Sonnabend, 08.05.2021: Warum braucht es soviel Erinnerung?

Tag der Befreiung. So habe ich das als Kind aufgenommen. 8. Mai, Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus. 76 Jahre ist es her, dass die Rote Armee in Berlin die sowjetische Fahne hisste und Deutschland kapitulierte. Es war wirklich eine Befreiung, auch wenn die Auswirkungen auf die Menschen sehr verschieden waren. Was mich erstaunt: auch nach so vielen Jahren tauchen noch neue Erinnerungen auf und müssen immer noch Gerichtsprozesse geführt werden. Warum dauert das so lange?

Ich nehme einen von diesen Kartons zur Hand. Wenn ein Mensch gestorben ist, müssen viele Sachen durchgesehen werden. Da sind alte Bilder, die alle in der Familie kennen. Anfangs wurden sie in ein Album eingeklebt, dann landete alles in einer Kiste. Und darin ist auch ein Bild, auf dem einer aus der Familie eine merkwürdige Uniform trägt. Als ganz junger Mann ist er zu sehen, aber wieso diese Kleidung? Plötzlich habe ich Fragen, die ich vorher gar nicht hatte. Aber die ich fragen könnte, sind fast alle nicht mehr da. Da ist das Bild von geliebten Menschen mit einem festen Platz in meinem Herzen. Ich habe sie oft vor Augen, obwohl sie schon lange tot sind. Aber auf einmal erscheint ein ganz anderer Zug in diesem Bild. Die schreckliche Gewalt jener Zeit ist plötzlich im Raum. Haben sie auch gegen die Juden geschrien? Ich kann mir das absolut nicht vorstellen. Ich will das besser verstehen. Und ich habe mir vorgenommen, mit meinen erwachsenen Kindern darüber zu reden. Ich hoffe, dass sie diese Sachen nicht mit einfachen Schwarz-Weiß-Schablonen abtun.

Ich suche nach der Wahrheit. Liebe und Wahrheit. Jesus sagt: "Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch freimachen." (Joh 8,32) Auf diese Befreiung hoffe auch ich und die Erinnerung bleibt eine wichtige Aufgabe, nicht nur an so einem Tag.

Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche:

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Michael Markert

Michael Markert

Geboren am 08.03.1964 in Karl-Marx-Stadt | Studium der Theologie in Leipzig, Erfurt (1983-1989) und Philadelphia (1990-1991) | Pfarrer in der Michaelis-Friedens-Kirchgemeinde Leipzig (1997-2009) | Studienleiter am Pastoralkolleg Meißen (2009-2021) | Rektor im Kirchlichen Fernunterricht (seit 2021) | lebt in Leipzig | verheiratet | drei erwachsene Kinder

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Stephan Ringeis

Stephan Ringeis

Senderbeauftragter der Evangelischen Freikirchen beim MDR

geb. 18.09.1962 in Jena | aufgewachsen in Berlin | Studium der Theologie am Theologischen Seminar der Evangelisch-methodistischen Kirche in Bad Klosterlausnitz von 1982 bis 1987 | Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche in Neudorf/Erzgebirge 1987 bis 1990 | Pastor in Wilkau-Haßlau 1990 bis 1997 | Pastor in Zwickau von 1997 bis 2009 | Superintendent des Distrikts Zwickau der Evangelisch-methodistischen Kirche 2009 bis 2019 | Pastor im Interimsdienst (Geistliche Begleitung von Gemeinden in Übergangssituationen) | verheiratet | drei Kinder

Verantwortlich für Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie das Wort zum Tag...

... sind die Senderbeauftragten der evangelischen Landeskirchen, der evangelischen Freikirchen bzw. der römisch-katholischen Kirche.