Ernährungssicherheit Blumenkohl ade: Warum in Thüringen viel weniger Gemüse angebaut wird

08. April 2023, 11:59 Uhr

Schon seit Jahren gehen die Zahlen zurück - doch in dieser Saison wird in Thüringen noch deutlich weniger Gemüse angebaut. Regionale Produkte werden rar. Woran liegt das und was hat der Klimawandel damit zu tun?

Wo bleibt der Abgesang? Haben Thüringer Konsumentinnen und Konsumenten - bei Würsten und Klößen eigentlich durchaus patriotisch veranlagt - den Abgang des Kohls einfach noch nicht bemerkt? Fest steht: Unter anderem der Blumenkohl wird auf Märkten und kleinen Kaufhallen in diesem Jahr kaum mehr aus der Region kommen.

40 Prozent weniger als vergangenes Jahr

Viele Landwirte haben in den vergangenen Wochen die Produktion von Gemüse entweder heruntergefahren oder gar ganz eingestellt und stattdessen Getreide angebaut. 40 Prozent weniger Gemüse als im Vergleich zum Vorjahr sind es beispielsweise beim Gemüsebetrieb Fischer in Dittelstedt bei Erfurt. Kartoffeln, Kohlsorten oder auch Zucchini - von allem wird es in dieser Saison im Hofladen oder auf den Marktständen von Fischer weniger geben.

Die gestiegenen Kosten fressen so viel auf.

Lars Fischer Gemüse Fischer

Lars Fischer führt mit seinem Bruder den Betrieb, während des Interviews rauft er sich die Haare: "Die gestiegenen Kosten fressen so viel auf, dass wir das selbst mit unserer Direktvermarktung eigentlich fast nicht mehr kompensieren können." Neben den Energiepreisen sind es dabei vor allem die Kosten für Dünger und Pflanzenschutzmittel, die dem Betrieb zu schaffen machen.

"Seit zwei Jahren in etwa sind die Preise da explodiert", sagt Fischer. Das führe dazu, dass sein Betrieb eh schon versuche, so wenig wie möglich Chemie auf die Flächen zu bringen.

Zwischen Pflanzenschutz und Verbraucherwünschen gefangen

Gemüsebauern wie Lars Fischer sind in der Zwickmühle: Einerseits seien Verbraucherinnen und Verbraucher oft nicht bereit, für regionales Gemüse mehr zu bezahlen. Gleichzeitig verändern sich die Rahmenbedingungen für den Anbau, beispielsweise durch die geltende Düngeverordnung, die den Betrieben verbietet, zu viel Düngemittel auszubringen - unter anderem zum Schutz der Trinkwasserqualität. "Gerade der Blumenkohl braucht aber viel Stickstoff und da wird es dann für uns extrem schwierig, noch gute Qualitäten hinzubekommen", klagt Lars Fischer.

Als Konsequenz haben nach MDR THÜRINGEN-Informationen in den vergangenen Monaten zwei Thüringer Betriebe die Blumenkohlproduktion komplett eingestellt, die sich auf das Gemüse spezialisiert hatten. Diese haben bisher den Bärenanteil im Freistaat produziert. Die Folge: Die Kohlsorte wird nun nur noch in ganz geringen Mengen regional in Thüringen erhältlich sein.

Auch Klimawandel bedroht Gemüseanbau

Erschwerend kommt hinzu: Zwar ist der Fischer-Betrieb noch in halbwegs komfortabler Lage, da es zwei Brunnen gibt, von denen das Wasser auf die Felder gebracht werden kann. Doch in den vergangenen, sehr trockenen Jahren sei die Verfügbarkeit von Wasser einer der Hauptgründe gewesen, warum Gemüse immer unrentabler wurde, erzählt Lars Fischer: "Wenn es ein normales Jahr ist, können wir mit den Brunnen schon ausgleichen und steuern. Aber das gelingt in diesen trockenen Jahren nicht und dann fehlt es eben an Qualität und Menge. Und dann kommt die wirtschaftliche Schieflage eben noch schneller."

Und Schieflage bedeute eben konkret, dass ausländische Produkte billiger sind und Getreide - verkürzt formuliert - deutlich pflegeleichter im Anbau ist.

Erntemenge deutlich zurückgegangen

Der Blick auf die Zahlen des Thüringer Landesamtes für Statistik zeigt, dass in den vergangenen vier Jahren die geerntete Menge von Freilandgemüse insgesamt um rund 35 Prozent gesunken ist - auf zuletzt gut 13.500 Tonnen. Allein von 2021 auf 2022 lag das Minus bei 20 Prozent. Auch die Zahlen für den Blumenkohl zeigen nach unten - von den gut 600 produzierten Tonnen im vergangenen Jahr dürfte 2023 wegen der Produktionsstops so gut wie nichts mehr übrig bleiben.

Die zweite Grafik (nach rechts klicken) zeigt zudem, wie sich die Erträge pro Fläche verhalten. Am Beispiel Eichblattsalat lassen sich die trockenen Jahre 2018 bis 2021 ablesen - der Blumenkohl zeigte sich vor allem ab 2020 weniger ertragreich.

Drohender Know-How-Verlust und mehr Importe

"Wir haben schon seit längerem die Tendenz, dass Flächen im Freilandanbau zurückgehen", sagt Joachim Lissner, Geschäftsführer des Thüringer Gartenbauverbands. "Aber vom vergangenen zu diesem Jahr ist es ganz deutlich." Bei den Betrieben, die im Verband organisiert seien, würden in diesem Jahr auf etwa 140 Hektar weniger Gemüse angesät und geerntet.

Das Fachwissen und die Leute gehen dann verloren.

