Person in Schutzanzug, Schutzbrille und einer Art Rucksack auf Plantage, sprüht durch ein großes Rohr Flüssigkeit Richtung Baum – idyllische Szenerie, Gegenlicht durch tief stehende Sonne, dadurch Flüssigkeitsnebel aus Rohr besonders gut zu sehen
So idyllisch kann Pestizideinsatz sein. Bildrechte: imago/Pond5 Images

Biodiversität Befangenheit? Wenn Chemiekonzerne ganz unauffällig zum Insektensterben forschen

24. August 2023, 18:00 Uhr

Chemieunternehmen, die Pestizide wie Glyphosat auf den Markt bringen, lassen zum Insektensterben forschen – und publizieren nüchtern ihre Ergebnisse. Das klingt irgendwie verdächtig. Und trotz der unspektakulären Ergebnisse könnte dahinter eine sanfte, aber möglicherweise wirksame PR-Strategie stecken. Was sagen Fachleute?

Die Geschichte beginnt mit einem wissenschaftlichen Mauerblümchen: Eine Metastudie, die Studien zu den Ursachen fürs Insektensterben zusammenfasst. Ergebnis: Die Menschen sind für den Rückgang der weltweiten Insektenpopulationen verantwortlich, allen Ursachen voran durch Landnutzung, Landwirtschaft, Klimawandel, Urbanisierung. Also alles wenig überraschend und bereits vielfach diskutiert. Oder um es mit den Worten des Leipziger Biodiversitätsforschers Roel van Klink zu sagen: "Diese Studie präsentiert nichts Neues. Die Arbeit listet den menschlichen Druck auf, dem Insekten – in der Studie nur Laufkäfer und Schmetterlinge! – ausgesetzt sind, nur etwas systematischer als frühere Veröffentlichungen. Nichts davon ist etwas, was wir nicht schon wussten."

Hersteller von Glyphosat und Co.: Unauffällige Studie im Profi-Kontext?

Dass Roel van Klink, der sich am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) mit Langzeitveränderungen von Insektenpopulationen beschäftigt, die beiden Tierchen noch mal herausstellt, ist naheliegend: Nun sind Laufkäfer und Schmetterlinge zweifelsfrei wertvolle Geschöpfe, die unermüdlich und gebeutelterweise ihren Beitrag zum Ökosystem liefern. Eine Fokussierung auf bestäubende Insekten wie Bienen wäre aber sicherlich naheliegender gewesen. Noch auffälliger als die Wahl der Untersuchungsobjekte sind die Köpfe hinter dem Paper: Fünf der acht Forschenden sind Angestellte eines der drei großen Chemieunternehmen Bayer, BASF und Syngenta. Oha.

Nichts davon ist etwas, was wir nicht schon wussten.

Dr. Roel von Klink iDiv Leipzig

Die Methodik der Studie ist prinzipiell in Ordnung, die Ergebnisse sind nicht falsch. "Bleibt die Frage, warum diese Unternehmen die Zeit und das Geld investieren, um eine solche Literaturübersicht zu erstellen und zu veröffentlichen." Van Klink vermutet, dass sie erstens sehen wollten, welche Beweise denn eigentlich überhaupt vorliegen, dass ihre Pestizide die Ursache für den Rückgang der Insekten sind. Tatsächlich gibt es sehr wenig wissenschaftliche Evidenz für den Einsatz von Pestiziden als Ursache für den Rückgang von Insektenpopulationen an sich. Es ist stets eine Gesamtgemengelage aus vermehrtem Mähen, Düngen, Ernten, Pflügen sowie dem Pestizideinsatz. "Diese lassen sich in den verfügbaren Beobachtungsstudien nicht voneinander trennen und alle wirken sich negativ auf die (meisten) Insekten aus", gibt van Klink zu bedenken.

"Tatsächlich werden Pestizide in dieser Arbeit als Faktoren für das Insektensterben zwar immer wieder genannt, ihre Rolle scheint nach der Lektüre aber eher untergeordnet zu sein", sagt Johannes Steidle, Leiter des Fachgebiets Chemische Ökologie an der Uni Hohenheim. "Der naheliegendste Verdacht ist, dass die Autoren, die zum Großteil in der chemischen Industrie beschäftigt sind, von der Rolle der Pestizide beim Insektensterben ablenken wollen." Die Arbeit mache sich also den Umstand zu Nutze, dass Pestizide bisher in ihrer Wirkung kaum isoliert untersucht wurden. "Den Autoren der aktuellen Studie war dieses methodische Problem klar und sie sprechen es auch in der Diskussion an. Allerdings haben sie nicht die entsprechenden Schlussfolgerungen gezogen", so Steidle.

