so laut, dass es gesundheitsschädigend ist. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance / dpa Themendienst | Christin Klose

Verkehrslautstärke Ruhe bitte! Zehntausende Sachsen von schädlichem Lärm betroffen

06. März 2024, 17:26 Uhr

Verkehrslärm löst im Körper Stress aus und kann krank machen: Depressionen, Ängste, Herz-Kreislauf-Probleme. Vor allem in den Ballungsräumen Leipzig, Chemnitz und Bautzen ist die Lärmbelastung für viele Menschen gesundheitsschädlich. Eine Analyse von MDR Data zeigt, in welchen Gemeinden es besonders große Probleme mit Lärm durch Straßen- und Schienenverkehr gibt.

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Jeder fünfte Bewohner der Gemeinde Niederwürschnitz im Erzgebirge ist nachts von Verkehrslärm betroffen, tagsüber ist es jeder sechste. "Mich stört das nicht", sagt Anwohnerin Doreen Daniel, die eine von 477 direkt Lärmbetroffenen in der Nacht ist. Sie wohnt an der Bundesstraße 180, die mitten durch den Ort führt. Und sie hört auch nachts die nahe Autobahn 72.

Leben an und mit der Autobahn

"Ja, Geräusche sind zu hören, aber unterschiedlich stark, je nach dem, wie der Wind steht. Doch ich kann immer schlafen", meint die Angestellte im Gespräch mit MDR SACHSEN. Die Autobahnanbindung findet sie gut und wichtig, gerade für die, die pendeln müssten. Im Ort sei auch schon erzählt worden, dass manche wegen des Straßenlärms weggezogen seien.

Das kann Bürgermeister Matthias Anton (parteilos) nicht bestätigen. "Das wüsste ich. Darüber ist mir nichts bekannt. Es gibt derzeit auch keine Beschwerden wegen Straßenlärms." Auch er hört jeden Tag, dass der Lärm von der A72 windabhängig mal lauter, mal leiser sei. Die verkehrsreiche B180 im Ort beschreibt er "noch als erträglich". Sie sei wie eine Hauptstraße in der Stadt Leipzig.

Hinweise zur Grafik: In der Gemeinde Niederwürschnitz sind anteilig besonders viele Menschen vom Lärm betroffen. Neben den Ballungsräumen Leipzig und Chemnitz hat auch die Stadt Ehrenfriedersdorf einen hohen Anteil Betroffener. Dort führt die B95 direkt durch die Stadt.

Ab Ende April Gespräche über Lärmaktionsplan

Niederwürschnitz hat einen Lärmaktionsplan, der überarbeitet werden soll. "Die ersten Gespräche dazu laufen", sagt Bürgermeister Anton. Der Plan werde mit Blick auf einen möglichen Autobahnausbau überarbeitet. Darin geht es um Dinge, die wegen des Lärms beim Ausbau beachtet werden müssen und Förderungen für Schallschutz, beispielsweise für Fenster. Ende April will Anton mit den Einwohnern darüber sprechen.

Zwei Prozent aller Sachsen leben mit gesundheitsschädlichem Straßenlärm

Im Schnitt sind in Sachsen zwei Prozent der Menschen von schädlichem Straßenlärm betroffen - rund 81.100 Menschen. Die meisten davon leben in den Ballunsgräumen Leipzig, Dresden, Chemnitz, Plauen und Bautzen. 52.100 Menschen erleben täglich Lärmstärken von 70 bis 74 Dezibel.

In Leipzig und Plauen sind jeweils um die 200 Einwohner sogar von Lärm mit mehr als 75 Dezibel am Tag betroffen, sagt das Umweltbundesamt. Das ist lauter als eine Waschmaschine schleudert oder der Lärm, den Menschen in einem vollen Großraumbüro verursachen.

Ein Personenzug der Deutschen Bahn fährt im Elbtal in Richtung des Tschechischen.
Neben Straßenverkehrslärm neben Schienen gesundheitsgefährdende Lärmlautstärken gemessen. Besonders häufig entlang der Gleise im Elbtal. (Archivfoto) Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Daniel Schäfer

Schädlicher Schienenlärm

Neben vielbefahrenen Autobahnen und Bundesstraßen führen durch 151 von 418 sächsischen Gemeinden auch Hauptverkehrsschienen. Auf denen rollen jeden Tag Hunderte Personen- und Güterzüge durchs Land.

