Insektenschutz Blühstreifen in Sachsen werden Bio-Bauern von Öko-Prämie abgezogen
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12. Juni 2021, 07:00 Uhr
Sachsen fördert seit diesem Jahr Blühstreifen in der Landwirtschaft. Bio-Bauern fühlen sich ungerecht behandelt, weil die Förderung von der Öko-Prämie abgezogen wird. Das Ministerium versucht zu erklären und verweist auf ein drohende Doppelförderung - allerdings selbst verursacht, weil die Beamten im Ministerium die Richtlinien für Blühstreifen einfach aus der Öko-Förderung übernommen haben. Kritiker nennen Blühstreifen reine Kosmetik fürs bessere Gewissen. Sie fordern die Förderung von Ackerbrachen.
Sachsen unterstützt das Anlegen von Blühstreifen in der Landwirtschaft. Das soll Insekten schützen und generell für mehr Artenreichtum sorgen. Biologisch wirtschaftenden Bauern wird die finanzielle Unterstützung beim Anlegen eines Blühstreifens auf ihrem Land jedoch auf die Öko-Prämie angerechnet. Das sorgt für Unmut hinter den Kulissen. Mit der Öko-Prämie soll der höhere Arbeitsaufwand und der gegebenenfalls geringere Ertrag durch Verzicht auf Chemie ausgeglichen werden. Blühwiesen sind hingegen keine automatische Voraussetzung für die Öko-Prämie.
Bio-Bauern sprechen von Ungerechtigkeit
Mit öffentlicher Kritik halten sich viele Bio-Bauern dennoch zurück. Prinzipiell sei Blühwiesen-Förderung ja eine gute Sache, lassen sie über ihre Verbände ausrichten. Etwas ungerecht sei die Praxis der Förderung aber schon, räumt Bio-Bauer und Landessprecher der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Danilo Braun aus Oberschöna in Mittelsachsen, ein. Er verweist darauf, dass generell Bio-Bauern bei den sogenannten Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen in Sachsen benachteiligt würden. "Bei jeder dieser Maßnahmen wird die Ökoprämie abgezogen, und das steht nicht im Verhältnis."
Für einzelne Maßnahmen wie späte Mahd seiner Wiesen oder gestaffelte Mahd, die der Artenvielfalt in der Flora durch Selbstaussaat und dem Schutz bodenbrütender Vögel dient, bekomme er im Gegensatz zu konventionellen Kollegen in Großbetrieben keine zusätzlichen Gelder, so Bauer Braun.
Bio-Bauer sieht Förderung von Blühstreifen als Fehler
Bio-Bauer Thomas Fischer aus Hirschstein im Landkreis Meißen bezeichnet die Förderpraxis für Blühstreifen als "klaren Nachteil" für Bio-Bauern. Er hält sie aber ohnehin für unsinnig.
Warum Bio-Bauer Fischer Blühstreifen ablehnt
Für Nachhaltigkeit und Umweltschutz müsse man Ackerbrachen fördern, auf denen sich die Natur einige Jahre selbst ausbreiten und reproduzieren kann, ist Thomas Fischer überzeugt. Die Bauern können auf diesen Flächen dann natürlich nichts produzieren und sollten dafür entschädigt werden. Blühstreifen seien reine Kosmetik zur Beruhigung des Gewissens und sorgten für schöne Bilder mit Politikern, würden aber kaum etwas bringen.
Fischer gilt in der Branche als ausgewiesener, wenn auch streitbarer Fachmann für Umweltschutz. Ein blühender Streifen zwischen Straße und gespritztem Feld sei allenfalls schön anzusehen, helfe aber den Insekten auf Dauer wenig. Sie könnten nur auf und ab fliegen, klatschten auf der einen Seite gegen Autos oder würden auf der anderen Seiten in den mit Chemie gespritzten Monokulturen nicht überleben, ärgert sich der Bio-Bauer. Auch Vögeln böte so ein Streifen kaum Schutz, locke er doch gezielt auch die Füchse an, "die sich nur noch an den Nestern bedienen müssen". Es werde mit Blühstreifen etwas erfunden, was nicht nötig sei, so Fischer. Er erinnert an die – aus dem Geschichtsunterricht allen bekannte - Dreifelder-Wirtschaft, mit der Bauern sesshaft wurden und seinerzeit der Natur noch Raum und den Böden Zeit zur Regeneration gaben. "Wildkräuter und Insekten sind da, man muss ihnen nur Platz geben", so Fischer. Aktuell lägen nur 0,3 bis 0,4 Prozent der verfügbaren Fläche brach, 20 Prozent seien anstrebenswert.
