Teilchenphysik Kernfusion im Keller unter Dresden
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08. Juli 2019, 14:48 Uhr
Was passiert eigentlich in der Sonne und den anderen Sternen des Universums? Woher nimmt die Sonne ihre Energie? Welche Prozesse laufen in den Sternen ab? Das wollen Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) und der TU Dresden ganz genau wissen. In Deutschlands erstem Untertage-Teilchenbeschleuniger in Dresden lassen sie Wasserstoffatome aufeinanderprallen und stellen Kernreaktionen aus dem Inneren der Sonne nach.
Die Adresse klingt harmlos und absolut nicht nach Sonne. Dabei schaut in diesen Tagen die weltweite Forschergemeinde auf den Ionenteilchenbeschleuniger, der "Am Eiswurmlager" am Plauenschen Grund im Südwesten Dresdens residiert. Das neueste Labor des Helmholtz-Forschungszentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) und der TU Dresden, das am 4. Juli 2019 in Betrieb geht, befindet sich in einem früheren Eislager der Felsenkellerbrauerei. Mitten in der Erde - abgeschirmt von einer 45 Meter dicken Felsdecke - stellen die Forscher die Kernreaktionen aus dem Inneren der Sonne nach. Das Dresdner Labor ist erst das zweite dieser Art in Europa und das dritte weltweit.
Wir sind jetzt hier in der Lage, fundamentale Prozesse, die in allen Sternen ablaufen, zu simulieren.
Labor 45 Meter tief im Felsen
Die Gebäude auf dem Gelände "Am Eiswurmlager" strömen mit ihren braunen Bruchsteinen und roten Ziegeln jenen leicht morbiden Charme aus, der bei Start-Ups gefragt ist. Über 200 Firmen residieren auf dem unübersichtlichen und verwinkelten Gelände. Das neue Labor liegt in den Stollen 8 und 9 - natürlich dürfen diese nur mit einem Helm betreten werden. Im Inneren des Felsen herrschen zwar konstant kühle 15 Grad, aber die High-Techgeräte verlangen nach trockener Luft. Vorbei an großen Teilen der Klimaanlage geht es etwa 45 Meter in den Fels hinein. Dann beginnt der Laborbereich.
Sterne sind gewaltige Kraftwerke
Die Sonne und auch die unzähligen anderen Sterne, die am Nachthimmel leuchten, sind gewaltige Kraftwerke. Sie gewinnen ihre Energie, indem sie in ihrem Inneren Atomkerne miteinander verschmelzen lassen. Die Sonne beispielsweise ist in ihrem Kern bis zu 16 Millionen Grad Celsius heiß und fusioniert Wasserstoff zu Helium.
Wir versuchen grundlegend zu verstehen, wie die Sonne aufgebaut ist. Sie ist der Modellstern für alle Sternen-Modelle. Dieses Sonnenmodell zu verfeinern und auf Herz und Nieren zu prüfen, ist Teil der Forschungsanstrengungen unsere Labors.
Modell der Sonne verbessern
Physiker bemühen sich weltweit, das Modell der Sonne zu verbessern, um präzisere Voraussagen über die Zahl der von der Sonne ausgesendeten Elementarteilchen (Neutrinos) zu erhalten. Der Dresdner Ionenbeschleuniger bietet dafür jetzt ideale Bedingungen. Doch nicht nur deswegen blickt die Forschergemeinde gespannt nach Dresden, sondern auch weil man sich die Lösung eines Rätsels erhofft. Die bisherigen Berechnungen zu den Vorgängen im Sonneninneren basieren auf zwei verschiedenen Messansätzen und kommen zu widersprüchlichen Lösungen.
"Also man kann das Sonnenmodell entweder so rechnen, dass die erste oder das die zweite Art von Messungen stimmt, aber nicht beides. Unsere Forschung kann vielleicht einen Beitrag zu einer dritten, unabhängigen Überprüfung des Sonnenmodells leisten und dann kann man vielleicht auch rausfinden, wo die Wurzel für die Diskrepanz ist, die wir momentan haben", sagte Bemmerer.
