Industrie Kürzere Arbeitszeit: In Thüringen profitieren Tausende Beschäftigte

01. März 2023, 14:28 Uhr

Unterschiede zwischen Ost und West sind auch mehr als 30 Jahre nach der politischen Wende noch immer vorhanden. Zum Beispiel bei der Arbeitszeit: In Vollzeit-Jobs lag die durchschnittliche Wochenarbeitszeit nach Daten des Hans-Böckler-Instituts im Westen noch im Jahr 2020 bei 37,6 Stunden, im Osten bei 38,6. In der Metall- und Elektro-Industrie arbeiten Beschäftigte gemäß Flächentarifvertrag 35 Stunden, im Osten sind es 38. Doch in der Branche gibt es seit einem Jahr Bewegung.

Für die Gewerkschaft IG Metall ist es eine Erfolgsmeldung: Seit für den Jahreswechsel 2021/22 in Thüringen zwischen dem Arbeitgeberverband VMET und der Gewerkschaft vereinbart wurde, dass Unternehmen die Arbeitszeit von den tarifvertraglich vereinbarten 38 Stunden auf das West-Niveau mit 35 absenken können, haben 20 Unternehmen entsprechende Vereinbarungen mit ihren Betriebsräten geschlossen.

In der Regel bedeutet das einen mehrstufigen Übergang. Im Fall der Carl Zeiss AG etwa ist vereinbart, dass der Übergang bis Ende 2024 erfolgt sein soll. Wer dann weiterhin mehr arbeiten möchte, bekommt entsprechend mehr Geld.

Ähnliche Vereinbarungen haben auch Bosch in Erfurt, BMW Fahrzeugtechnik in Eisenach, der Sanitärtechnik-Hersteller Viega in Großheringen, der Autozulieferer Musashi in Leinefelde, Kelvion im Altenburger Land, die Samag-Gruppe aus Saalfeld und einige andere abgeschlossen. Insgesamt fallen mehrere Tausend Beschäftigte unter solche Vereinbarungen. Eine genaue Beschäftigtenzahl konnte die Gewerkschaft auf ihrer Bezirkskonferenz am Dienstag in Weimar aber nicht nennen.

Sogwirkung durch kürzere Arbeitszeiten

Auf der Konferenz des Bezirks Mitte für das Saarland, Rheinland-Pfalz, Hessen und Thüringen stellte Bezirkschef Jörg Köhlinger die Thüringer Entwicklung als Erfolg dar. "In zwölf weiteren Betrieben laufen Verhandlungen über die Einführung der 35-Stunden-Woche", sagte er. "Und ich gehe davon aus, dass das eine Sogwirkung entfalten wird. Die Zahl derjenigen, die im Wettbewerb um Fachkräfte mitziehen müssen, wird zunehmen." Die Gewerkschaft weiß: Wo Mitarbeiter gesucht sind und der Arbeitsmarkt leer gefegt ist, dort könnte die Arbeitszeit den Ausschlag geben.

Indes will der Arbeitgeberverband VMET die Entwicklung nicht weiter kommentieren. Der Tarifvertrag gebe die Angleichung der Arbeitszeit her. Der Rest sei eine Sache zwischen einzelnen Betrieben und ihren Beschäftigten, sagte eine Sprecherin MDR THÜRINGEN.

Mancherorts eher Existenzangst als Arbeitszeit-Probleme

Gewerkschaftsboss Köhlinger ist aber bei allem Fokus auf Arbeitszeiten auch klar: Es gibt Betriebe im Land, da herrscht eher Existenzangst. Das wurde in den Diskussionsbeiträgen auf der Konferenz deutlich. So werde bei Opel in Eisenach der Wettbewerb zwischen den Standorten der Stellantis-Gruppe als besonders hart wahrgenommen.

