Rainer Hohberg bei der Auszeichnung zum "Thüringer des Monats" im August 2023.
Rainer Hohberg ist im August 2023 "Thüringer des Monats" geworden. Von der Abstimmung zum "Thüringer des Jahres" wurde er nun ausgeschlossen. Bildrechte: MDR/Jens Borghardt

Kritik an Auszeichnung Rainer Hohberg, die Stasi und das Schloss Hummelshain

08. Dezember 2023, 09:00 Uhr

Im August dieses Jahres zeichneten die Thüringer Ehrenamtsstiftung und MDR THÜRINGEN Rainer Hohberg als "Thüringer des Monats" aus. Geehrt wurde das Engagement für Erhalt und öffentliche Nutzung der Schlossanlagen in Hummelshain. Jetzt am Jahresende könnte Hohberg auch zum Thüringer des Jahres gewählt werden - wäre da nicht seine Verstrickung als ehemaliger Stasi-Mitarbeiter. Deshalb wurde er jetzt von der Kandidatenliste genommen.

Rainer Hohberg ist ein engagierter Zeitgenosse. Der Schriftsteller aus dem Saale-Holzland-Kreis ist vielen bekannt durch seine Artikel und Bücher über "Thüringer Sagengeheimnisse", über den jungen Eisenacher Johann Sebastian Bach oder die Heilige Elisabeth von Thüringen. Vor allem aber setzt er sich mit einem Verein für den Erhalt eines bedeutenden Baudenkmals in seiner Heimat ein. Gleichzeitig steht aktuell seine IM-Vergangenheit wieder im Raum.

Muss man die (Un-)Taten von früher und das Engagement von heute trennen? Diese Frage stellt sich, seit Rainer Hohberg aus Hummelshain im August zum Thüringer des Monats gekürt wurde.

Der 71-Jährige erhielt die Auszeichnung für sein Engagement rund um die Erhaltung und öffentliche Nutzung des neuen Schlosses Hummelshain. Als Vorsitzender eines 1998 von ihm mitbegründeten Vereins war er von Mitgliedern für die Ehrung vorgeschlagen worden. Ihm gelang es im Lauf der Jahre, etwa zwei Millionen Euro an Fördermitteln einzuwerben für das Residenzschloss aus dem späten 19. Jahrhundert, das 2017 als Baudenkmal von nationaler Bedeutung eingestuft wurde.

Kritik an der Preisverleihung

Nach der Ehrung allerdings gab es irritierte Reaktionen. Zum Beispiel wurde der MDR von einem Zuschauer auf die IM-Tätigkeit von Rainer Hohberg hingewiesen und die Frage gestellt, ob Hohbergs Vergangenheit überhaupt keine Rolle bei einer solchen Würdigung spiele.

Thüringer des Monats August: Rainer Hohberg aus Hummelshain
Im August wurde Hohberg (hier mit Urkunde) von MDR THÜRINGEN und der Thüringer Ehrenamtsstiftung als Thüringer des Monats ausgezeichnet. Bildrechte: MDR/Jens Borghardt

Dass Rainer Hohberg Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) war, hatte die Geschichtswerkstatt Jena 2010 den Lesern ihrer Zeitschrift "Gerbergasse 18" bekannt gemacht. In einem Artikel beschrieb der Jenaer Journalist Heinz Voigt ausführlich die mehr als ein Jahrzehnt währende intensive Zusammenarbeit von Hohberg mit dem Ministerium für Staatssicherheit. Der Artikel war und ist auch beim Wikipedia-Eintrag zu Rainer Hohberg in den Fußnoten verlinkt.

Heinz Voigt beginnt seinen Artikel mit der Beschreibung der schriftstellerischen/publizistischen Tätigkeit von Hohberg als "Sagendetektiv" der Ostthüringer Zeitung in den frühen 2000er Jahren. Und er endet mit der Empörung über die Kür von Rainer Hohberg zum Tübinger Stadtschreiber 1990. Beide Male geht die Kritik weniger an Hohberg als an die ihn hofierenden Institutionen.

400 Seiten Stasi-Akten

Die Kritik rührt offenbar aus der Kenntnis, die sich Heinz Voigt durch Einsichtnahme der Stasi-Unterlagen über den IM mit dem Decknamen "Gipfel" verschafft hat. Demnach war SED-Mitglied Hohberg bereits seit Mitte der 70er Jahre für den Geheimdienst tätig.

MDR THÜRINGEN hat jetzt die etwa 400 Seiten umfassende Akte eingesehen, in ihr wird im Wesentlichen bestätigt, was 2010 veröffentlicht wurde.

Kurz zusammengefasst belegen die Akten eine Berichts-Tätigkeit des in Eisenach geborenen Hohberg am Leipziger Literaturinstitut ab 1977. Seine Stimmungsberichte und geheimen Auskünfte über Studierende, die sich kritisch zur DDR-Militärpolitik und zum Wehrkundeunterricht äußerten, müssen demnach offenbar im Zusammenhang gesehen werden mit der Aussicht, als Werber im "Operationsgebiet BRD" eingesetzt zu werden.