Besonders betroffen ist der Kurort Rathen in der Sächsischen Schweiz an der Bahnstrecke Děčín–Dresden-Neustadt. Auch die S-Bahn-Linie 1 der DB-Regio fährt auf der Strecke, ebenso Güterzüge von und nach Tschechien bzw. Osteuropa. Viele Wohnungen liegen direkt an den Gleisen. 40 Prozent der Einwohner sind tagsüber dem Zuglärm ausgesetzt, nachts sind es sogar 46 Prozent.

"Ja, das ist eine Belastung. Aber wir Einheimischen hören das schon gar nicht mehr", sagt der Bürgermeister Roman Rolof (Freie Wähler). Er wohnt 400 Meter von der Bahn entfernt, seine Frau vermietet an Feriengäste. "Es beschweren sich die Übernachtungsgäste, die solche Geräusche nicht gewöhnt sind." Allerdings habe der Lärm auch noch keine Touristen davon abgeschreckt, wiederzukommen, berichtet er.

Es beschweren sich die Übernachtungsgäste, die solche Geräusche nicht gewöhnt sind.

Roman Rolof (Freie Wähler) Bürgermeister der Gemeinde Rathen

Hoffen und Warten der Anrainer

Dass der Zuglärm bei Einwohnerversammlungen in letzter Zeit nicht mehr angesprochen worden sei, könnte seiner Meinung nach auch damit zu tun haben, dass die Betroffenen wissen, wie zäh Verhandlungen mit der Bahn ablaufen. Oder dass sie auf die Neubaustrecke Dresden - Prag mit einem Volltunnel ab Heidenau setzen. "Alle Gemeinden im Elbtal erhoffen sich von dieser Tunnellösung große Entlastung", so Rolof.

Hinweise zur Grafik: Neben den Gemeinden Rathen, Königstein und Wehlen im Elbtal an der Bahnstrecke Richtung Prag sind von Lärm an der Haupteisenbahnstrecke nach Berlin besonders betroffen: Weinböhla, Niederau und Glaubitz.

Mit Technik und Kontrollen Lärm abfedern

Mit Flüsterschienen habe die Bahn bereits versucht, den Verkehr leiser laufen zu lassen. Auch ein spezielles Feder-System zur Dämpfung der Schienenschwingung um ein Dezibel sei im Einsatz. Der Bürgermeister hat noch andere Ideen gegen Bahn-Lärm: "Man müsste stärker darauf achten, dass die Räder an Güterzügen aus Tschechien und Osteuropa ordentlich justiert sind und weniger rattern. Das könnte man an der Grenze kontrollieren. Man könnte es auch per Gesetz festlegen."

Doch mit diesen Vorschlägen bei der Deutschen Bahn durchzudringen, sei schwierig. "Es ist schon eine Herausforderung, überhaupt einen Verantwortlichen dafür innerhalb des Konzerns zu finden", erzählt Roman Rolof.

Ein Güterzug fährt auf der Bahnstrecke entlang der Elbe durch Königstein.
Links ein Güterzug von vielen, die täglich durch Königstein und durchs Elbtal rattern. Dagegen fallen Straßenverkehr und Schiffsverkehr weniger stark ins Gewicht. (Archivbild) Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Robert Michael

Was bedeutet "starke Belästigung"?

  • Hinter dem Begriff "starke Belästigung" steckt eine statistische Berechnung aus der Lärmwirkungsforschung. Sie soll zeigen, wie viele Menschen sich durch Lärmbelastung erheblich in ihrem Wohlbefinden gestört fühlen. Dabei werden Personengruppen mit erhöhter Empfindlichkeit berücksichtigt, wie Kinder, Kranke, ältere Menschen und Schwangere.
  • Wie sehr Menschen durch Verkehrslärm belastet sind, unterscheidet sich regional stark. Hotspots sind vor allem die Ballungszentren Leipzig und Chemnitz. Aber auch im Erzgebirge müssen viele Menschen entlang von Bundesstraßen mit zu viel Lärm durch Straßenverkehr leben. In den kleinen Gemeinden des oberen Elbtals sind vor allem laute Züge und Güterzüge das Lärmproblem.

Was sind Hauptverkehrswege und Haupteisenbahnstrecken?

