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Kirchen in Mitteldeutschland Christliche Symbole verstehen: "Wer ist der Typ am Kreuz?"

11. September 2023, 11:03 Uhr

In den Sommermonaten besuchen viele Touristen Kirchen – nicht nur wegen der angenehmen Kühle, sondern auch, um vor Orte von Kulturgeschichte und Kirchenkunst zu erfahren. Doch viele von ihnen stehen vor den Bildern und Skulpturen und wissen nicht recht, was sie bedeuten. Über die manchmal rätselhafte Kunst in Kirchen, deren Hintergründe und die Vermittlungsangebote der Kirchen in Mitteldeutschland.

Die evangelische Marienkirche in Stendal in der Altmark ist ein Gotteshaus mit vielen Kunstschätzen. Wie beispielsweise einem bronzenem Taufkessel, der getragen wird von vier Wesen – halb Mensch, halb Tier.

Es sind Engel, Löwe, Stier und Adler, die die Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes symbolisieren, so Kunsthistorikerin Bettina Seyderhelm, Kirchenkonservatorin bei der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.

Auf einer Kreuzigungsszene des Altarbildes in Stendal ist auch Maria Magdalena zu sehen. Doch woher weiß man, dass die Frau mit der besonderen Haarpracht Maria Magdalena ist?

"In der Bibel ist beschrieben, dass Maria Magdalena lange Haare hatte. Und dass sie bei der Fußwaschung zu Jesus gegangen ist, ihn gesalbt und seine Füße mit ihren Haaren getrocknet hat“, erklärt die Kunsthistorikerin. Oft ist Maria Magdalena auch ohne Kopftuch und in roten Kleidern zu sehen: Als Sünderin, die aber Jesus am nächsten stand.

Die kirchliche Kunst war und ist auch immer ein Spiegel der jeweiligen Theologie, sagt Klaus-Martin Bresgott. Er arbeitet im Kulturbüro der EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Der Künstler war Agitator seiner Zeit. Er musste wissen, wie er seinen Auftrag künstlerisch umsetzt. Und er musste mit seinen Auftraggebern genau abstimmen, was soll ich darstellen, was darf ich darstellen.

Klaus-Martin Bresgott, Kunsthistoriker

Die kleinen Kunstwerke in Kirchen müssen heute dechiffriert werden, um deren tiefere Bedeutung zu verstehen. Das sei den Menschen früher leichter gefallen, die durch Religionsunterricht und Katechese ein Grundverständnis für Ausstattungsstücke hatten, sagt Harald Schwillus, der katholische Religionspädagogik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg lehrt.

Christliche Ikonografie ist in Vergessenheit geraten

Denn in früheren Zeiten waren die Bilder in den Kirchen gerade für Menschen, die nicht lesen konnten, eine wichtige Quelle ihrer religiösen Bildung. Viele Kirchgänger wussten, welche Symbole welchen Heiligen zuzuordnen sind. Heute ist den meisten Christinnen und Christen vielleicht noch bekannt, dass der Mann mit dem Schlüssel Petrus ist, der mit der Muschel Jakobus, und dass die Säge oder der Winkel in der Hand auf Josef verweist.

Fresko zeigt heiligen Petrus
Apostel Petrus mit den Schlüsseln zum Himmelsreich Bildrechte: Colourbox.de

Aber wer ahnt schon, dass Höcker auf dem Kopf Moses symbolisieren, Rosen für Elisabeth von Thüringen stehen, gekreuzte Kerzen für Blasius, ein durchbohrtes Buch für Bonifatius und ein Federkiel für Teresa von Avila, dass ein Wolf auf Franz von Assisi verweist und eine Sonne auf der Brust auf Thomas von Aquin?  

Längst versuchen die Kirchen mit unterschiedlichen Ansätzen – unter anderem mit kirchenpädagogischen Angeboten für Schulklassen oder mit Kirchenführungen – Menschen die christliche Bildsprache wieder näher zu bringen. Harald Schwillus hat beobachtet, dass gerade Menschen aus Ost- und Mitteldeutschland sehr hohe Bildungschancen besitzen. Sie müssen sich nicht an der Kirche abarbeiten, da sie biografisch oft nicht vorbelastet sind.

Damit Wissen nicht verloren geht

Zunehmend werden auch Touristen gezielt angesprochen, um ihnen Angebote zu unterbreiten. Das fordert auch die Magdeburger Kunsthistorikerin Bettina Seyderhelm:

Es ist unsere Kulturgeschichte. Es sind unsere kulturellen Wurzeln. Wir sollten versuchen, unsere kulturellen Wurzeln lesen zu können. Ansonsten geht das Wissen um diese Dinge verloren.

Kunsthistorikerin Bettina Seyderhelm

Deshalb bieten beispielsweise Kirchen in Stendal, Halberstadt, Magdeburg, Naumburg und Zeitz Kirchenführungen an. Und rund 2.000 Gotteshäuser der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland sind regelmäßig geöffnet: Viele von ihnen ausgestattet mit Flyern über ihre kunsthistorischen Schätze.

Wissenschaftlerin mikroskopiert am Westlettner des Naumburger Doms
Wissen bewahren: Studien am Westlettner des Naumburger Doms Bildrechte: Jan Siegmeier, Werkblende

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Religion und Gesellschaft | 02. Juli 2023 | 10:00 Uhr