Evolution Was Tierzähne verraten: Homo sapiens war kälteresistenter als gedacht
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22. September 2021, 20:01 Uhr
Bisher hatte man angenommen, dass wärmere Klimabedingungen günstig für die Ausbreitung der frühen Homo sapiens in Europa waren. Forschende des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie fanden nun aber anhand von Proben aus der Bacho-Kiro-Höhle in Bulgarien heraus, dass sie einem subarktischen Klima ausgesetzt waren.
Will man etwas über die Ausbreitung des Homo sapiens in Europa wissen, kommt man um die Bacho-Kiro-Höhle in Bulgarien nicht herum. Seit 2015 ist sie der "Place to be", wenn es um die Erforschung des Frühmenschen geht. Bereits im letzten Jahr veröffentlichte das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig (MPI EVA) bahnbrechende Ergebnisse zu spektakulären Funden aus dieser Höhle im Fachmagazinen "Nature" und "Nature Ecology & Evolution". Der Knüller damals: Das Jungpaläolithikum, also die Zeit, die mit dem Auftreten des Homo sapiens in Eurasien eingeläutet wurde, begann viel früher als bis dahin angenommen. Nämlich vor rund 46.000 Jahren.
Wie, wann, warum – die Wanderung des Homo sapiens
Homo sapiens hat sich im Laufe der Zeit auf allen Kontinenten und in einer Vielfalt von verschiedenen Klimazonen ausgebreitet. Warum er das aber getan hat bzw. was diese anfängliche Ausbreitungswelle begünstigt hat, ist nach wie vor umstritten. Dazu gibt es verschiedene Modelle. In den meisten ging man bisher davon aus, dass Menschen auf wärmere Klimabedingungen angewiesen waren, um sich in neuen nördlicheren Umgebungen auszubreiten. Aber nun liefert die Bacho-Kiro-Höhle einen weiteren Knüller: die Menschen haben mehrere tausend Jahre lang sehr kalte klimatische Bedingungen überdauert – vergleichbar mit denen, die in Nordskandinavien heute typisch sind.
"Wir konnten belegen, dass diese Menschengruppen flexibler in Bezug auf die von ihnen genutzten Umgebungen und anpassungsfähiger an unterschiedliche klimatische Bedingungen waren als bisher angenommen", sagt Erstautorin Sarah Pederzani, Forscherin am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und der Universität Aberdeen.
Feststellen konnten das die Forschenden anhand stabiler Sauerstoffisotope im Zahnschmelz der Tiere, die von den Frühmenschen in der Höhle geschlachtet wurden. In der Natur kommt Sauerstoff in den isotopischen Formen 16O, 17O und 18O vor. Untersucht man Proben auf diese Sauerstoffisotope und findet viel 18O, deutet das darauf hin, dass die Probe aus einer warmen Zeitperiode stammt. Enthält sie nur wenig 18O, stammt sie aus einer kälteren Zeit. Über ein Jahr verbrachte Sarah Pederzani im Labor, um die Daten zusammenzutragen.
Zeitaufwendig aber präzise
"Durch diese zeitintensive Analyse, die insgesamt 179 Proben umfasste, war es möglich, eine sehr detaillierte Aufzeichnung vergangener Temperaturen zu erstellen, einschließlich Schätzungen der Sommer-, Winter- und Jahresmitteltemperaturen für den Aufenthalt von Menschen in der Höhle über einen Zeitraum von mehr als 7.000 Jahren", sagt Pederzani.
Mit der Untersuchung stabiler Sauerstoffisotope ist den Forschenden eine zuverlässigere Zuordnung des lokalen klimatischen Kontextes gelungen. Üblicherweise werden dafür archäologische Daten und mit denen aus Klimaarchiven aus verschiedenen Orten verglichen und geschaut ob es Zusammenhänge gibt. So haben die Forschenden einen wirklichen Einblick in das Leben vor Ort erhalten. Und wer weiß, vielleicht birgt die Bacho-Kiro-Höhle noch viel mehr Geheimnisse, die die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie für uns entschlüsseln werden.
JeS