Große Fragen in 10 Minuten Wie gefährlich ist die Sonne?
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27. November 2024, 12:06 Uhr
Ohne die Sonne kein Leben. Das steht außer Frage. Wir brauchen die Sonne. Wir lieben die Sonne. Aber wir schauen besser nicht direkt hinein. Das würde unsere Netzhaut zerstören. Und auch die tollen Polarlichter, die wir in diesem Jahr fast überall sehen konnten, sind faszinierend, aber gleichzeitig auch Beweis dafür, wie gefährlich die Sonne ist. Warum? Das erklärt Karsten Möbius im MDR Wissen Podcast: Große Fragen in 10 Minuten.
Am 1. September 1859 beobachtet der englische Astronom Richard Carrington wieder einmal die Sonne. Dabei erkennt er ungewöhnlich viele Sonnenflecken. Plötzlich wird er von zwei Lichtblitzen auf der Sonne überrascht. Er hat null Ahnung, was das gewesen sein könnte.
In der darauffolgenden Nacht, in der Nacht vom 1. zum 2. September, glühen die gerade erst installierten und hochmodernen Telegrafenleitungen in Nordeuropa und Nordamerika. Die Papierstreifen in den Empfängern beginnen zu brennen. Selbst als die Angestellten den Strom abschalten, funktioniert das System noch. Es kann bei abgeschalteten Morseapparaten sogar noch Nachrichten verschicken.
Heute wissen wir: Die beiden Ereignisse die Lichtblitze und alles das, was in der Nacht an außergewöhnlichen Dingen passiert ist, das gehört zusammen: Richard Carrington hat einen beginnenden Sonnensturm beobachtet.
165 Jahre später umkreist die Sonde Solar Probe die Sonne. Sie ist das Schnellste, was die Menschheit je gebaut hat. Mit knapp 600-tausend Stundenkilometern streift sie die Sonnenatmosphäre. Seitdem wissen wir, dass die sogenannten dunklen Sonnenflecken Ausgangspunkt der Sonnenstürme sind. Das sind gigantisch große Bereiche auf der Sonnenoberfläche:
Wir kommen so auf 100-tausend Kilometer in der Größe der Gebiete. Und von denen geht dann der enorme Sturm in das All aus.
Dr. Volker Bothmer leitet am Institut für Astrophysik der Uni Göttingen die Arbeitsgruppe zur Physik der Sonne. Er spricht von tausenden von Sonnenstürmen, die auf der Sonne stattfinden. Viele fallen wieder in sich zusammen. Manche Sonnenflecken spucken riesige Mengen Materie aus, die dann wie in Schläuchen immer schön entlang der Magnetfelder wieder im Sonnenfleck verschwinden. Sogenannte Protuberanzen: Manche sind 40-tausend Kilometer hoch und fünftausend Kilometer dick. Auch sie können Ausgangspunkte von Sonnenstürmen sein.
Wenn es aber zu einem Sonnensturm kommt. Dann gibt ein klares Protokoll wie man im Beamtendeutsch sagen würde. Und das Protokoll sieht so aus: Zuerst sieht man das, was Richard Carrington gesehen hat, aber nicht wusste, was es ist.
Also zuerst sehen wir, dass ein Lichtblitz entsteht. In einem Gebiet auf der Sonne. Der sogenannte Flair dauert Minuten bis zu anderthalb Stunden.
Von diesem Lichtblitz, dieser ersten Phase des Sonnensturms kriegen wir beim Fahrradfahren oder Pilze sammeln nichts mit. Ist auch nicht weiter schlimm. Passiert auch nichts weiter – naja stimmt nicht ganz. Bothmer: "Und der wirkt sich auf die Tagseite aus, die Richtung Sonne ist. So dass wir da eine Brechung oder eine Änderung von GPS oder Funksignalen bekommen. Und wenn sie jetzt mit einer Radaranlage wie in Skandinavien 2015, im November, nachmittags bei untergehender Sonne voll draufhalten, dann sind sie für kurze Zeit blind. Das haben wir in der Geschichte schon häufig gehabt. Das hat sogar schon zu Air-Force-One-Alerts geführt und man hat gedacht, es sind die Russen, die die Radaranlagen blind strahlen, aber es war die Sonne, aber man hat da alles schon in Alarmbereitschaft versetzt.“
Für diesen Lichtblitz gibt es Null Vorwarnzeit. Nach acht Minuten – solange braucht das Licht bis zur Erde – können wir ihn sehen. Aber er ist nur der erste Bote und kündigt an, dass da eventuell noch mehr kommt. Kommen wir zu Phase 2. Bothmer: "Und dann wird Materie freigesetzt. Das ist der zweite Effekt. Diese Materie wird beschleunigt wie bei einem Überschallflugzeug und die beschleunigten Atome, die rasen dann zur Erde, sind etwas langsamer als das Licht. Aber so nach 15 Minuten haben wir den Effekt."
