Lebensmitteltechnik Blau. Lebensmittelfarbe der Hoffnung.

10. April 2021, 10:00 Uhr

Ob schädlich oder nicht: Künstliche Farbstoffe sind leider nicht sonderlich angesagt. Dafür gibt’s inzwischen natürliche Alternativen. Außer beim Blau, da wird’s eng. Aber wieso färben wir Lebensmittel eigentlich? Und gibt’s doch noch Hoffnung für die Mitte des Lebensmittelregenbogens?

Junge Frau lacht bei sonnigem Wetter, streckt leich bläulich gefärbte Zunge raus und hält Eistüte mit blauem Eis in der Hand, das leicht tropft
Schlumpfeis macht Spaß, zumindest einigen. Und vielleicht geht das bald auf natürlichem Wege. Bildrechte: imago images / Westend61

Wer an blaue Lebensmittel denkt, der denkt an Schlumpfeis, so viel ist sicher. Und sonst so? Arg viel gibt’s da gar nicht, höchstens ein paar weitere Süßigkeiten, sowas wie Mentholbonbons oder irgendeine Donut-Winteredition. Selbst blaue Gummibärchen sind rar – zumindest beim Marktführer und dort nur als Werbegag zu bekommen. Ob Sie das jetzt glauben oder nicht: Fruchtgummibären aus Bonn sind mit natürlichen Farben gefärbt und zwar im Regelfall ohne einen blauen Kandidaten. Denn ein natürliches blaues Bärchen war bisher nur mit Farbe aus Algen machbar – und daran wollte man offensichtlich nicht festhalten.

Gleich mal die Zutatenliste überprüfen: Tatsache, alle Gummibärchen kommen ohne künstliche Farbstoffe aus. Bei dem fast genauso berühmten Lizenzprodukt um Schlumpfine, Papa Schlumpf und Co. sieht schon anders aus. Dort gibt es kein Versprechen, dass die Farbe natürlich sein müsse, deshalb kommt Schlumpfblau zum Einsatz. Schlumpfblau heißt in Fachkreisen Indigokarmim oder Indigotin und auf Verpackungen manchmal auch nur E 132. Der Farbstoff gilt als gesundheitlich unbedenklich, wobei es Hinweise gibt, dass in Kombination mit Natriumnitrit, das in anderen Lebensmitteln vorkommen kann, gesundheitsschädliche Nitrosamine entstehen können. Entsprechende Versuche fanden bisher aber nur an Mäusen statt.

Ein Glas mit Schraubdeckel mit Fruchtgummi – Colafläschchen und bunte gezuckerte Würmer – steht auf einem dunklen Schreibtisch. Im Hintergrund unscharf teilweise ein Computer mit Maus, Tastatur und Fuß einer Schreibtischlampe.
Ausgeschlumpft: Bei Bio-Fruchtgummi sucht man Blautöne vergebens. Bei manch anderen Sorten auch. Bildrechte: Florian Zinner

Manchmal darf es auch etwas brillanter sein als ein blauer Zwerg mit weißer Mütze. Dafür braucht man im Zusatzstoffindex nur um eins weiterzugehen, um bei E 133 zu laden: Brillantblau FCF. Während die Verwendung von Indigotin weitestgehend auf Süßwaren und Getränke beschränkt ist, darf Brilliantblau sogar in Wurst und Käse eingesetzt werden. Dort allerdings in den essbaren Überzügen und nur so viel, wie auch wirklich notwendig ist. Wobei sich die berechtigte Frage stellt, wie viel Blau in herzhaften Lebensmitteln eigentlich notwendig ist und wie appetitanregend Blauwurst und Blaukäse nun tatsächlich sind. Bekannter und gesellschaftsfähiger dürfte die Verwendung in Blue Curaçao-Likör sein. Auch Brillantblau gilt als unbedenklich und wird vom Körper sogar unverdaut ausgeschieden. Also wenn Sie sich auf dem Töpfchen mal wie ein Einhorn fühlen wollen – na, Sie wissen, was Sie zu tun haben.

