Hohenfelden Vertrieben und verachtet: Zeitzeugen berichten von DDR-Zwangsaussiedlung

12. Juni 2022, 13:08 Uhr

Vor 70 Jahren hat das DDR-Regime seine Grenze abgeriegelt. Tausende Menschen, die in Grenznähe wohnten, wurden in Nacht- und Nebel-Aktionen aus ihren Häusern vertrieben und unter Zwang umgesiedelt. Eine Veranstaltungsreihe erinnert an das Drama. Im Freilichtmuseum Hohenfelden haben Zeitzeugen über ihre Erinnerungen gesprochen.

Autorenbild Conny (Cornelia) Mauroner
Bildrechte: MDR/Conny Mauroner

"Sie werden binnen 24 Stunden abgeholt ..." - so lautet der Titel des Erzählcafés im Hof des Freilichtmuseums Hohenfelden. Dabei kommen Zeitzeugen zu Wort, die die Zwangsaussiedlung zu DDR-Zeiten miterlebt haben. Eine von ihnen: Rosalinde Mertens. Ihr und und ihrer Familie blieb weitaus weniger Zeit als 24 Stunden. Sie war sieben Jahre alt, als die Polizisten vor der Haustür in Bettenhausen standen. Sie erzählt, als wäre es gestern gewesen. Erinnert sich daran, dass ihr Vater gar nicht zu Hause war, als die fremden Männer anklopften. "Sie haben ihn mit Waffengewalt von der Arbeit geholt. Er sollte unterschreiben, dass er den Ort freiwillig verlässt", erzählt Mertens. Die Familie hatte nur wenige Stunden, um das Nötigste zusammenzusuchen. Alles wurde verladen und auf vier Lastwagen gepackt. Warum sie gehen mussten, wussten sie nicht, auch nicht wohin und was sie dort erwarten würde.

In Unterkunft ohne fließendes Wasser gebracht und geächtet

Ganz ähnlich ist es Brunhilde Gerlach ergangen. Sie lebte mit ihrer Mutter, den drei Schwestern und der Großmutter auf einem Hof in Wohlmutshausen, einem kleinen Ort in der Rhön. Die Familie hat Landwirtschaft betrieben. "Es war eine Idylle. Trotz der vielen Arbeit hatten wir ein schönes Leben." Zu den Gerlachs kam die Polizisten mitten in der Nacht. "Sie haben gepoltert und an die Schlafzimmertüren geklopft. Keiner von uns wusste, was passiert. Meine Mutter hat so lange geschimpft, bis sie ihr einen bewaffneten Soldaten an die Seite gestellt haben. Der hat sie auf Schritt und Tritt bewacht." Auch Gerlachs waren sich keiner Schuld bewusst, hatten nur zwei Stunden Zeit zu packen. "Wir haben geheult wie die Schlosshunde. Sie haben uns getrennt und in Richtung Gotha gebracht." Am Sammelpunkt in einer alten Wagenfabrik fand die Familie wieder zusammen. Sie wurde schließlich in einen kleinen Ort aufs Land gebracht. Dort fanden die Frauen und Mädchen Unterschlupf in einer alten Schule. Theaterkulissen dienten als Raumtrenner. Fließend Wasser gab es nicht. Der Nachbarschaft wurde erzählt, dass sie Verbrecher seien. Die Gerlachs wurden gemieden.

Auf Aktion "Ungeziefer" folgte Aktion "Kornblume"

Auch Marie-Luise Tröbs hat auf brutale Weise ihr Zuhause verloren. Zu ihrer Familie kamen die Männer, die sie als sehr bedrohlich empfand, im Jahr 1961. Es war die zweite Welle der "Umsiedlungen", wie es die DDR Führung nannte. Der Aktion "Ungeziefer" folgte die Aktion "Kornblume". Der Name klingt schöner, doch das Vorgehen war genauso skrupellos. Marie-Luise Tröbs hat das Bild ihrer Mutter vor sich, wenn sie an den Morgen der Zwangsaussiedlung denkt. Sie kam gerade aus der Kirche, wollte danach in die Schule gehen, als das Haus ihrer Eltern voller fremder Menschen war. "Ich erinnere mich an das Entsetzen im Gesicht meiner Mutter. Sie war nicht fähig, einen Satz zu sagen." Die Familie wurde vom grenznahen Geisa nach Ilmenau gebracht. Auch dort hatte man erzählt, dass sie Schwerverbrecher seien. In Geisa hatte sich die Familie etwas aufgebaut. Der Vater hatte ein Fuhrunternehmen. Nun war er mittellos, musste Kohlen ausfahren.

