Todesurteil gegen Jamshid Sharmahd "Es geht nicht nur um Betroffenheit"

Nikta Vahid-Moghtada
Bildrechte: MDR/Markus Geuther

Mit dem Todesurteil gegen Jamshid Sharmahd droht dem ersten deutsch-iranischen Staatsbürger die Hinrichtung durch das iranische Regime. Während die Politik mit Empörung reagiert, fordern Menschenrechtlerinnen wie Düzen Tekkal konkrete politische Taten.

Die undatierte Aufnahme zeigt den Deutsch-Iraner Djamshid Sharmahd in einem Teheraner Revolutionsgericht.
Seit mehr als 900 Tagen ist Jamshid Sharmahd in iranischer Isolationshaft. Nun droht ihm als erstem Deutsch-Iraner die Hinrichtung durch das iranische Regime. (Undatierte Aufnahme in einem Teheraner Revolutionsgericht) Bildrechte: dpa

"Ich habe gerade Gazelle Sharmahd geweckt und ihr gesagt, dass ihr Vater sterben wird." Es sind Tweets wie jener der Aktivistin Mariam Claren, die seit dem frühen Dienstagmorgen auf das Todesurteil gegen den deutsch-iranischen Staatsbürger Jamshid Sharmahd hinweisen.

Auf Geschäftsreise entführt und verhaftet

Nach einem vereitelten Mordversuch wird der Kritiker des iranischen Regimes 2020 auf einer Geschäftsreise entführt und ist seitdem im Iran inhaftiert. Mehr als 900 Tage wartet der heute 67-Jährige in Isolationshaft auf sein Urteil.

Die Anklage lautet: "Korruption auf Erden". Mit diesem vagen Vorwurf, der allen angelastet werden kann, die sich regimekritisch äußern, werden auch jüngste Hinrichtungen von Demonstrierenden im Zuge der Revolutionsbewegung begründet.

"Das Grausame an dieser Geschichte ist, dass seine Tochter Gazelle Sharmahd ja seit Jahren auf den Fall ihres Vaters hinweist", sagt Düzen Tekkal, Menschenrechtsaktivistin und Gründerin der Hilfsorganisation Hawar.help, dem MDR. Die aktuelle Revolutionsbewegung wirke wie ein Fallverstärker, sagt Tekkal. Die Tatsache, dass ein Politiker wie Friedrich Merz die politische Patenschaft für Jamshid Sharmahd übernommen habe, dürfe nicht umsonst sein. Mehrere Hundert Politikerinnen und Politiker deutschlandweit sind inzwischen dem Ruf von Menschenrechtsaktivistinnen wie Mariam Claren, Daniela Sepehri, Mina Kahni gefolgt und haben politische Patenschaften für Inhaftierte im Iran übernommen. Der MDR berichtete.

Kampf um Aufmerksamkeit

Was nun zähle, sei maximale Aufmerksamkeit, sagt Düzen Tekkal. "Ich weiß um die Macht und die Wirkung der Öffentlichkeit. Und sobald die Öffentlichkeit und die Medienaufmerksamkeit verschwinden, wird es für Betroffene sehr dunkel und einsam."

Sobald die Öffentlichkeit und die Medienaufmerksamkeit verschwinden, wird es für Betroffene sehr dunkel und einsam.

Düzel Tekkal Menschenrechtsaktivistin
Düzen Tekkal, Menschenrechtsaktivistin, spricht bei einer Protestaktion für Solidarität mit den Protesten im Iran am Brandenburger Tor.
Düzen Tekkal, Menschenrechtsaktivistin Bildrechte: dpa