Spitzeltätigkeit und Anwerbung im "Operationsgebiet BRD"

Rainer Hohberg wurde als "IM Gipfel" von seinen Führungsoffizieren systematisch aufgebaut. 1978/79 durchlief er intensive Schulungen, es gab erste Aufträge zur Kontaktanbahnung mit BRD-Bürgern im Umfeld der Leipziger Dokumentarfilmwoche. Später reiste Hohberg im Auftrag der Stasi nach Westberlin, offiziell als Märchenforscher/Kinderbuchautor, der in der Staatsbibliothek in der DDR nicht vorhandene Titel aus dem 19. Jahrhundert sucht, inoffiziell mit einer Fülle von Beobachtungs- und Kontaktaufgaben.

Im Kern ging es offenbar um die Suche nach einem Doppelgänger, unter dessen Identität geheimdienstliche Tätigkeit möglich sein würde. Auch weitere Missionen Hohbergs wurden von der Stasi als "Studienaufenthalte" getarnt, dienten aber unter anderem dazu, mit potenziellen westdeutschen Informanten Kontakt aufzunehmen. Für die Bewertung von Hohbergs geheimdienstlichen Aktivitäten spricht unter anderem die Auszeichnung 1987 mit der Verdienstmedaille der Nationalen Volksarmee in Bronze. Die Tätigkeiten Hohbergs für das MfS sind bis zum späten Oktober 1989 nachweisbar.

Alles Schnee von gestern?

Die Ehrung zum "Thüringer des Monats" steht auf den ersten Blick in keinem Zusammenhang mit der aktiven Verstrickung Hohbergs in das MfS, vorderhand unterstützt und popularisiert sie die ehrenwerten Bemühungen eines Thüringer Vereins um ein national bedeutsames Baudenkmal. In der Fixierung auf Rainer Hohberg allerdings bekommt der Verein "ein Gesicht" (so wie es die Ehrenamtsstiftung als Zweck dieser Auszeichnung definiert). Wenn nun aber dieses Gesicht, diese Person so in das Rampenlicht gestellt wird, kann es kaum verwundern, wenn auch deren Schattenseiten zur Sprache kommen.

Nun ist die Auszeichnung keine für Zivilcourage oder für besondere Verdienste um die Erinnerungskultur in Sachen DDR-Unrecht. Dennoch wird durch die Auszeichnung Hohbergs bei gleichzeitigem Verschweigen seiner IM-Karriere letztere relativiert, "normalisiert" und aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt.

Stattdessen - so sieht es der Thüringer Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der DDR-Diktatur Peter Wurschi, komme es gerade jetzt angesichts aktueller Debatten um die Erinnerungskultur darauf an, sich dem großen Rucksack an guten, schlechten und ambivalenten Erfahrungen zu stellen und klar und sauber mit ihnen zu argumentieren:

Dass wir die DDR-Vergangenheit nicht einfach wegräumen können, das sehen wir in all den Thematiken und Gesprächen, die wir heute im Jahr 2023 führen [...] Wer sind wir Ostdeutschen, wo gehen wir hin? Welche Vergangenheitsbewältigung haben wir? Welche Überlegungen haben wir auch zur Demokratie? Also man kann nicht sagen, 1989 - es gab ein Davor und ein Danach, das war eine Zäsur. Aber vor der Zäsur gab es ein Leben, und ich glaube, diesem Leben müssen wir uns alle auch stellen.

Dr. Peter Wursch Thüringer Landesbeauftragter für die Aufarbeitung der DDR-Diktatur

Eingeständnis und Rechtfertigungsversuch

Rainer Hohberg ist um eine Stellungnahme gebeten worden. Er zeigt sich enttäuscht, und schreibt, dass es bei solchen Interventionen nur selten um historische Aufklärung ginge, sehr oft um Missgunst. Hohberg verweist darauf, dass seine Tätigkeit als "Kundschafter des Friedens" lange bekannt gewesen sei:

Meiner Wahl in den Gemeinderat meines Heimatortes ging eine öffentliche Diskussion und eine Rücksprache mit dem Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen voraus.

Rainer Hohberg in einem Schreiben an den MDR, Dezember 2023

Weiter vertritt Rainer Hohberg die Auffassung, dass der Artikel von Heinz Voigt aus dem Jahr 2010 voller Entstellungen und auch Lügen sei. Schon nach Erscheinen des Artikels von 2010 hatte sich Hohberg in einem auf seiner Webseite nachlesbaren Artikel zu den Anwürfen von Heinz Voigt geäußert und sich zu seiner IM-Tätigkeit bekannt. Er rechtfertigte sie aus der besonderen Situation des Kalten Krieges heraus, führte die vielen westdeutschen Agenten in der DDR als nachträgliche Rechtfertigung für sich an. Die Auseinandersetzung um seine IM-Tätigkeit sei eine persönliche Fehde seitens (des 2014  verstorbenen) Heinz Voigt.

