Dienstag, 04.05.2021: Entführt

Gerade hatten sie sich herzlich verabschiedet. Verwandtenbesuch im Rahmen des Möglichen. Auf der Durchreise in Möhra, in Thüringen. Die Familie war begierig auf Neuigkeiten, aber was kann man schon in kurzer Zeit mitteilen. Jetzt saßen sie wieder im Wagen, drei Männer und vorn der Kutscher. In der Nähe von Burg Altenberg, auf einer holprigen Straße, ansteigende Hänge zu beiden Seiten des Weges: plötzlich gibt es einen Riesentumult. Der Wagen kommt ächzend zum Stehen. Dem Wagenlenker wird eine Waffe an die Brust gesetzt. Die Insassen werden aus dem Inneren gezerrt. Einem gelingt es zu Fuß zu fliehen. Die beiden anderen werden festgehalten und weggeführt; der eine hat zwei wertvolle Bücher unter dem Arm. Heute vor 500 Jahren, am 4. Mai 1521, wird Martin Luther auf der Rückreise von Worms mit seinen Begleitern in Thüringen überfallen und entführt.   

Als das bekannt wird, nehmen viele an, er sei ums Leben gekommen. Albrecht Dürer in Nürnberg zum Beispiel schreibt trauernd über diesen Verlust. Was wäre eigentlich passiert, wenn Luther damals gestorben wäre? Ich weiß, dass solche Fragen müßig sind. Aber nicht ganz. Denn genau, damit das nicht passiert, war dieses Drama am 4. Mai inszeniert worden. Martin Luther wurde nicht getötet, sondern für zehn Monate vor dem Zugriff der Verfolgung aus dem Verkehr gezogen und auf Umwegen auf die Wartburg gebracht. Das eine der beiden wertvollen Bücher, das Neue Testament, hat er dort aus dem Griechischen ins Deutsche übersetzt.

Am Tag vor seiner Entführung predigte Luther im kleinen Kreis über den Vers aus Psalm 16: ‚ … du (, Gott,) wirst meine Seele nicht dem Tode lassen …‘

Er konnte nicht wissen, wie die Sache ausgehen würde. Geschichte hängt nicht nur an einzelnen Menschen und ihren Plänen. Wie sich Gottes Wille in die geschichtlichen Ereignisse einwebt, das bleibt unserer Einsicht letztlich verschlossen. Aber manchmal ist es zum Staunen.

Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche:

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Michael Markert

Michael Markert

Geboren am 08.03.1964 in Karl-Marx-Stadt | Studium der Theologie in Leipzig, Erfurt (1983-1989) und Philadelphia (1990-1991) | Pfarrer in der Michaelis-Friedens-Kirchgemeinde Leipzig (1997-2009) | Studienleiter am Pastoralkolleg Meißen (2009-2021) | Rektor im Kirchlichen Fernunterricht (seit 2021) | lebt in Leipzig | verheiratet | drei erwachsene Kinder

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Stephan Ringeis

Stephan Ringeis

Senderbeauftragter der Evangelischen Freikirchen beim MDR

geb. 18.09.1962 in Jena | aufgewachsen in Berlin | Studium der Theologie am Theologischen Seminar der Evangelisch-methodistischen Kirche in Bad Klosterlausnitz von 1982 bis 1987 | Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche in Neudorf/Erzgebirge 1987 bis 1990 | Pastor in Wilkau-Haßlau 1990 bis 1997 | Pastor in Zwickau von 1997 bis 2009 | Superintendent des Distrikts Zwickau der Evangelisch-methodistischen Kirche 2009 bis 2019 | Pastor im Interimsdienst (Geistliche Begleitung von Gemeinden in Übergangssituationen) | verheiratet | drei Kinder

Verantwortlich für Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie das Wort zum Tag...

... sind die Senderbeauftragten der evangelischen Landeskirchen, der evangelischen Freikirchen bzw. der römisch-katholischen Kirche.