Eine Schlussfolgerung wäre, sich nur auf die Arbeiten zu beschränken, die zum Beispiel explizit Pestizide als Faktor mit untersucht haben. "Wenn ich in einer Arbeit etwas falsch gemacht habe, dann wird das nicht dadurch besser, dass ich das weiß und zugebe, sondern nur dadurch, dass ich es richtig mache. Ich bin überrascht, dass die Reviewer dieses Artikels den Autoren diesen methodischen Fehler haben durchgehen lassen. Das hätte nicht passieren dürfen."

Wenn man etwas böswillig wäre, könnte man durchaus vermuten, dass die Autoren mit dieser Arbeit versuchen, in einem Nebel von Daten und Text die Rolle von Pestiziden zu verschleiern

Prof. Dr. Johannes Steidle Uni Hohenheim

Nun sind, wie gesagt, mehrjährige Arbeiten zur Rolle von Pestiziden (nicht aber zu ihrer schädlichen Wirkung) schwer umzusetzen und deshalb selten. Ökologe Steidle warnt dennoch vor einem Trugschluss: "Das hat aber nichts mit der möglichen Wirkung von Pestiziden auf Insektenpopulationen zu tun." Seiner Einschätzung zufolge stehen Pestizide auf Platz zwei als Ursache für das Insektensterben, gleich hinter der Landnutzung. Studien würden diese Einschätzung stützen. "Wenn man also etwas böswillig wäre, könnte man durchaus vermuten, dass die Autoren mit dieser Arbeit versuchen, in einem Nebel von Daten und Text – denn so richtig einfach zu lesen ist der Artikel auch nicht! –, die Rolle von Pestiziden beim Insektensterben zu verschleiern."

Luftaufnahme: Traktor fährt über Feld und verspritzt aus langen Stangen links und rechts Flüssigkeit auf Feld. Sojapflanzenanbau bis zum Horizont, warme, idyllische Lichtstimmung durch späte Sonne
Noch mehr Pestizididylle, hier in Serbien. Bildrechte: imago/Westend61

Roel van Klink vom Leipziger iDiv ist da etwas nachsichtiger: "Die Autoren haben Recht, dass die meisten Studien nicht in der Lage sind, schlüssige Beweise für die Triebkräfte des Wandels zu liefern, aber sie räumen ein, dass oft auch korrelative Analysen gültig sind." Der Grund dafür sei, dass es nahezu unmöglich ist, alle gleichzeitig auftretenden menschlichen Einflüsse langfristig experimentell zu untersuchen. Eben auch der Grund für die dünne Datenlage. "Dies würde Manipulationen auf Landschaftsebene über viele Jahre hinweg und einen enormen Aufwand für die Erhebung der Insektendaten erfordern. Kein ökologisches Projekt verfügt über diese Ressourcen. Stellen Sie sich nun vor, zu versuchen, die sich verstärkenden Auswirkungen von zum Beispiel Pestiziden zu untersuchen, die sich über viele Jahre im Ökosystem anreichern, während andere Faktoren gleich bleiben sollten. Das ist einfach unmöglich."

PR-Strategie von Bayer, BASF und Syngenta könnte sanft, aber wirksam sein

Auch van Klink sieht hier die Gefahr einer wattebauschigen PR-Strategie. Chemieunternehmen könnten es sich zu nutzen machen, dass Pestizide nie als Hauptverursacher, sondern als ein Grund aus einer Reihe von Gründen für den Rückgang von Insektenpopulationen verantwortlich gemacht werden. "Auf jeden Fall können die Autoren ihren Chefs nun wahrheitsgemäß und auf der Grundlage der wissenschaftlichen Literatur sagen, dass die Beweise für Pestizide als Hauptursache sehr, sehr gering sind. Dies könnte es ihnen auch ermöglichen, den Fokus von den Pestiziden weg zu lenken." Nur gibt es dazu aber schon genug Arbeiten. Die Kosten und Mühen hätte man sich sparen können – und in den Chefetagen eben einfach auf die bestehende Literatur verweisen.

flo, mit SMC

Links/Studien

Die Metastudie Drivers and pressures behind insect decline in Central and Western Europe based on longterm monitoring data erschien im Fachblatt Plos One.

DOI: 10.1371/journal.pone.0289565

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