Chemiefarbe: unbequem reglementierungsbedürftig

Unbedenklich hin oder her: Bei Brilliantblau hat sich – ebenfalls in Tierversuchen – gezeigt, dass sich hohe Dosen in den Nieren oder den Lymphgefäßen ablagern können. Damit das gar nicht erst passiert, gibt es Höchstmengen. 300 Milligramm pro Kilo ist so eine Höchstmenge bei Süßigkeiten. Das macht das Produkt natürlich etwas unbequem und reglementierungsbedürftig, weil so genau weiß man ja nie. Und irgendwie fühlt es sich halt immer besser an, etwas zu sich zu nehmen, das in der Natur gewachsen ist und nicht im Labor.

Sehr künstlich anmutender blauer Likör in einem Glas mit Blaubeeren drum herum garniert
Brillantblau im Likör gibt's derzeit nur künstlich, die Heidelbeeren wissen aber schon, wie man's natürlich macht. Bildrechte: imago images/g215

Das weiß auch die Lebensmittelindustrie. Nicht nur die Gummibärenbranche, sondern auch die großen Player setzen eigentlich lieber natürliche Farbstoffe ein als künstliche. Weniger aus Liebe zum Ursprünglichen als aus Liebe zum guten Umsatz, denn natürliche Farbstoffe lassen sich gut verkaufen. Unterm Strich klingt's nicht nur unbedenklicher, sondern teilweise sogar gesund. Nehmen Sie mal Betacarotin. Betacarotin, manchmal auch in einer Mischung mit Alpha- und Gammacarotin, trägt die Karotte ja schon im Namen, ein zweifellos als sehr gesund angesehenes Gemüse, vor allem wegen des Vitamin A. Und tatsächlich ist Betacarotin eine Vorstufe des Vitamin A. Und ansonsten eben ein Naturfarbstoff, der allerdings auch synthetisch hergestellt werden kann. Damit lässt sich prima einfärben: Von gelb bis orange-rot ist alles drin. Margarine, Käse, Wurst glänzen gülden und rötlich dank E 160a. (Ja, auch natürliche Farbstoffe haben eine E-Nummer.) Dass die Margarine mit gesunden Möhrchen gemacht wurde, heißt das aber nicht.

Wie war das gleich mit den E-Nummern?

Im europäischen Wirtschaftsraum sind zugelassenen Lebensmittelzusatzstoffen – die Lebensmitteln zugeführt werden, damit es bestimmte Eigenschaften annimmt – einheitliche E-Nummern zugeordnet. Eine E-Nummer heißt nicht automatisch, dass ein Zusatzstoff synthetisch hergestellt wurde. E 100 ist beispielsweise der Naturfarbstoff Curcumin – orange-gelb wie in Kurkuma. Farbstoffe haben im Übrigen die Pole-Position im Zusatzstoffindex, ihnen sind die Nummern E 100 bis E 180 zugeordnet. Die 200er gelten vor allem den Konservierungsmitteln.
EU-Verordnung mit den zugelassenen Stoffen

Für Brillantblau gibt es da bisher keinen Ersatz, was denjenigen im Wege stehen könnte, die sich gern mal einen Blue Curaçao aus dem Bioladen um die Ecke einschenken würden. Eine natürliche Alternative ist nämlich gerade beim Blau keine so leichte Sache. Und problematischer als beim Brillantblau ist die Lage, wenn die Lebensmittelindustrie auf Patentblau V (E 131) setzen möchte. Das ist zwar in Europa zugelassen, in Ländern wie den USA und Norwegen aber nicht. Allergieähnliche Reaktionen sind der Grund, weshalb auch hierzulande der Einsatz selbst in Kosmetika wie Mundwasser eine fragwürdige Sache ist.

Ein Viertel Käse mit kräuterähnlicjer Rinde aus Wildblumenblüten, darüber liegend eine blaue Kornblume mit Stängel
Wer mal so richtig Lust auf blaue Lebensmittel ohne Chemie hat: Mit etwas Glück ist in der Rinde vom Wildblumenkäse auch Kornblume dabei. Bildrechte: imago images/CHROMORANGE

Anders als an rot oder gelb kommt man an blau auf natürlichem Wege nicht so ohne weiteres ran. Das hat einen einfachen Grund: Blau ist in der Natur sehr selten (mal abgesehen vom blauen Himmel und dem damit verbundenen blauen Ozean, was allerdings nicht auf irgendwelche Farbstoffe zurückzuführen ist, sondern eine physikalische und psychologische Ursache hat). Und wenn die Farbe doch mal vorkommt, bei der Kornblume zum Beispiel, ist das Extrahieren recht kompliziert bis fast unmöglich.