  • In Deutschland wird mit Lärmkarten ermittelt, wie viele Menschen einer bestimmten Menge von Verkehrslärm ausgesetzt sind. Grundlage dafür ist die Umgebungslärmrichtlinie der Europäischen Union. Teil der Erhebung sind Ballungsräume mit mehr als 100.000 Einwohnern, Hauptverkehrsstraßen mit einem Verkehrsaufkommen von mehr als drei Millionen Kraftfahrzeugen pro Jahr, Haupteisenbahnstrecken mit einem Verkehrsaufkommen von mehr als 30.000 Zügen pro Jahr und Großflughäfen mit einem Verkehrsaufkommen von mehr als 50.000 Bewegungen pro Jahr.

Lärm bedeutet Stress für den Körper

Auch wenn Anrainer sagen, dass sie den Lärm nicht mehr wahrnehmen würden, weiß der Professor für Sozialmedizin an der Universität Magdeburg, Enno Swart, wie gefährlich zu lauter Alltagslärm auf Dauer sein kann. Im Interview mit dem MDR sagt er: "Lärm macht nicht akut krank, sondern schleichend." Verkehrslärm bewirke im menschlichen Körper Stress und habe unter anderem Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System, den Schlafrhythmus und die Konzentration.

Mann mit Bart lächelt in die Kamera.
Prof. Dr. Enno Swart ist stellvertretender Leiter des Instituts für Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung an der Universität Magdeburg. (Archivbild) Bildrechte: Enno Swart

Außerdem kann Verkehrslärm psychische Krankheiten auslösen, hat eine Studie des Umweltbundesamtes (UBA) belegt. Menschen, die einer hohen Belastung durch Verkehrslärm ausgesetzt sind, haben demnach ein höheres Risiko, an Depressionen und Angststörungen zu erkranken. Das Bundesministerium für Umwelt schreibt: Diese Gesundheitsrisiken treten ab einer Dauerbelastung über etwa 65 Dezibel am Tag auf. Das entspricht dem Rattern einer Nähmaschine oder einem laufenden Fernseher bei Zimmerlautstärke.

Wie wird gesundheitsschädlicher Verkehrslärm gemessen?

  • Die Lautstärke von Verkehrslärm wird in Dezibel (A) L DEN gemessen. Das (A) zeigt an, dass Messwerte dem menschlichen Hörempfinden angepasst werden. Beim L DEN (Tag-Abend-Nacht-Index) wird ein 24-Stunden-Wert für den Lärmpegel berechnet. Das Ruhebedürfnis eines Menschen bleibt nicht über 24 Stunden hinweg gleich. Deshalb gewichtet der L DEN den Tagzeitraum (6-18 Uhr), den Abendzeitraum (18-22 Uhr) und den Nachtzeitraum (22-6 Uhr) unterschiedlich.


  • Für Verkehrslärm gibt es unterschiedliche Grenzwerte. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, durch Straßenverkehr bedingte Lärmpegel auf weniger als 53 dB im Tagesmittel zu verringern, durch Schienenverkehrslärm bedingte Lärmpegel auf weniger als 54 dB. Das Umweltbundesamt setzt die Grenze für beide Lärmarten bei 60 dB.


  • Laut Bundesministerium für Umwelt besteht ab einer Dauerbelastung über etwa 65 dB(A) am Tag ein erhöhtes Gesundheitsrisiko. Ab dieser Schwelle können Änderungen in Stoffwechsel und Hormonhaushalt, Änderung der Gehirnstromaktivität, schlechter Schlaf und Stresssymptome wie Hormonausschüttung nachgewiesen werden. Langfristige Folgen davon können Bluthochdruck und Herzinfarkt sein.

Sachsen beim Lärm leicht über Bundesdurchschnitt

Betrachtet man den Anteil der Betroffenen im Ländervergleich, liegt Sachsen leicht über dem Durchschnitt: Es gibt im Freistaat demnach mehr Betroffene von Lärm an Straßen als im Bundesdurchschnitt. Bei Lärm an Schienen wurden knapp weniger Betroffene als im deutschlandweiten Vergleich gezählt. In Sachsen-Anhalt sind weniger Menschen von Lärm betroffen als in Sachsen. In Thüringen sind je 100 Einwohner besonders wenige Menschen von Schienen- und Straßenlärm betroffen.