Nur wer billiger produziere, bekomme neue Aufträge. Für den Zulieferer Lear in Eisenach, der Sitze für den Opel Grandland liefert, gebe es nach Auslaufen des aktuellen Modells noch keinen Anschlussvertrag. Schon der Branchenverband Automotive hatte vor mehr als zwei Jahren in einer Studie Probleme beim Strukturwandel in der Branche unter anderem im Wartburgkreis, im Kreis Gotha und im Kreis Sömmerda erwartet.

Zudem monierte der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Erfurt, Ilko Vehlow, der Strukturwandel in der Autoindustrie hin zur Elektromobilität finde sich in Thüringen noch zu wenig wieder. Im großen CATL-Batteriewerk am Erfurter Kreuz arbeiteten noch immer mehr Chinesen als Thüringer, die Fachkräfte-Suche kommt nicht voran. Und auch die Zukunft des Mercedes-Motorenwerks in Kölleda gilt nicht als gesichert, auch wenn der Freistaat Thüringen Fördermittel für einen Umbau in Aussicht gestellt hat.

35 Stunden allein sichern keine Jobs

Arbeitszeit ist also nicht alles: "Gute Arbeitsbedingungen sind alleine keine Arbeitsplatzgarantie", so Köhlinger. Natürlich gebe es Unternehmen, die am Verbrenner festhalten - und wenn der nach und nach auslaufe, den Betrieb einstellten. "Aber wir treten dafür ein, dass für jeden Betrieb Zukunftsbilder entworfen werden." Da falle der IG Metall häufig die Rolle eines kritischen Co-Managers zu.

Und dass es bedrohte Standorte gibt, wurde auf der Konferenz deutlich. Zum IG Metall Bezirk Mitte gehört Thüringen im Osten nämlich ebenso wie das Saarland im Westen. Und dort soll ein großes Werk des Autoherstellers Ford mit mehr als 4.000 Arbeitsplätzen geschlossen werden. Ob es wirklich so kommt, ist noch offen - aber die Gewerkschaft gibt sich schon mal kämpferisch.

Mehr zur Metall- und Elektro-Industrie in Thüringen

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels haben wir geschrieben, dass Bosch in Eisenach verkürzte Arbeitszeiten hätte. Das ist falsch. Das gibt es bisher nur für Arbeitnehmer bei Bosch am Standort Erfurt.

MDR (jn)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 28. Februar 2023 | 19:00 Uhr

37 Kommentare

Fakt am 02.03.2023

@Mikro:

Sie haben sich noch nie im Leben verschrieben, oder was soll diese Korinthenkackerei? Bei ausreichendem Leseverständnis kommt man sehr leicht zu dem Schluss, dass es "...als im Westen" heißen sollte.

Micha R am 02.03.2023

@ Wessi
Ich schrieb von Lohnempfängern und nicht etwa von Gehaltsempfängern!
Zur Erinnerung: Der Begriff Gehalt wird in der Regel verwendet, wer als AN jeden Monat eine feste Summe als Monatsgehalt bekommt. Der Begriff Lohn hingegen wird verwendet, wenn Arbeitnehmer beispielsweise pro Stunde, also nach Stundenlohn, bezahlt werden. Die Höhe des Monatslohns hängt dann davon ab, wie viele Stunden der AN gearbeitet hat.

Ralf G am 02.03.2023

@Wessi - Wenn man die Betriebszeitung von Bosch liest, könnte man glauben es wäre ein Produkt der Grünen. Und wenn diese Konzernspitze jetzt mit der Gewerkschaft ganz vorsichtig Alarm schlägt, dann ist es ernst.
Bosch ist bei Umstrukturierungen schnell. Es gilt das Prinzip, für die Kunden vor Ort zu fertigen.
Ein 35 h Job nützt den Thüringern nichts, wenn er im Ausland ist.

Natürlich erfolgt die Umstellung (bzw. ist schon erfolgt) auf E-Antriebe einschließlich Batterieproduktion. Sie wird aber sowohl bei Bosch, wie in der gesamten Branche nur einen kleineren Teil der Beschäftigten auffangen.

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