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Erstaunlich welche Wortschöpfungen 26 Buchstaben hergeben. Allein 2.000 neue in zwei Jahren rund um die Corona-Pandemie Bildrechte: imago images/Shotshop

Sprachforschung Deutsch: 2.000 Neue im Wortschatz - nur für Corona

06. Dezember 2021, 16:30 Uhr

Sprache wandelt sich nicht von heute auf morgen, sie spiegelt die Zeit wider, prägnante Ereignisse und Entwicklungen in der Gesellschaft, die sich im allgemeinen Sprachgebrauch niederschlagen. Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache beobachtet und registriert diese "Neuen". Was hat sich in den vergangenen zehn Jahren getan, welche Worte sind neu seit 2021?

Eigentlich muss man an den Anfang dieses Artikels eine Warnung setzen: Vorsicht, das könnte länger dauern. Nicht, weil sich die Autorin nicht auskäst, sondern weil das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache Mannheim (das heißt wirklich genau so!) eine wunderbare Wortliste zusammengetragen hat, von all den Worten, die einen Platz in unserem Wortschatz erobert haben. Zum einen in der Liste der Begriffe rund um die Corona-Epidemie, zum anderen in der Liste der "Neuen" in unserem Wortschatz, die Sie hier finden. Und schwupps! verläuft man sich im "Meinungskorridor", diesem "Spielraum für unterschiedliche Auffassungen, Einschätzungen etc. z.B. in öffentlichen Diskussionen." Oder man schlüpft gedanklich fix in eine "Momjeans", eine "Hose mit lockerem bequemen Sitz", während man sich fragt, wo noch mal das "Chlorhuhn" herkam oder ob der "Männerdutt", das zum Dutt zusammengewurschtelte Männerhaar-Klößchen auf dem Oberkopf "woke" ist oder nicht. Zwischen Ankunftsnachweis, Chlorhuhn, Spuckschutzhauben und Zwittersnacks liegen viele schöne neue deutsche Worte.

Corona: Wie der Virus den Sprachschatz... nun ja... bereichert

Aber was ist mit all den Worten rund um die Corona-Epidemie, die das Leibniz-Institut seit 2020 gesammelt hat? 2.000 neue Begriffe in knapp zwei Jahren, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Coronafamilienhärteausgleichsfond, Genesenenbescheinigung, Niesscham, Hustenetikette, Impfdosenrückstau, Impfkater, Piloturlauber, Popeltest, Zaunbier... (Hier die komplette Sammlung)

zwei Menschen auf einer Parkbank nebeneienander. Beide tragen einen Nasenschutz und niesen.
Nies-Etikette: Bitte hinter der Maske und in den Ellenbogen niesen Bildrechte: imago images / imagebroker

Geht Sprachentwicklung immer so schnell? Dr. Annette Klosa-Kückelhaus beobachtet und dokumentiert im Leibniz-Institut für Deutsche Sprache neue Begriffe in unserem Wortschatz. Sie sagt: "So schnell wie jetzt habe ich das selten beobachtet. Aber bei plötzlichen, einschneidenden Erlebnissen ist das normal, wir kommunizieren darüber, dann brauchen wir dafür Worte." Bezogen auf den Sprachgebrauch rund um die Epidemie sagt die Wissenschaftlerin: "Wir sind noch nicht fertig damit, wir haben noch eine Liste mit 500 Begriffen, die wir beobachten. Zum Beispiel die 'Neujahrsruhe', von der Niedersachsens Ministerpräsident gerade sprach. Wir kennen bisher im Deutschen ja nur die Osterruhe. Mal schauen, was aus dem Wort wird." Das sei auch kein deutsches Phänomen allein, vielmehr sei weltweit ein neuer Wortschatz entstanden: "Egal, um welche Sprache es geht oder welches Land, überall müssen die Menschen auch sprachlich reagieren."

Neologismen: Bleiben die wirklich alle?