Wozu das Regime in der Lage ist, ist bereits mehr als einmal zur Schau gestellt worden. "Es wurden schon Menschen hingerichtet und an Baukränen erhängt. Dass der Vater von Gazelle jetzt zu Tode verurteilt worden ist, darf uns nicht nur erschüttern, sondern muss uns endlich aktiv werden lassen. Es geht nicht nur um Betroffenheit, sondern um konkretes politisches Handeln", sagt die Aktivistin. Und darunter verstehe sie mindestens die Einbestellung des iranischen Botschafters. Seit dem frühen Dienstagmorgen sei sie im Austausch mit der Politik, sagt Tekkal. Auch dieses Interview führt sie zwischen zwei Terminen, vorbei am Brandenburger Tor, um dem Fall von Jamshid Sharmahd Aufmerksamkeit zu verschaffen. "Wir wollen die Inhaftierten ins Licht der Öffentlichkeit bringen, ihnen Namen und Gesichter geben und ihre Geschichten erzählen", sagt sie.

Merz fordert Rückstufung der diplomatischen Beziehungen zum Iran

Und der Fall von Jamshid Sharmahd hat die Spitzen der Politik erreicht. Nicht zuletzt auch, weil er deutscher Staatsbürger ist. Außenministerin Annalena Baerbock meldet sich am Dienstag zu Wort, nennt das Urteil "inakzeptabel" und kündigt Konsequenzen an. Auch Friedrich Merz, der politische Pate des Verurteilten, schreibt auf Twitter: Das Urteil gegen Sharmahd sei ein "Affront". Und er kündigt an: "Die diplomatischen Beziehungen zu #Iran müssen auf die Geschäftsträger-Ebene zurückgestuft werden." Der Geschäftsträger ist ein diplomatischer Vertreter lediglich dritten Ranges. In diesem Fall würde es den Abzug der Botschafter aus dem jeweiligen Land bedeuten.

Menschenrechtlerinnen wie Tekkal sehen jedoch mehr Handlungsbedarf. "Der Druck muss solange weitergehen, bis auch im Iran ankommt: Wenn wir den töten und hinrichten lassen, dann haben wir ein Problem. Die Form der Appeasement-Politik, die wir die letzten Jahrzehnte geführt haben, hat genau das Gegenteil bewirkt", sagt sie.

Tekkal: Revolutionsgarden gehören auf EU-Terrorliste

Sie fordert beispielsweise auch, dass die Revolutionsgarden des iranischen Regimes auf die EU-Terrorliste gesetzt werden. "Die Revolutionsgarde ist der verlängerte Arm des Regimes. Wir sind viel zu zögerlich. Worauf warten wir noch?", diese Frage stelle sie sich oft. Auch die Wirtschaftsbeziehungen, sagt Düzen Tekkal, müssten auf ein Minimum reduziert werden. "Die Revolutionsgarden haben ein eigenes Wirtschaftssystem. Es geht darum, dass die Sanktionen endlich diejenigen treffen, die die Misere verursacht haben und nicht das Volk, das unter dem Regime leidet. Alles, was diesem Regime schadet, ist gut für die Zivilbevölkerung."

Der Einsatz für den verurteilten Jamshid Sharmahd wirkt wie ein Spiel auf Zeit. Denn die vergangenen Wochen haben gezeigt: Wann ein Todesurteil vollzogen wird, obliegt ebenso der Willkür des Regimes, wie es überhaupt zu fällen. Es kann noch in der folgenden Nacht vollzogen, oder tagelang hinausgezögert werden. Umso wichtiger sei es, nun maximal laut zu werden, sagt Düzen Tekkal. Und: "Wenn es wirklich dazu kommt, dass ein deutscher Staatsbürger hingerichtet wird, dann haben wir alle versagt, dann brauchen wir auch nicht mehr über menschenrechtsgeleitete Politik sprechen."

Die mutige Zivilgesellschaft im Iran leiste ihren Beitrag in Form von unermüdlichen Protesten, ohne die das Regime nicht gestürzt werden könne. "Auch wir können unseren Beitrag leisten und uns richtig verhalten", sagt Tekkal. Das sei das Mindeste: Auf der richtigen Seite zu stehen.

MDR (rnm)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 21. Februar 2023 | 11:30 Uhr

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