Erfolg hatte man in den vergangenen Jahren mit Spirulina, einer Gattung der Cyanobakterien, die man früher als Blaugrünalgen bezeichnet hat. Mit Brillantblau hat das aber wenig zu tun, das Angebot ist begrenzt und außerdem verblasst die Farbe unter UV-Licht. (Wäre ja nicht so schön, wenn der Blue Curaçao am blauen Meer von Curaçao eines sonnigen Tages auf einmal weiß wird.) Und so läuft seit einiger Zeit ein Wettlauf um das erste praktikabel einsetzbare Naturblau. Denn abgesehen vom befriedigten Forschungsgeist wäre das ein wirklich gutes Geschäft, so ganz nebenbei. Das natürliche Farbspektrum wäre vervollständigt und nicht nur Blau, sondern auch viele andere tolle Farbvarianten möglich. Denken Sie nur daran, wie grandios blaues Müsli auf dem Frühstückstisch wäre – oder saftig grünes, für ein gutes Grün braucht man Blau ja auch.

Rote Beete ist auf diesem Weg schon mal ganz vielversprechend. Lustigerweise, denn rote Beete eignet sich auch hervorragend zum Rotfärben. Wissen Sie, warum vegane Fleischersatzprodukte – zum Beispiel Hamburgerbuletten – so schön fleischrot aussehen? Eben, weil’s rote Beete gibt. In den vergangenen Jahren hat sich aber gezeigt, dass sich Rote Beete auch als Blaue Beete ganz gut eignet, allerdings nicht, indem man einfach den Saft auspresst und munter drauflos färbt. Grundlage ist Betalaminsäure, die aus der Rübe gewonnen wird. Zusammen mit einer anderen Chemikalie entsteht eine blaue Farbe. Günstig und in großen Mengen würde sich der Farbstoff mit gentechnisch veränderten Bakterien produzieren lassen. Und spätestens ab dann klingt es nicht mehr so, wie man sich vorstellt, dass die Produktion eines natürlichen Farbstoffs zu klingen hat.

Rotkohl macht das Essen blau

Einem internationalen Forschungsteam ist es jetzt aber gelungen, Blau aus einem Gemüse zu entwickeln, dass die Farbe schon im Namen trägt. In Mitteldeutschland sagt man zwar eher Rotkohl, aber je weiter man in den Süden des deutschsprachigen Raums gelangt, desto mehr wird er zum Blaukraut. Eben Ansichtssache. Mit Hilfe von Enzymen konnten die Forschenden Anthocyane aus dem Rotkohl gewinnen. In dem Wort steckt Cyan drin, ein erstrebenswerter und sehr seltener Blauton. (Cyan ist neben Gelb und Magenta auch nur eine von drei Farben, die man benötigt, um alle möglichen Farbdruckerzeugnisse herzustellen.) Anthocyane machen auch Kornblumen und Heidelbeeren blau. Die Idee, damit einen künstlichen Farbstoff zu ersetzen, gibt es schon länger, allerdings ging das Ergebnis bisher zu sehr ins Violette.

Jetzt hat’s endlich geklappt, auch die Stabilität der Farbe ist vielversprechend. Süßigkeiten hätte man schon mit Erfolg eingefärbt, so die Forschenden. Doch während sich die Industrie vielleicht bereits die Finger leckt und nach einer neuen, tiefblauen Produktpalette schielt (wobei der Verknappung bei blauen Gummibären die Werbewirkung ja nicht abzusprechen ist), weist das Forschungsteam darauf hin, dass erstmal noch Toxizitätsstudien erforderlich sind, um zu prüfen, dass die Farbe im Verzehr auch sicher und nicht nur ein – pardon – Schuss ins Blaue ist.