Aber sind denn all diese neuen Begriffe wirklich gekommen um zu bleiben? Die Germanistin überlegt: "Da wird es auch Eintagsfliegen geben, das hängt von der Gebrauchshäufigkeit ab. Denken Sie zum Beispiel an die Anfangsmonate mit Corona. Da sprachen wir von 'Alltagsmasken', 'Behelfsmasken'. Sagt heute keiner mehr." Ganz aus dem Wortschwatz verschwinden werden sie dann aber nicht, überlegt die Germanistin weiter. "Wenn wir nämlich später mal von den Corona-Anfängen sprechen, als sich Leute solche Masken genäht haben, da brauchen wir diese Wortschöpfungen dann doch wieder."

Wann sich Sprache wandelt

Die brauchen wir immer, wenn es etwas Neues gibt, wenn etwas anders ist als bisher: Wenn für Speisen aus anderen Kulturen Worte gebraucht werden, oder Worte für Erfindungen. Wenn politische Ereignisse, gesellschaftliche Phänomene Beschreibungen brauchen. So entstand der Hörfilm, wenn Filme für Menschen mit Sehbeeinträchtigung zugänglich gemacht werden. Schmähvideos für im Internet verbreitete Filmchen, die jemanden bloßstellen. Seit dem 11. September betrachten wir Schläfer ganz anders, die deutsche Wiedervereinigung brachte Ossis und Wessis hervor, die jüngeren Generationen längst erklärt werden müssen. Forscherin Dr. Annette Klosa-Kückelhaus sagt weiter: "Aus dem Wortschatz verschwinden neue Begriffe nicht. Denken Sie an das Mittelalter. Auch ohne dass heute noch Ritter in Rüstungen herumlaufen oder mit Schwertern, nutzen wir diese Begriffe, die sich irgendwann neu in den Wortschatz einfügten. Wir brauchen sie bis heute, um Dinge zu beschreiben."

Wie sich Sprachwitz und Sprachschöpfungen verbreiten

Die Medien spielen bei der Geschwindigkeit der Verbreitung eine große Rolle, wenn es um neue Begriffe im Deutschen geht, sagt die professionelle Wortklauberin: "Die verbreiten sich ruckzuck, gerade über Social-Media-Kanäle."

Ein hellblauer Mund- Nasen- Schutz wird unterhalb der Nase getragen.
"Nacktnase" oder "Nasenpimmel" Bildrechte: imago images/photosteinmaurer.com

Und da ist auch viel Wortwitz unterwegs, man denke nur an das Hüftgold, an Schokoholics, den Klimatarier (verzichtet auf Lebensmittel, die per Flugzeug oder LKW von fern herangeschaft werden) oder die noch sehr jungen Nasenpimmel oder Nacktnasen. Auch die Forscherin beobachtet viel Witz in den Medien: "Ich habe schon oft gedacht, bei so kurzen Twittermeldungen, da hat sich jemand aber viel Mühe gemacht." Sind die Menschen insgesamt vielleicht witziger geworden, gibt es mehr Humor unter den Menschen? "Das denke ich nicht. Wir haben nur mehr Möglichkeiten, Einblick in fremde Gedanken zu nehmen. Früher hätten nur Freunde und Familie witzige Wortschöpfungen mitbekommen, heute macht man das öffentlicher, per Hashtag."

Neu im Deutschen: Rettungsgassensünder, Zweitimpflinge und Chlorhühner

Die Wortschatz-Sammlung der Mannheimer Wortklauber finden Sie hier. Und wie gesagt, Vorsicht, schneller als man glaubt, bleibt man an verblüffenden Wortschöpfungen kleben: an der Bompel zum Beispiel. Die stammt aus den 2010er-Jahren und ist "ein in den Boden eingelassenes Lichtsignal, das Fußgänger vor nahenden Fahrzeugen warnen soll". Eine Wortschöpfung aus "Ampel" und "Boden". Sie hat längst eine große Schwester, die "Schwampel" aus den Nullerjahren, die eine mögliche Koalition aus CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen beschrieb. Die Schwampel hat 2021 gleich zwei Sprach-Geschwisterchen bekommen, die "Limettenkoalition" (FDP und Grüne), und die Hygieneampel.

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