Was brauchen Para-Athleten, um an die Spitze zu kommen? Aus Leipzig nach Paris: Josco Wilke startet im Rollstuhl-Rugby bei den Paralympics
Hauptinhalt
27. August 2024, 16:02 Uhr
Für den Leipziger Josco Wilke erfüllt sich ein Traum: Mit dem deutschen Rollstuhl-Rugby-Team ist er bei den Paralympics dabei, die am Mittwoch in Paris eröffnet werden. Doch was brauchen Para-Athleten, um an die Spitze zu kommen? Und wie inklusiv ist überhaupt der Para-Sport? MDR Selbstbestimmt war mit Josco Wilke und Para-Ruderin Kathrin Marchand vor den Paralympischen Spielen 2024 unterwegs, die nun erstmals auch in der Prime Time bei ARD und ZDF zu sehen sein werden.
Das deutsche Rollstuhl-Rugby-Team gehört zu den weltbesten. Der Leipziger Josco Wilke und Jens Sauerbier aus Biederitz bei Magdeburg gehören dazu, für sie erfüllt sich ein Traum, wenn am Mittwoch die Paralympics eröffnet werden.
Insgesamt 143 Athletinnen und Athleten sowie fünf Guides gehen bis 8. September für den Deutschen Behindertensportverband (DBS) in Paris an den Start. Darunter sind bekannte Gesichter. In Paris greift Weitspringer Markus Rehm nach seiner fünften paralympischen Goldmedaille, im Stade de France wird auch Johannes Floors über die Tartanbahn fliegen. Dabei sind außerdem Sportlerinnen und Sportler, die so wie Josco Wilke noch am Anfang ihrer Karriere stehen.
Josco Wilke aus Leipzig erfüllt sich Kindheitstraum
Dass der 22-Jährige so weit gekommen ist und sportliche Spitzenleistungen erbringen kann, liegt auch an seinem Umfeld. In seinem Fall hat Inklusion funktioniert: "Das Sportgymnasium in Leipzig ist natürlich der große Dreh- und Angelpunkt in meinem Leben gewesen. Ich war damals beim Feldhockey aktiv, als ich mit 13 Jahren meinen Rückenmarksinfarkt hatte. Das hat mein Leben komplett verändert. Ich bin dann relativ schnell zum Rollstuhl-Rugby gekommen." Er sagt, der Sport bedeute für ihn "Leben, Freiheit und einfach Gas geben".
Ich kann's kaum fassen, für mich geht ein Kindheitstraum in Erfüllung.
Para-Karriere braucht professionelles Umfeld
Dank des Schulleiters und auch der Lehrerschaft, die sich für ihn engagieren, kann er auf dem Sportgymnasium bleiben. Josco absolviert dort sein Abitur. Der Olympiastützpunkt Leipzig hilft ihm außerdem dabei, einen Ausbildungsplatz zu finden, der sich mit dem Sport vereinbaren lässt:
"Ich habe eine gestreckte Ausbildung über vier Jahre, werde aber für sportliche Veranstaltungen, Trainingslager, Wettkämpfe freigestellt und arbeite nur 25 Stunden die Woche. So dass ich auch noch genug Zeit fürs Training habe", erklärt der 22-Jährige vom Leipziger Behinderten- und Reha-Sportverein.
Nun ist das deutsche Rollstuhl-Rugbyteam nach 16 Jahren erstmals wieder bei den Paralympics vertreten. Beim Qualifikationsturnier im März 2024 reichte Platz drei für das Ticket nach Paris. Im neuseeländischen Wellington schlugen sie die Equipe aus Brasilien. "Als der Schlusspfiff kam, war das unfassbar", sagt Josco Wilke vom Leipziger Behinderten- und Reha-Sportverein: "Ein Kindheitstraum geht in Erfüllung. Ich glaube, ich realisiere das erst, wenn ich mit dem Team tatsächlich nach Paris fahre." Nun ist es soweit.
Kathrin Marchand: Ruder-Finale an Schicksalstag
Ruderin Kathrin Marchand kennt verschiedene sportliche Welten. Die 33-Jährige war zweifache Olympionikin im Rudern, in London 2012 und in Rio 2016 am Start.
