Forschung im Labor
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Corona-Virus Covid-19: Wenn Ärzte Menschen retten und gleichzeitig forschen müssen

31. März 2020, 16:26 Uhr

Ärzte müssen in Zeiten der Corona-Pandemie Patienten behandeln und gleichzeitig Forscher sein. Ein Dilemma, nicht nur wegen der fehlenden Zeit. Eines, das man lösen kann, zum Vorteil der Patienten, sagt US-Gesundheitsforscher Derek Angus. Dafür seien auf beiden Seiten Kompromisse nötig.

Soll man zugelassene Malaria-Medikamente, die Chinin enthalten, gegen die neue Krankheit einsetzen? Diese Frage hätten sich Ärzte bereits vor 100 Jahren im Angesicht der spanischen Grippe gestellt, schreibt Derek Angus im Journal der American Medical Association (JAMA). Heute seien viele der täglichen Probleme zwischen klinischer Praxis und medizinischer Forschung immer noch die gleichen, kritisiert der Gesundheitswissenschaftler von der Universität Pittsburgh.

Forschung versus Heilen

Der grundsätzliche Zwiespalt liege zwischen zwei Optionen. Ärzte könnten einerseits Therapien und Medikamente einfach einsetzen. Oder sie könnten auf die systematische Erforschung mit Hilfe randomisierter klinischer Studien (RKS) warten. Solche wissenschaftlichen Studien brächten zwar gesichertes Wissen, dauerten aber sehr lange.

Angesichts der Notlage fordert Angus einen integrierten Ansatz: Mediziner müssten handeln und dabei systematisch lernen. Dazu müssen aus seiner Sicht zwei Welten vereint werden: Die praktische Medizin in den allgemeinen Krankenhäusern und die Forschung in den medizinischen Instituten und nationalen Gesundheitsbehörden.

Zwar habe es gute Gründe für die Trennung gegeben: Werden alle Ärzte zu Forschern, könnten sie die Interessen ihrer Patienten zu Gunsten wissenschaftlicher Fragen vernachlässigen und etwa riskante Medikamente verabreichen, um Erkenntnisse zu erzielen. Andererseits sei die Covid-19-Pandemie so bedrohlich, dass auch Patienten zu höheren Risiken bereit sein könnten, wenn sie gründlich und ehrlich aufgeklärt würden.

Vor diesen Herausforderung steht forschendes Heilen

Nur mit randomisierten klinischen Studien seien wirklich wissenschaftliche Erkenntnisse möglich. Um lernend heilen zu können, müssen laut Angus daber aber drei Probleme gemeistert werden.

  1. Randomisierung ist häufig extrem unkomfortabel: Ärzte wollen beispielsweise einen Malariawirkstoff direkt an bestimmte Patienten ausgeben, wo der Einsatz besonders geeignet erscheint. Für eine randomisierte Studie müsste der allerdings zufällig verteilt werden. Außerdem stelle sich das Problem, dass Patienten möglicherweise kein Interesse daran haben, Teil einer Kontrollgruppe zu werden, die keinen Wirkstoff bekommt.
  2. Randomisierung ist oft sehr aufwändig: Für die saubere Durchführung einer randomisierten Studie sind viele einzelne Arbeitsschritte nötig, die viel Personal benötigen. Die Forscher müssen beispielsweise alles sauber konzipieren, dokumentieren und auswerten. Gegenwärtig wird aber fast alles Personal zur Behandlung der Pandemie benötigt.
  3. Im Forschungssystem herrscht aktuell Chaos: Agenturen, die Forschungsgelder verteilen, sind völlig überlastet. Pharmaunternehmen und alle Arten von Forschungsgruppen melden jetzt Studien an, konkurrieren miteinander und wollen zuerst begutachtet werden. In dieser Situation sei es extrem schwierig, klinische Praxis und Forschung zusammen zu bringen.

Mögliche Lösungen für das Dilemma zwischen Wissenschaft und Pflege

Der Gesundheitswissenschaftler Derek Angus schlägt eine Reihe von möglichen Methoden vor, die zu einer Lösung dieser Probleme beitragen könnten.

  1. Wissenschaftler sollen Forschungsdesigns entwickeln, die die Randomisierung in der Praxis handhabbarer machen. So könnten etwa mehrere Behandlungen gleichzeitig getestet und die Kontrollgruppen verkleinert werden. Außerdem sollten Tests von Medikamenten frühzeitig abgebrochen werden, die nach ersten Beobachtungen kaum Wirkung entfalten.
  2. Die Auswertung von Studien für Klinikpersonal müsse vereinfacht werden. Für das Abwägen konkurrierender Studien bleibe in der Praxis keine Zeit. Es könnten aber Plattformen geschaffen werden, die verschiedene Studien leichter vergleichbar machen.
  3. Es könnte auf einige Standards der Forschung verzichtet werden. So sei die Gabe eines Placebos zwar immer eine wichtige Kontrolle, sie sei aber nicht unbedingt notwendig.
  4. Generell müsse die Kooperation zwischen allen Beteiligten verbessert werden: Die finanzierenden Agenturen sollten auch Mittel für internationale Studien bereitstellen. Private Konzerne müssten so unterstützt werden, dass sie sich an kollaborativen Versuchsstudien beteiligen könnten. Und akademische Forscher müssten wiederum so unterstützt werden, dass sie sich an Studien beteiligen können, bei denen sie befürchten müssen, anonym zu bleiben.