Ich erinnere mich an das Entsetzen im Gesicht meiner Mutter. Sie war nicht fähig, einen Satz zu sagen.

Marie-Luise Tröbs Opfer der DDR-Zwangsaussiedlung

Die Nachbarskinder haben Marie-Luise und ihre Geschwister zunächst gemieden, doch irgendwann fanden sich Freunde. Es gab immer mehr Nachbarn, die halfen und auch die Verwandten kamen vorbei. So berichten es auch Brunhilde Gerald und Rosalinde Mertens. Der Zusammenhalt war groß. Selbst zu DDR-Zeiten gab es Treffen der Zwangsausgesiedelten, nicht unbeobachtet von der Stasi. "Die staatliche Willkür kam dort an ihre Grenzen, wo Menschen Solidarität zeigten", sagt Tröbs.

Die Frage nach dem "Warum" wird wohl nie ganz geklärt. War es Neid der Nachbarn, war es Willkür oder Strategie? Warum gerade die eigene Familie und warum das Geschäft? Das DDR-Regime hat rund 11.000 Menschen die Heimat genommen. Eigentum wurde enteignet und Familien auseinander gerissen. Die meisten von ihnen hat das Schicksal stark gemacht. Sie sind nicht daran zerbrochen, doch bis heute kämpfen sie um Gerechtigkeit. Nach vielen Jahren und der friedlichen Revolution 1990 wurden die Zwangsausgesiedelten von der Regierung rehabilitiert, doch finanziell entschädigt wurden sie bis heute nicht.

Haus im Freilichtmuseum Hohenfelden erinnert künftig an Zwangsaussiedlung Auf dem Gelände des Freilichtmuseums Hohenfelden wird im Sommer 2022 ein neues Museumsgebäude eingeweiht. Im "Frankenwaldhaus" aus dem Grenzort Heinersdorf bei Sonneberg wird die Geschichte von Lothar Barnikol-Veit erzählt. Im Jahr 1952 sollte der damals 23-Jährige während der "Aktion Ungeziefer" zwangsausgesiedelt werden - und floh Hals über Kopf in den Westen. Sein Elternhaus, ein Gebäude aus dem 18. Jahrhundert, konnte er erst nach 1989 wieder betreten. Inzwischen ist das Gebäude nach Hohenfelden transportiert und damit vor dem Verfall bewahrt worden.

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 05. Juni 2022 | 18:20 Uhr

8 Kommentare

hansfriederleistner am 14.06.2022

Ich wohnte bis Juni 1952 im Vogtland 20 km von dieser Grenze entfernt.Ich verließ dann die DDR, weil mir ein Studienplatz verwehrt wurde. Ich habe auch die Enteignung größerer Höfe noch bewußt erlebt. Dazu zählt auch, daß der Eigentümer, ein alter im Ort geschätzter Mann, von den Kommunisten verhaftet wurde und bald starb. Sie sollten ihre SED Märchen für sich behalten und nicht Menschen, die diese furchtbare Zeit erdulden mußten, versuchen lächerlich zu machen.

kleinerfrontkaempfer am 13.06.2022

Ein Wessi hat das in Berlin-West erlebt. Nicht in der "Zone" hautnah. Ansonsten kennen Sie wahrscheinlich Erzählungen vom Hörensagen vom Hörensagen vom.....

hansfriederleistner am 13.06.2022

Haben sie diese Zeit erlebt ? Derart dumme Äußerungen von sich zu geben ist noch heute eine Beleidigung für die Opfer. Ich habe im Sommer 1952 noch Leute, die ihre Häuser verlassen mußten, in Berlin im Aufnahmelager kennengelernt.

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