Ministerium: Doppelförderung vermeiden
Aus dem von den Grünen geleiteten sächsischen Landwirtschafts- und Umweltministerium heißt es auf Nachfrage zur Begründung: "Die Auflagen für die Förderung von Blühstreifen sind für konventionelle Betriebe und Ökobetriebe grundsätzlich gleich." Aus rechtlichen Gründen dürfe "es jedoch nicht zu einer Doppelförderung kommen". Diese entsteht jedoch deshalb, weil aus der Förderrichtlinie Ökologischer/Biologischer Landbau "praktisch alle Bewirtschaftungsauflagen" für Blühstreifen in die Förderrichtlinie Insektenschutz und Artenvielfalt übernommen wurden.
Im Ergebnis würden dem Öko-Betrieb für das Anlegen von Blühwiesen eben nur noch "verbleibenden Aufwendungen (Kosten für Saatgut und Aussaat) entschädigt. Die allgemeinen Bewirtschaftungsauflagen werden bereits im Rahmen der Öko-Förderung für die Fläche ausgeglichen".
Darum hat das Ministerium die Förderrichtlinien übernommen
Auf die Frage, aus welchen fachlichen Gründen die Richtlinien für Blühwiesen aus den Richtlinien für die Öko-Prämie übernommen wurden, heißt es: "Die weitgehende Beschränkung der Düngung und der Verzicht auf Pflanzenschutzmittel sind grundsätzlich elementare Bestandteile der Flächenförderung im Naturschutz. Das heißt, Maßnahmen, die auf den Insektenschutz abzielen, müssen den Verzicht auf Pflanzenschutzmittel und den weitgehenden Verzicht auf Düngung als Zuwendungsvoraussetzungen beinhalten."
Schließlich sei der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und das Nährstoffüberangebot wesentliche Einflussfaktoren für den Insektenrückgang. Insofern müssten sich die Anforderungen an den Öko-Landbau einerseits und der Naturschutzfördermaßnahmen hier überschneiden. Entsprechende Vorgaben dazu fänden sich in allen Förderprogrammen in allen Bundesländern, so das Ministerium.
Weiter erklärte das Ministerium: "Jedoch gehen die Anforderungen der Naturschutzfördermaßnahmen über die Anforderungen an den Ökologischen/Biologischen Landbau hinaus. Und diese weitergehenden Anforderungen werden gefördert." Somit erhielten auch Betriebe des Öko-Landbaus eine weitergehende Unterstützung.
Ministerium: Kein Widerspruch zu Zielen grüner Politik
Einen Widerspruch dieser Förderpraxis zu grüner Umwelt- und Landwirtschaftspolitik kann das Ministerium nicht erkennen.
Es handelt sich um die Umsetzung von verpflichtendem EU-Förder- und Beihilferecht. Unabhängig von der Leitung des Ressorts ist dies bindend. Gleichzeitig erwarten wir uns natürlich auch von einer regen Teilnahme konventioneller Betriebe (die in Sachsen ca. 87 Prozent der Betriebe und 92 Prozent der Flächen ausmachen) positive Effekte für die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft.
Noch keine Zahlen zu Anträgen
Ob das Konzept aufgeht, insgesamt mehr Bauern für aktiven Insektenschutz zu gewinnen, steht aktuell noch nicht fest. Frühestens im Juli könne man sagen, wie viele Landwirte die Blühstreifen-Förderung bis zum 17. Mai beantragt haben, so das Ministerium. Bislang sei auch noch kein Fördergeld für neue Blühstreifen ausgezahlt worden. Die Gelder stellt zu 60 Prozent der Bund und zu 40 Prozent der Freistaat zur Verfügung. Mit Steuergeldern angelegte Blühstreifen dürfen Landwirte nicht verwerten – weder als Futter noch für Nahrungsmittel. Zudem müssen die Blühstreifen fünf Jahre stehen bleiben und so auch im Winter Insektenlarven Unterschlupf bieten.
