"Man braucht Geduld" – Ein Gespräch über das Ankommen

12. Juli 2023, 13:49 Uhr

Yuliya Komarynets stammt aus der Ukraine. Seit sie sieben Jahre alt ist, lebt sie in Deutschland. Ihre Ankunft in einer Kleinstadt an der deutsch-polnischen Grenze liegt inzwischen rund 20 Jahre zurück. Der Start in ihr neues Leben sei nicht immer leicht gewesen, erzählt sie dem MDR im Interview. Heute lebt die 27-Jährige in Leipzig. Sie studiert Slavistik und möchte Übersetzerin für Russisch und Ukrainisch werden. Seitdem der Krieg in ihrer Heimat ausgebrochen ist, organisiert Komarynets Hilfstransporte für die Ukraine und unterstützt Geflüchtete in Leipzig.

Frau Komarynets, gerade kommen täglich hunderte Geflüchtete aus der Ukraine nach Deutschland. Sie müssen sich hier erst einmal orientieren. Wie war das für Sie, als Sie damals in Deutschland angekommen sind?

Das war natürlich schwierig für mich, weil ich die Sprache nicht kannte. Und abgesehen davon wurde ich einfach aus meinem gewohnten Umfeld gerissen. Ich wollte nicht nach Deutschland ziehen. Ich weiß noch, dass ich darüber nicht besonders begeistert war. Den Unterricht der privaten Lehrerin, die mir noch in der Ukraine Deutsch beibringen sollte, habe ich auf jede erdenkliche Weise sabotiert. In Deutschland angekommen hatte ich dann wirklich niemanden in meiner Altersklasse, mit dem ich mich unterhalten konnte. Ich habe mich in dieser Zeit ein bisschen verloren und einsam gefühlt.

Was hat Ihnen über diese Zeit hinweggeholfen?

Ich habe dann doch angefangen, sehr intensiv Deutsch zu lernen. Mehr als ich musste. Einfach, um mich zu beschäftigen. Als ich dann auf Deutsch lesen konnte, habe ich mich voll ins Lesen gestürzt. Alles, was mir in die Finger kann, habe ich verschlungen. Etwas später haben meine Eltern einen alten Plattenspieler aus dem Keller gekramt. Wenn ich nicht gelesen habe, saß ich neben den Plattenspieler und habe entweder klassische Musik gehört oder Kinderbücher.

Wie empfinden Sie die Willkommenskultur derzeit in Deutschland?

Ich bin tatsächlich überrascht. Es freut mich sehr, wozu die Menschen gerade bereit sind. Dass viele sogar ihre eigene Wohnung zur Verfügung stellen. Mit so einer großen Solidarität hätte ich nie gerechnet. Mich baut das auf, dass den Menschen hier geholfen wird. Ich hoffe, dass sie so die Erfahrung machen können, hier willkommen zu sein.

Wenn Sie sich an Ihre eigene Ankunft erinnern: Was ist der augenfälligste Unterschied zwischen der Ukraine und Deutschland? Was fällt da sofort ins Auge?

Wenn man einreist, sieht man eigentlich sofort: A-ha, ich bin in Deutschland. Alles hier ist mit System und Ordnung angelegt. Zum Beispiel sind die Bäume an den Straßen alle ungefähr gleich groß. Es wird drauf geschaut, dass sie nicht wild wachsen und dass keine Zweige herunterfallen. Und die Straßen sind natürlich hier viel besser.

Was ist denn aus Ihrer Sicht das Wichtigste, um gut in einem neuen Land anzukommen?

Das ist eine schwierige Frage. Vielleicht: Offenheit. Weil sehr viel auf einen zukommt: eine ganz andere Mentalität, eine ganz andere Sprache, eine ganz andere Bürokratie vor allem. Man braucht Geduld. Und ein beiderseitiges Verständnis ist auch ganz wichtig.

     

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