Lebensmittelfarbe – weil wir sie insgeheim erwarten

Nachdem wir also möglicherweise im natürlichen Färbespektrum bald ausgesorgt haben, stellt sich noch die Frage, warum man Lebensmitteln überhaupt eine Farbe gibt. Sie haben doch schon eine. In erster Linie, damit uns das Auge erzählt, dass das, was wir da essen oder trinken, auch wirklich das ist, von dem wir glauben, das es das ist, obwohl es das vielleicht gar nicht ist. Zwar möchte vielleicht niemand glauben, einen echten Schlumpf zu verspeisen, aber der Waldmeisterwackelpudding sieht eben grün aus, weil man erwartet, dass grüne Waldmeisterpflanzen den Wackelpudding grün machen. Auch, wenn nur das Aroma für den Waldmeistergeschmack sorgt. Und schon alleine die Rivalitäten beim gemeinschaftlichen Verzehren einer Tüte Fruchtgummi, ob denn die weißen nun die besten seien oder die gelben oder die roten, sorgen dafür, dass das Produkt nicht nur einfach so in den Rachen geschoben wird, sondern auch noch reichlich Gesprächsstoff liefert.

Auf der anderen Seite: Umfragen haben ergeben, dass den Verbraucherinnen und Verbrauchern die Farbe in Lebensmitteln gar nicht so wichtig sei. Und vor allem nicht um den Preis chemischer Zusatzstoffe. Nur, was wissen Konsumentinnen und Konsumenten schon, was sie wirklich wollen! Wie die Speisefarbwelt bestens ad absurdum geführt werden kann, verrät die Cocktailkirsche. Sie kennen sicher diese unheimlich süßen Dosenobstmischungen, bei denen man sich nicht vorstellen kann, dass der Inhalt mal irgendwo an einem Baum gewachsen ist. Dass die Cocktailkirschen oder auch Kaiserkirschen aus der wabbeligen Obstmasse so hervorstechen, verdanken sie entweder Alluarot AC oder Erythrosin. Die beiden roten Farbstoffe sorgen dafür, dass die Kirsche so aussieht, wie ein Kind sie in einem Bilderbuch ausmalen würde. Alluarot oder E 129, das auch in Süßigkeiten oder Fleischprodukten zu finden ist, steht allerdings in Verdacht, allergieähnliche Reaktionen auszulösen. Außerdem müssen Produkte, die E 129 enthalten, den Hinweis tragen, dass der Stoff die Aktivität und Aufmerksamkeit von Kindern beeinträchtigen könnte.

Bei E 127, dem Erythrosin, ist es noch verschärfter: Dem rotfärbenden Zusatzstoff wird vorgeworfen, Hyperkinesen bei Kindern auszulösen. Also ungewünschte, zwanghafte Bewegungen, ähnlich eines Tics. Außerdem kann der Stoff Jod freisetzen, was ein Problem für Menschen mit Schilddrüsenerkrankungen darstellt. E 127 kommt vor allem bei den Kaiserkirschen in Obstkonserven vor. Und abgesehen davon, darf es nur noch in Cocktailkirschen verwendet werden.

Farbe ab. Und wieder dran.

Na bravo. Es gibt also eine bedenkliche künstliche Lebensmittelfarbe, die nur bei einem einzigen Lebensmittel eingesetzt werden kann, das, wenn man es denn auch gut behandeln würde, ohnehin schon eine rote Farbe trägt. Nur ist das mit dem guten Behandeln so eine Sache, wie der Koch und Lebensmittelexperte Sebastian Lege in einem Experiment für das ZDF zeigt: Im industriellen Verarbeitungsprozess wird das Steinobst mit Zitronensäure, Natriumsulfit und Calciumchlorid behandelt – daraus entsteht Schwefeldioxid. Lege: "Aufpassen, das ist wirklich ätzend! Damit kann man alles bleichen, sogar Kirschen." Die kaiserliche Cocktailkirsche verliert also ihre natürliche rote Farbe, außerdem Bakterien und Vitamine.

Und nach dem Prozedere wird sie einfach wieder eingefärbt. Damit die Kirsche eben so aussieht, wie man es von dieser Art unnatürlicher Kirschen gewohnt ist – obwohl die doch, Hand aufs Herz, sowieso niemand so richtig mag. Aber macht ja nichts. Künftig wird es vielleicht möglich sein, blaue Kirschen in die Dose zu packen, ganz natürlich gefärbt. Wenn die sich erstmal am Markt etabliert haben, denkt beim Thema blaue Lebensmittel auch niemand mehr an Schlumpfeis.

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