Eine acht Meter lange Röhre
Tief im Felsen beginnt das Labor. Das Herzstück des Dresdner Beschleunigers ist eine übermannsgroße acht Meter lange und zehn Tonnen schwere Röhre – der Ionenbeschleuniger. Hier werden Bedingungen ähnlich wie in der Sonne erzeugt. "Hier werden die Ionen auf Energien beschleunigt, wie wir sie für unsere astrophysikalischen Experimente brauchen", erklärte Bemmerer. Haben die Ionen die richtige Geschwindigkeit werde der beschleunigte Strahl auf ein festes Ziel (Target) gelenkt und zur Kollision gebracht. "Da finden Kernreaktionen statt, wie wir sie auch in der Sonne haben“, sagte Bemmerer. Mit fünf Millionen Volt feuert der Beschleuniger die geladenen Atomteilchen also fast mit Lichtgeschwindigkeit auf andere Atome.
In der Sonne entsteht auch Kohlenstoff
Im Sonneninneren fusionieren Wasserstoffatome zu Helium. Doch die Brennprozesse in der Sonne gehen weiter: aus dem Helium entsteht Kohlenstoff, aus dem Kohlenstoff dann schwerere Elemente wie Magnesium, Natrium oder Sauerstoff. Jedes Element hat dabei eine typische Häufigkeit. Die die Wissenschaftler bei Kohlenstoff und Sauerstoff aber nicht erklären können. Bemmerer erläutert: "Mit dem Ionenbeschleuniger können die Forscher Wasserstoff, Helium und Kohlenstoff erzeugen. Wir können damit also das Wasserstoffbrennen und das Heliumbrennen, und prinzipiell auch das Kohlenstoffbrennen untersuchen."
Geringe Reaktionsraten
Die Herausforderung: Die Reaktionsraten der Fusionen sind sehr gering. Zu einer wirklichen Verschmelzung und dem Entstehen eines neuen Elements kommt es trotz aller Geschwindigkeit nur selten. (Auch in den Sternen passiert das kaum. Sonst wäre die Sonne schon längst ausgeglüht.) Verschmelzen im Dresdner Felsenkellerlabor zwei Atomkerne, wird Gammastrahlung frei und die hochempfindlichen Messgeräte ringsum registrieren das. Über einen langen Zeitraum entstehen dabei wegen der geringen Redaktionen jedoch nur wenige Messsignale. Gleichzeitig gibt es jedoch jede Menge Signale, die von anderen Teilchen hervorgerufen werden, beispielsweise aus der kosmischen Höhenstrahlung.
Perfekter Schutz im Fels
Unter den fast 50 Meter dicken Felswänden des früheren Eislagers sind die Messegeräte perfekt geschützt. Das Stollen-Gestein bildet einen natürlichen Schild gegen die kosmische Höhenstrahlung, die die Erde im Sekundentakt mit Teilchen bombardiert. "Da das unsere Messungen verzerrt, können wir die Experimente nicht an der Erdoberfläche durchführen", erläutert Kai Zuber, Professor für Kernphysik an der TU Dresden und wissenschaftlicher Leiter des Labors.
Das Eislager der Felsenkeller-Brauerei - hier lagerten lange Zeit vor der Erfindung des Kühlschranks übrigens große Eisblöcke, um das frisch gebraute Bier zu konservieren - bietet also einen perfekten Schutz für die Experimente.
Kernfusion in Sachsen
Der Teilchenbeschleuniger im Dresdner Felsenkeller steht Wissenschaftlern aus der ganzen Welt zur Verfügung. Das internationale Interesse ist jetzt schon so groß, dass die Dresdner eine Kommission gegründet haben, die die interessantesten Experimentiervorschläge herausfinden soll.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | Sachsenspiegel | 04. Juli 2019 | 19:00 Uhr