Diese energiereiche Strahlung ist ein besonderes Problem für Astronauten auf der ISS, auf dem Mond oder falls es mal Reisen zum Mars oder weiter weg geben sollte. Oder auch für Flugzeugbesatzungen, die öfter hoch oben in der Luft sind. Für uns Normalos ist auch diese sogenannte harte Strahlung eher kein Problem.
Bothmer: "Weniger für Passagiere, weil das ist dann einmal Röntgen, wenn man in bestimmten Routen fliegt. Und wenn wir an uns denken, dann sind wir persönlich durch diese Atome nicht bedroht. Die kommen gar nicht auf dem Erdboden an, sondern werden durch unsere schöne Erd-Atmosphäre abgeschirmt."
Dann kommt er der eigentliche Sonnensturm. Und dieser Sturm besteht aus Milliarden Tonnen von Teilchen, die ins All geblasen werden. Und damit wären wir bei Phase 3: Das große Finale – das folgt einen halben Tag bis zu 2 Tage nach dem Lichtblitz.
Bothmer: "Und dann haben wir noch als Komponente unseren Sturm, unseren Orkan. Anschaulich gesagt: Wenn ich einen Luftballon aufpuste, die Öffnung, wo ich reinblase, das wäre die Sonne und der Luftballon ist dann sozusagen der Sonnensturm."
Die Blase ist so riesig, dass uns die Milliarden Tonnen Atome nicht als gigantischer Sandsturm entgegenkommen. Die schmirgeln also nicht den Erdsatelliten die Farbe vom Leib, sondern die Materie ist so dünn verteilt, dass dieser Sonnensturm im Universum immer noch als Hochvakuum durchgeht. Der Orkan, der über die Erde fegt, ohne dass wir einen Hauch davon spüren, drückt auf die Atmosphäre und auf das Magnetfeld der Erde. Satelliten werden tiefer in die Atmosphäre gedrückt, wieder werden Funk- und GPS-Signale gestört.
Bothmer: "Die niedrig-fliegenden Satelliten sacken kurzzeitig ab und sie haben kurzzeitig keine Verbindung mehr zu ihren Satelliten. Wenn wir an die Landvermessung denken und sie haben Sonnenaktivität erhöht für ein paar Tage und die Sonne macht da einige Ausbrüche dann können sie die GPS-Messungen nicht benutzen."
Und es gibt die Polarlichter, die zwar großartig sind, die es aber es in sich haben. Sie sind Zeichen, dass da was in der Luft liegt – nämlich Energie. Jede Menge Energie. Es fließt Strom, wenn der Sonnensturm auf die Atome unserer Atmosphäre trifft. Zum Teil um die gesamte Erde und in unterschiedlichen Höhen. Da ist von Ringströmen die Rede, von Birkeland-Strömen, den Pedersen-Strömen und den polaren Elektrojets. Und jetzt ahne ich, warum 1859 das Telegrafenpapier gebrannt hat oder 1989 das komplette Stromnetz der kanadischen Provinz Quebec zusammengebrochen ist.
Also wir haben die Polarlichter in Höhen von 100 bis 1.000 km. Die Ströme, die jetzt auf dem Erdboden Effekte machen, fließen so in 80 bis 100 km Höhe.
Und diese Ströme sind keine Gefahr für unser Heizkissen, unseren Laptop oder unseren Fön sagt Bothmer. Sie haben es nur in sich, erstens wenn man sich unter Polarlichtern befindet und auch nur dann, wenn Elektrokabel lang sind, dann sammeln sie über die Länge jede Menge Energie ein, die in der Luft liegt.
Bothmer: "Lokal besteht überhaupt keine Gefahr, dass irgendein Gerät kaputt geht. Sie brauchen eine lange Leitung, ab 30 km. Wenn sie jetzt an ein Transatlantik-Kabel denken, ist es enorm. Wenn sie an Stromnetze denken, dann reden wir von hunderten von Kilometern."
Das Schöne an Phase 3 eines Sonnensturms sind nicht nur die Polarlichter. Das Schöne ist, dass der Teilchen-Orkan etwas später kommt als der Lichtblitz. Wir haben also eine gewisse Vorwarnzeit. Astronauten müssen in Schutzräume, Raketenstarts oder Missionen werden verschoben, Satelliten werden in höhere Umlaufbahnen gehievt oder abgeschaltet. Piloten dürfen im Zweifel nicht starten, Flugrouten werden verändert. Und die Betreiber von Stromnetzen in den nördlichen Breiten schauen mit besonderer Vorsicht auf ihre Technik.
Der Plan ist so eine Art Weltraumwetterbericht hinzukriegen, um das alles noch exakter Vorhersagen zu können. Dafür müssten aber noch ein paar mehr Satelliten ins All.
Dieses Thema im Programm: MDR | Die großen Fragen in zehn Minuten | 27. November 2024 | 13:00 Uhr