Bei Schloss Hummelshain geht die Sonne unter.
Schloss Hummelshain ist ein national bekanntes Denkmal, dem sich Rainer Hohberg verschrieben hat. Bildrechte: Daniel Suppe

Der Jenaer Historiker Daniel Börner sieht in diesen Äußerungen "literarische Nebelkerzen", "pauschale Gegenvorwürfe" und die "typischen Phrasen". Er weist auf einen weiteren Aspekt hin: Das neue Schloss Hummelshain diente zu DDR-Zeiten als Jugendwerkhof - unter dem zynischen Namen "Ehre der Arbeit".

Wie wird im Zuge der Restaurierung mit dieser Vergangenheit umgegangen? Meines Erachtens gilt es, auch diese Geschichte des Ortes 'vor dem Vergessenwerden zu bewahren', wie es sinnbildlich in der Berichterstattung zur Preisverleihung im August hieß. Der Fall Rainer Hohberg zeigt erneut, dass sich die vermeintlich alten Stasi-Geschichten auch über 30 Jahre nach Ende der DDR nicht einfach erledigt haben.

Daniel Börner, Historiker

Karriere - offen und verdeckt

Hohbergs Fähigkeiten lassen sich als direktes Ergebnis seiner Identifikation mit der Macht in der DDR darstellen. Die zuständigen Organe hatten den Freundschaftspionierleiter, stellvertretenden Vorsitzenden der FDJ-Kreisleitung in Arnstadt und Absolventen der SED-Parteischule nach seinem literarischen Debüt 1975 (ein Kinderbuch über Bach in Eisenach) zum Studium an das Leipziger Literaturinstitut zugelassen, die Förderung dort, die Forcierung seiner Laufbahn (unter anderem mit literarischen Arbeiten für den Rundfunk der DDR) bis hin zur Mitgliedschaft im Schriftstellerverband wären ohne die SED-Mitgliedschaft und ohne die Kooperation mit dem MfS vermutlich so nicht möglich gewesen. Eine Halbtags-Anstellung bei "Jena-Information" versorgte Rainer Hohberg finanziell und ließ zugleich Platz für schriftstellerische Tätigkeit -  und für die Arbeit als IM.

Das Recherchieren, Kontakte anbahnen und Organisieren sind Fähigkeiten, die Rainer Hohberg durch die IM-Tätigkeit ausbaute. Heute kann er sie nutzen, zum Beispiel für seine vielen Publikationen zu Geschichte rund um das Schloss Hummelshain oder für das Netzwerken und das Verfassen von Berichts- und Antragsprosa.

Aber spricht das gegen eine Auszeichnung für sein Engagement in Sachen Baudenkmal? Zumal sein Verein schon mehrere andere Ehrungen erhalten hat?

Ausschluss aus der Kandidatenliste

Was vor allem gegen die öffentliche Ehrung Hohbergs spricht: Unauflösbar wertet die Würdigung der Person auch ihre Vergangenheit auf, ihr So-Geworden-Sein. Möglicherweise ist das auch ein tieferer Grund für Hohbergs Engagement, die Sehnsucht nach gesellschaftlicher Anerkennung, nach "Reinwaschung" durch öffentliche Institutionen.

Die Thüringer Ehrenamtsstiftung und MDR THÜRINGEN haben jetzt mitgeteilt, dass sie Rainer Hohberg nicht zur Wahl stellen, wenn nun das Publikum über den "Thüringer des Jahres" abstimmt. Zur Begründung heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Frank Krätzschmar, Vorstandsvorsitzender der Thüringer Ehrenamtsstiftung und Boris Lochthofen, Direktor des MDR-Landesfunkhauses Thüringen:

"Der MDR hat ebenso wie viele andere Institutionen in den zurückliegenden Jahren sehr schmerzhaft die Verwicklung von eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in die kriminellen Praktiken des totalitären Staates DDR aufgearbeitet. Ebenso haben wir recherchiert und berichtet, wenn es beispielsweise bezüglich von Landtagsabgeordneten oder anderen Personen des öffentlichen Lebens entsprechende Hinweise gab.

Eine belegte Tätigkeit für den Repressionsapparat der Staatssicherheit kann in unserem Selbstverständnis und auch in der Art und Weise, wie wir über die im Rahmen unserer gemeinsamen Aktion ausgezeichneten Menschen berichteten, nicht mit der Auszeichnung "Thüringer des Jahres" zusammengehen. Wir verstehen die Vorbildwirkung und Würdigung umfassend. Dem steht aus unserer Sicht jedoch Ihre nachgewiesene Tätigkeit für die Staatssicherheit klar entgegen."

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 16. Dezember 2023 | 19:00 Uhr

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