Das bekommt der Landwirt für Blühstreifen
Naturschutz-Planerin Katrin Butler, die unter anderem Landwirte in Förderfragen berät, rechnet vor: Bio-Landwirte erhalten 679 Euro pro Hektar Blühstreifen und Jahr (+ Öko-Prämie 230 Euro/Hektar + Basisprämie rund 300 Euro/Hektar). Das sei genau so viel, wie ein Nicht-Öko-Landwirt (909 Euro/Hektar Blühstreifen + 300 Euro Basisprämie) bekommt.
Der Blühstreifen eines Bio-Bauern ist laut dieser Rechnung den Behörden damit 230 Euro Förderung weniger wert als derselbe Blühstreifen eines konventionellen Betriebs.
Patenschaften und Blumen fürs Image
Alternative Fördermöglichkeiten für Blühstreifen gebe es derzeit nicht, erklärte die Fachfrau. Einige Firmen würden aus Image-Gründen aber Blühstreifen bei ihren Zulieferern fördern, so etwa eine Mühle in Dresden. Manche Landwirte - auch in Sachsen - helfen sich selbst und verkaufen Patenschaften für Blühflächen an Menschen mit Interesse an Naturschutz, Artenvielfalt und Nachhaltigkeit.
Quelle: MDR/lam
THOMAS H am 13.06.2021
Tante Droll: Sie schreiben, daß die heutige Art der Landwirtschaft zu Stundenlöhnen von 10 € führt. Dieser Stundenlohn ist in vielen anderen Branchen auch üblich, so daß die Verantwortung der Verbraucher sehr eingeschränkt ist, wobei darunter auch die Leichtmetallfelgen fallen. Ich glaube nicht, daß die Menschen, welche z. B. das "billige" Fleisch oder Gemüse kaufen, sich Leichtmetallfelgen leisten, bevor die Kinder und sie selbst mit Nahrungsmitteln versorgt sind. Es ist m. M. sogar so, daß die Menschen, welche es sich finanziell leisten könnten, auch auf die "billige" Ware zurückgreifen.
Ebenso stellt sich die Frage: Sind die teuren Lebensmittel immer die Gesünderen? Z. B. Gift in Rohmilch, da die Kühe nicht nur die Bergwiesenkräuter gefressen, sondern auch vom Bergahorn genascht haben.
Es muß, in Bezug der Lebensmittelerzeugung, m. M. endlich von oben herunter ein Umdenken stattfinden und nicht der Profit im Vordergrund (damit meine ich nicht in erster Linie die Landwirte) stehen.
Hilde77 am 12.06.2021
@Redaktion: Schon der Titel ist falsch! Die Ökoprämie wird von der Blühstreifenprämie abgezogen - nicht anders herum (schon aufgrund der Höhe).
Und Frau Butler hat es korrekt vorgerechnet - Ökobauern bekommen auf dem Blühstreifen in der Summe die gleiche Prämie wie konventionelle Bauern! Nur darf der Verzicht auf Dünger und Pflanzenschutz nun einmal nur einmal per Prämie gefördert werden. So ist die Vorgabe der EU bzw. WTO. Einen (in vielen Fällen wünschenswerten) zusätzlichen Anreiz darf die Prämie (leider) nicht enthalten. Der wäre durchaus angebracht - da hat Herr Fischer durchaus Recht, denn eingebettet in Ökofelder ist der Nutzen von Blühstreifen höher. Und auch das Brachen in vielen Fällen günstiger sind als Blühflächen ist durchaus korrekt. Nur hätte im Zusammenhang mit der Kritik auch dsrauf hingewiesen werden müssen, das neben Blühflächen und - Streifen eben auch Brachefläachen und - Streifen gefördert werden!
Alles in allem leider ein tendenziöser Artikel... Schade...
AlexLeipzig am 12.06.2021
Harry, ich glaube, Sie wissen, was ich meine. Es geht um halbwegs intakte Naturräume, die Insekten und anderen Tieren Lebensräume bieten und einen Teil zur Erhaltung der Artenvielfalt und des Klimaschutzes beitragen. Ich habe nicht von prähistorischen Urwäldern gesprochen. Wieso Sie die Verbesserung von lokalen Umweltbedingungen als "vermeintlich grüne Themen" verunglimpfen, kann man mit gesundem Menschenverstand wohl eher nicht nachvollziehen.