Mittwoch, 02.06.2021: Weidenruten

Kaum ein Baum eignet sich besser als ein Hoffnungszeichen: Die Weide. Sie steht gern am Wasserlauf und wächst mit einer Geschwindigkeit, dass man fast zusehen kann. Landschaftspfleger schneiden sie deshalb regelmäßig zurück.

Die Weidenruten lassen sich wunderbar verarbeiten. Aber keineswegs lässt sich nur das geschnittene Totholz der Weidenruten als Baumaterial verwenden. Wer die abgeschnittenen Zweige ins Wasser stellt, findet unten am Schnitt schon nach wenigen Tagen neue Wurzeln. Weiden schlagen so bereitwillig Wurzeln, dass sie sogar einfach nur in feuchte Erde gesteckt werden können. Gärtner bauen sich damit einen lebendigen Gartenzaun oder gar eine Hütte.

Im Buch Hiob heißt es einmal: Denn ein Baum hat Hoffnung, auch wenn er abgehauen ist; er kann wieder ausschlagen und seine Schösslinge bleiben nicht aus. Ob seine Wurzel in der Erde alt wird und sein Stumpf im Staub erstirbt, so grünt er doch wieder vom Geruch des Wassers und treibt Zweige aus, wie eine junge Pflanze. (Hiob 14)

In einigen Orten gibt es eine Weidenkirche. Ein open-air-Gotteshaus aus lebendigen Bäumen. Eine der Kirchen steht auf dem Gelände eines Krankenhauses. Nach einem Unfall, nach einer Operation, nach einer Krankheit erfährt das Leben einen Einschnitt. Genesung heißt oft nicht: Wiederherstellung des vormaligen Zustands. Der Leib und die Seele müssen mit Verlust umgehen.

Aber dieser Zustand ist nicht ohne Hoffnung. Im Gegenteil. Neues, Anderes kann wachsen wie bei den abgetrennten Weidenruten. Manche brauchen zunächst eine Rankhilfe, aber in der Gemeinschaft mit anderen Zweigen stützen und stärken sie sich gegenseitig und finden neue Kraft.

Viele sprechen in diesen Tagen davon, dass die Kirche vergeht. Vielleicht bedarf es auch manchen radikalen Schnitts, wenn das Alte nicht ungebrochen fortgeführt werden kann und auch nicht darf. Wenn es aber Menschen gibt, die mit ihrem Glauben bereitwillig Wurzeln schlagen wie die Weiden, und sich gern verbinden mit anderen; die Licht suchen und sich neu gründen, dann wird sie sich eine Kirche als lebendiges Gotteshaus neu finden.

Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche:

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Michael Baudisch

Michael Baudisch

Michael Baudisch stammt aus Bad Neustadt/Saale und lebt in Dresden | nach Abitur, Studium der Journalistik und Politikwissenschaften arbeitete er als Kirchenredakteur in Leipzig | seit Oktober 2002 leitet er die Pressestelle des Bistums Dresden-Meißen

Kurzbiografie Holger Treutmann

Holger Treutmann

1963 in Springe bei Hannover geboren | verheiratet | 2 Kinder | Studium in Bethel, Göttingen, Berlin | 1989 1. Theologisches Examen in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover | 1989-1993 Pharmareferent bei Astra-Chemicals Wedel/Hamburg | 1993-1995 Vikariat in Bröckel bei Celle | 1995 2. Theologisches Examen in der Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannover | 1995 Wechsel in die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsen | 1995-1999 Pfarrer in Eibenberg-Kemtau und Chemnitz-Reichenhain | 1999-2005 Pfarrer in St.-Pauli-Kreuz-Gemeinde Chemnitz | 2006 - Januar 2016 Pfarrer der Frauenkirche in Dresden | Ehrenamtlicher Mitarbeiter der Notfallseelsorge Dresden | seit Februar 2016 Senderbeauftragter der Ev. Kirchen beim MDR und Rundfunkbeauftragter der Ev.-Lutherischen Landeskirche Sachsens

Verantwortlich für Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie das Wort zum Tag...

... sind die Senderbeauftragten der evangelischen Landeskirchen, der evangelischen Freikirchen bzw. der römisch-katholischen Kirche.