Joachim Lissner Landesgartenbauverband Thüringen

Die Produzenten könnten im Großhandel einfach nicht ihre gestiegenen Preise weitergeben. Lissner sieht wie Lars Fischer ähnliche Gründe für die verzwickte Lage der Betriebe: Neben den gestiegenen Düngemittel- oder Kraftstoffpreisen käme auch noch der Mindestlohn für Erntehelfer hinzu.

Lissner warnt in diesem Zusammenhang: "Mit dem Verlust der Produktion gehen auch das Wissen und die Fachleute verloren. Die Leute im Freilandanbau sind dann einfach weg." Auch in Sachen Nachhaltigkeit bringe die verringerte regionale Produktion Nachteile, wenn das Gemüse stattdessen vermehrt aus anderen Ländern importiert werden muss.

Auch Biohöfe vor Herausforderungen

Doch es sind nicht nur konventionell wirtschaftende Betriebe, die derzeit ihre Produktion umstellen müssen. "Die Biobetriebe haben es unter Umständen noch schwerer", meint Joachim Lissner vom Gartenbauverband. Ihre Produkte wären zwar auch ein bisschen teurer geworden, "doch die Verbraucher sind einfach nicht bereit, das so mitzutragen und zu zahlen."

Mitte März kündigte beispielsweise der Biohof in Gera-Aga an, wegen der hohen Energiekosten keine Gurken im Gewächshaus mehr herzustellen. Die Nachttemperatur im Gewächshaus, das zu einem der größten dieser Art in Deutschland zählt, würde demnach von 17 auf zehn Grad reduziert. Statt mit Gurken hofft der Hof, die Kundschaft nunmehr mit Salaten oder Mini-Melonen überzeugen zu können.

Gewächshaus mit Gurkenpflanzen
Gurken haben es gerne warm zum Saisonstart. Wenn es nachts im Gewächshaus zu kühl ist, gedeihen die Pflanzen nicht. Bildrechte: imago/Bild13

Landwirtschaftsministerium kann bisher wenig machen

Auch das Thüringer Landwirtschaftsministerium hat den Trend erkannt und beobachtet den Rückgang beim Freilandgemüse "mit Sorge". Vorwiegend beschränkt auf die Unterstützung mit Zuschüssen, verweist das Ministerium auf Anfrage auf verschiedene Förderinstrumente, mit denen gärtnerische und landwirtschaftliche Betrieben Investitionen erleichtert werden sollen. Doch diese Mittel werden laut Ministerium "bislang unterdurchschnittlich abgerufen".

Eine andere Möglichkeit könnten sogenannte Mehrgefahrenversicherungen sein, für die das Land Thüringen eigenen Angaben zufolge gerade Zuschüsse plant, und die eine Versicherung gegen klimakrisenbedingte Ertragsschäden wie zum Beispiel Trockenheit bieten können. Schlussendlich, so schreibt das Ministerium, setze sich Agrarministerin Susanna Karawanskij (Linke) auch für eine niedrigere Mehrwertsteuer bei Obst und Gemüse ein, um die regionale Nachfrage auf diese Weise zu steigern.

Zuletzt hatte auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) eine solche Steuererleichterung ins Gespräch gebracht - mit dem Motiv, die Verbraucherinnen und Verbraucher zu entlasten.

Hoffnung auf bewussteres Kaufverhalten

Gemüsebauern wie den Fischers ist bewusst, wie angespannt die finanzielle Situation für viele Konsumentinnen und Konsumenten in den vergangenen Monaten geworden ist. Sie plädieren dennoch für mehr regionalen - und damit auch in Teilen teureren Einkauf. "Es gibt nach wie vor genügend Menschen, die genug im Geldbeutel hätten, um regional einzukaufen, die es trotzdem nicht tun", ist Lars Fischer überzeugt.

Jetzt, in der Woche vor Ostern, hat er alle Hände voll zu tun, muss einen neuen Stand für den Markt in Weimar vorbereiten. Die Woche vor Ostern, so sagt Fischer, sei extrem wichtig fürs Geschäft. "Wenn wir das nicht lieben würden, würden wir es auch nicht mehr machen. Wegen dem Geld machen wir es nicht, weil das eigentlich Selbstausbeutung ist, was wir hier betreiben."

Mehr zur Landwirtschaft im Wandel

MDR (dst)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Johannes und der Morgenhahn | 04. April 2023 | 08:20 Uhr

109 Kommentare

ElBuffo am 10.04.2023

Jepp, da wurden wir schön mit Billigpreisen angefüttert. Und selbst jene, die immer hinterher schon vorher alles besser wussten, scheinen davon betroffen zu sein.

ElBuffo am 10.04.2023

Auch wenn ich mir die Relation Körperhöhe/-umfang ansehe, scheint es kaum flächendeckend an Nahrung zu mangeln. Und dabei fliegen noch tonnenweise Lebensmitteln in die Tonne und tragen gar nicht zum Umfang bei. Früher, wo alles besser war, hatten oft nicht mal die Alten ein Telefon zu Hause. Heute hat meist jedes Familienmitglied eins und dabei natürlich nicht 10 Jahre das Gleiche. Kosten ja auch nix, nur 40€ und mehr Flatrate im Monat. Und nach 2 Jahren gibt es das nächste umsonst. Für jedes Familienmitglied. Da geht u.a. die Kohle flöten, aber sicher nicht für die überlebensnotwendige tägliche Kalorienzufuhr.

knarf am 10.04.2023

Anita L:Ich finde keine Waren im Einkaufswagen ich lege sie rein weil ich sie kaufen möchte.Ansonsten gratuliere ich Ihnen für Ihr Stehvermögen Ihre Mitmenschen zu überzeugen!Das meine ich im Ernst !
Trotzdem gibt es hier nicht die guten Einkaufsmöglichkeit wie bei Ihnen.Da kann man nur gratulieren!

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