Verkehr wird immer lauter

Verkehrslärm sei ein größer werdendes Problem, sagt Sozialmediziner Swart im Interview. Obwohl die Lärmquelle Verkehr große Teile der Bevölkerung betreffe, sei ihr lange nicht genug Aufmerksamkeit zugekommen: "Verkehrslärm wird nach meiner persönlichen Wahrnehmung oft als unvermeidbarer Kollateralschaden der allseits gewünschten und geförderten Mobilität angesehen", findet der Experte.

Auch Sachsens Umweltministerium sieht den Verkehrslärm inzwischen als allgegenwärtig an. "Eine erhebliche Zahl von Betroffenen ist dabei Lärmpegeln ausgesetzt, die als deutliche Beeinträchtigung der Lebensqualität wahrgenommen werden und bei denen auf lange Sicht das Risiko von gesundheitlichen Beeinträchtigungen steigt."

Experte: Lärm besser direkt an der Quelle reduzieren

Viele Betroffene wollen das Lärmproblem verhindern, bevor es überhaupt entsteht. Das deckt sich mit der Meinung des Sozialmediziners Enno Swart. Er meint: "Vorsorge ist besser als Heilen. Im Idealfall legt man die Quelle still, anstatt am Ende mit hohem Aufwand dort zu intervenieren, wo die Emissionen ihre Wirkung entfalten."

Vorsorge ist besser als Heilen.

Enno Swart Professor für Sozialmedizin

Seiner Ansicht nach hilft die Lärmkartierung dabei, Entscheidungsträgern aufzuzeigen, wo die Hotspots des Verkehrslärms liegen, wie viele Menschen davon betroffen sind und was getan werden kann. "Wenn man darüber nichts weiß, kann man sich leicht zurücklehnen, anstatt Maßnahmen zu ergreifen, die unpopulär sind", meint der Experte.

Wunsch und Wirklichkeit in Sachsen

"Dennoch ist eine umfassende Lösung des Verkehrslärmproblems nicht abzusehen", schätzt das sächsische Umweltministerium ein. Es sieht in einer deutlichen und flächendeckenden Minderung der Verkehrslärmbelastung eine "gesamtgesellschaftliche Anstrengung", die nur langfristig möglich sei.

Bürger sollen bei Lärmschutzplanung mitmachen

Gemeinden, die von Lärm durch Straßen- und Zugverkehr betroffen sind, sind nicht nur zu statistischen Berechnungen verpflichtet. Sie müssen auch Lärmaktionspläne aufstellen. Darin sollen Lärmprobleme und Lärmauswirkungen geregelt und ruhige Gebiete vor zunehmendem Lärm geschützt werden. Wer sich an der Planung zum Lärm durch Straßenverkehr in Weinböhla, Meißen, Großenhain, Coswig, Flöha, Großpostwitz und Wilkau-Haßlau beteiligen will, kann sich hier informieren und einbringen.

4 Kommentare

AlexLeipzig vor 7 Wochen

Das Problem mit den dünnen Wänden und den Geräuschen aus der Nachbarschaft habe ich früher auch kennengelernt. Ich hatte zu dieser Zeit häufig Nachtdienste, und am Tag, wenn ich schlafen wollte, habe ich ständig die Nachbarn gehört. Denen konnte ich aber keinen Vorwurf machen, die haben einfach ihr Leben gelebt. Und mich hat es "wahnsinnig" gemacht... Umso mehr finde ich es auch in dieser Hinsicht bedenklich, wenn sich Menschen über angeblich zu hohe Anforderungen an den Wohnungsbau beklagen - ein paar Tage in einer Wohnung mit dünnen Wänden und billigen Fenstern könnten da so manchen zum Umdenken bringen...

geradeaus vor 7 Wochen

Ich weiß noch ne Reporterin vom MDR hatte sich in einem Wohnwagen in eine der Flugschneisen gestellt. Ohne Worte wenn man das jede Nacht ertragen muss, bzw jeden Tag. Nur die Leute die sowas beschließen können das ja nicht nachfühlen wie das ist, wollen die auch gar nicht.

Leipzig ist so eine schöne Stadt. Ich war schon früher gerne dort als ich aufwuchs (Wolfen).

Ich hoffe sie finden eine Lösung für sich.

AlexLeipzig vor 7 Wochen

Eine leichte und schnelle Maßnahme der Lärmreduktion wäre ja schonmal ein Nachtflugverbot am Flughafen Leipzig, so wie anderen (und größeren) Flughäfen üblich.

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