Am 1. September 2021 bricht ihre Welt zusammen. Beim Training erleidet sie einen Schlaganfall. Sie will es erst nicht wahrhaben, aber als studierte Notfall-Medizinerin versteht sie, was das Taub-Werden ihrer linken Körperhälfte bedeutet. Neun Monate dauert ihre Reha. Fest steht, dass sie ihren Job als Notfall-Medizinerin nicht mehr ausüben kann. Denn eine leichte Lähmung der linken Körperhälfte bleibt. Auch ihr Sehvermögen ist eingeschränkt, die Stress-Resistenz nicht mehr diesselbe. Doch sie findet über das Para-Rudern einen Weg zurück in den geliebten Sport.
Und dann bin ich wieder ins Boot gestiegen und habe gemerkt, ich kann das noch. Das gibt Selbstbewusstsein.
Finanzielle Unterstützung durch Sporthilfe
Halbtags arbeitet die Kölnerin inzwischen in einer Klinik für Orthopädie. Nach der Arbeit in der Klinik geht sie zum Krafttraining oder aufs Rad für die Ausdauer, um ihre Leistung zu halten. Klares Ziel für 2024: als Schlagfrau im Para-Rudervierer für den RTHC Bayer Leverkusen zu den Paralympischen Spielen nach Paris.
Im September vergangenen Jahres gewinnt der deutsche Mixed-Vierer mit Steuerfrau bei der Para Ruder-WM in Belgrad die Bronzemedaille und sichert sich damit die Teilnahme. Auf den Tag genau drei Jahre nach ihrem Schicksalsschlag geht es nun für Kathrin Marchand am 1. September 2024 in Paris wieder um Medaillen.
Monatlich erhält sie als paralympischer Kader 800 Euro von der Sporthilfe. Im Leistungssport werden Athleten mit und ohne Behinderung seit 2020 gleichermaßen unterstützt. Das ist wichtig, denn auch die Weltspitze in den paralympischen Disziplinen wird immer besser, wie Kathrin Marchand betont.
Wozu eigene Spiele?
Auch winken den Athletinnen und Athleten des Deutschen Behindertensportverbands ( DBS ) inzwischen die gleichen Preisgelder wie den Medaillengewinnern der Olympischen Spiele. Für Gold werden über die Sporthilfe 20.000 Euro ausgeschüttet, Silber wird mit 15.000 Euro belohnt, für Bronze gibt es 10.000 Euro. Das Modell war bereits vor drei Jahren in Tokio umgesetzt worden und wird nun auch in Paris beibehalten.
Dennoch finden die Paralympics weiter als eigenständige Spiele nach Olympia statt. Das klingt eigentlich nicht inklusiv. Sie zusammenzulegen hält jedoch ein Para-Veteran wie Jörg Frischmann für keine gute Idee: "Das wäre das Schlimmste, was passieren kann", meint der frühere Kugelstoßer, der seit über 25 Jahren Chef der Parasport-Abteilung beim TSV Bayer 04 Leverkusen ist. "Die Paralympics sind eine eigene Marke und mittlerweile das drittgrößte Event in der Welt. Und der Fokus – auch der Medien – ist auf die Para-Sportler gerichtet", meint der Erfolgstrainer. Er sieht auch, dass sich die Bedingungen im Para-Sport seit der Leistungssportreform deutlich verbessert haben.
Die Paralympics sind eine eigene Marke und mittlerweile das drittgrößte Event in der Welt.
Paralympics 2024 erstmals in der Prime Time
Die Paralympics werden gebraucht – von den Athleten, aber auch von Menschen ohne Behinderung. Denn die Spiele machen sichtbar, machen Mut und schaffen Vorbilder.
Und erstmals finden sie tatsächlich auch in der Prime Time statt: ARD und ZDF planen rund 60 Stunden Übertragung im linearen Fernsehen. Zweimal werden Wettkämpfe live in der Prime Time übertragen. Das freut auch DSB-Präsident Friedhelm Julius Beucher: "Dafür kämpfen wir seit Jahrzehnten. Da verspreche ich mir einen Riesenschub von. Ich bin sehr froh, dass das die Fernsehanstalten mitgegangen sind. Aber es gibt immer noch Luft nach oben."
Quelle: MDR Selbstbestimmt, Redaktionelle Bearbeitung: ks
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Selbstbestimmt | 13. Juni 2024 | 22:40 Uhr