Interview Leipziger Autorin Ruth-Maria Thomas: nicht auf den Osten reduzieren lassen
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20. Oktober 2024, 14:51 Uhr
Ihr Debut-Roman "Die schönste Version" stand auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. Die Leipziger Autorin Ruth-Maria Thomas erzählt darin vom Aufwachsen in der Lausitz, vom Frauwerden, von Liebe und sexualisierter Gewalt. Die Geschichte spielt in der Nachwendezeit. Das wird von Ost- und Westdeutschen sehr unterschiedlich aufgenommen. MDR KULTUR hat die Autorin auf der Frankfurter Buchmesse getroffen.
- In "Die schönste Version" ist die ostdeutsche Provinz der Handlungsrahmen für eine Geschichte über sexualisierte Gewalt und weibliche Selbstfindung.
- Schriftstellerin Ruth-Maria Thomas identifiziert sich mit dem Begriff "ostdeutsche Autorin", will aber nicht auf stereotype Themen reduziert werden.
- Sie wird dennoch oft auf ein bestimmtes Bild vom Osten angesprochen.
Ich glaube, alles spielt ein bisschen eine Rolle. Dass der Roman in der Lausitz spielt, heißt natürlich auch, dass meine Figuren diese abgebaggerten Landschaften irgendwie mit im Rucksack rumtragen. Dass er in einer ostdeutschen Kleinstadt spielt, bedeutet natürlich auch, dass es die Nachwendegeneration ist und die Eltern diesen Umsturz miterlebt haben. Und dass er in einer Kleinstadt spielt und nicht in der Metropole, hat natürlich auch ganz eigene Themen, was Infrastruktur angeht, und ja, all das zusammen bildet quasi den Handlungsspielraum meines Romans.
Wie war hier die Wahrnehmung des Buches: Wurden viele Fragen zu Ostdeutschland gestellt?
Ab und zu schon. Aber das war nicht das Dominanteste. Und das finde ich auch gut so, denn mir war es wichtig, dass ich die Lausitz als selbstverständlichen Handlungsschauplatz setze und auch diese Zeiten: späte Nuller-, frühe Zehner-Jahre. Dass es da einfach spielt, ohne dass ich jetzt ein ostdeutsches Phänomen als homogene Erfahrung versuche darzustellen.
Es gibt nicht diese eine homogene Nachwendeerzählung.
"Der Osten" wird anderereits oft automatisch zum Thema. Welches Bild vom Osten herrscht in Gesprächen über das Buch vor?
Tatsächlich wurde ich schon mehrfach gefragt, warum ich denn das "Nachwende-Setting" nicht stärker benutzt hätte. Es scheint ein Bild zu herrschen, das dann alle gerne immer wieder reproduziert haben wollen: abgebrochene Biografien, kulturelle Benachteiligungen, Rassismus, Armut.
Ich habe es ja auch in Nuancen dargestellt, aber so, wie ich es halt auch damals in meiner eigenen Jugend wahrgenommen habe. Ich weiß nicht, wie sinnvoll das ist, sich als ostdeutsche Autorin dann immer nur mit den stereotypen Ost-Themen beschäftigen zu müssen. Ich finde es fruchtbarer, wenn man das irgendwie mit eingemeindet in die Erzählung und nicht so ausstellt.
Trotzdem bleibt immer diese Zuschreibung oder auch Selbstbeschreibung "ostdeutsche Autorin".
Die Frage ist halt, was man dann daraus macht, aus dieser "ostdeutschen Autorin". Also, ich habe gar nichts gegen diese Zuschreibung. Ich identifiziere mich schon damit und ich weiß, dass die Geschichten meiner Eltern und meiner Familie, die weitergegeben wurden an mich und an meine Geschwister, existieren und da sind. Aber es sind individuelle Geschichten, die teilweise zu kollektiven Erfahrungen werden.
Als ostdeutsche Autorin gelesen zu werden, ist eine Sache, die andere, von wem und wie. Gibt es einen Unterschied, wer einen dazu befragt und wo die Person geboren ist?
Ja, tatsächlich schon. Menschen, die ostdeutsch sozialisiert sind, die freuen sich über das Buch und sagen, sie erkennen sich und ihre Zeit wieder. Aber tatsächlich wird mir von Menschen, die westdeutsch sozialisiert sind, schon oft vorgehalten, dass ich das "Nachwende-Setting" nicht gut genutzt, nicht auserzählt habe. Und da entsteht bei mir schon ein Fragezeichen.
Ich habe damals als Nachwendekind nicht gedacht: So, wir machen jetzt Nachwendesachen.
Es war nicht so, dass ich damals als Nachwendekind gedacht habe: So, ich gehe jetzt mit meinen Nachwendefreunden, und wir machen jetzt Nachwendesachen. Es gibt halt nicht diese eine homogene Nachwendeerzählung, weil es nicht diese eine homogene Nachwendeerfahrung gibt.
Andererseits thematisieren wir das jetzt gerade auch wieder selber. Man ist schon hin- und hergerissen, wenn man feststellt, dass das 2024 noch eine Rolle spielt.
Ja - und vielleicht ist es auch das, was es ist und was es sein darf. Und da darf man nicht müde werden, sich irgendwie hin- und herreißen zu lassen. Man sollte sich nicht in eine Richtung reißen lassen, sondern genau vielleicht in diesem Zwiespalt verharren.
Interview: MDR KULTUR (Ben Hänchen), redaktionelle Bearbeitung: lm, tis
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Kultur Kompakt | 14. Oktober 2024 | 06:30 Uhr