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Friedenstaube mit Schusswunde in der Brust. Die Zahl Zehn ist im Hintergrund zu sehen. 17 min
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Warum können wir nicht in Frieden leben?
Steckt Gewalt in uns? Können wir nicht anders?
Warum ist immer irgendwo Krieg?

MDR Mi 01.02.2023 12:30Uhr 16:34 min

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Podcast: Die großen Fragen in zehn Minuten Warum können wir nicht in Frieden leben?

06. März 2024, 15:37 Uhr

Warum gibt es immer wieder Kriege, warum schaffen wir es nicht, in Frieden zu leben? Ist Frieden vielleicht nur eine Illusion? Russlands Krieg in der Ukraine wirft einmal mehr ein Licht auf diese große Frage der Menschheit.

Ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass ich einen Krieg erlebe in Europa, an dem die Russen beteiligt sind. Und ich erwische mich dabei, wie ich ab und zu doch ängstlich werde – geht es Ihnen auch so, dass der Konflikt nicht begrenzt bleibt, ich erwische mich dabei, wie ich mir um die Zukunft meiner Kinder Sorgen mache.

Und ich frage mich, warum gibt es immer wieder Kriege, warum kriegen wir das nicht hin, in Frieden zu leben, Frieden zu halten? Sitzt der Krieg in Friedenszeiten irgendwo still in der Ecke und wartet, bis wir ihn wieder von der Leine lassen? Also warum können wir nicht in Frieden leben.

Es gab und gibt zu allen Zeiten Menschen, die Krieg super finden. Die sich freiwillig melden, für Geld kämpfen und morden, die im Krieg Abenteuer suchen, die rumkommen und die Welt sehen wollen. Das war im 30-jährigen Krieg so, im ersten und im zweiten Weltkrieg und auch jetzt im Ukraine-Krieg.

"Und wir können davon ausgehen, dass relativ viele, die der Prigoschin da für die Söldnergruppe Wagner rekrutiert, ein trauriges Leben irgendwo in Sibirien führen oder im Knast sitzen oder sonst irgendwas und dass sie sagen: Na gut, ich kann im Krieg vielleicht auch den Tod finden" sagt Herfried Münkler. "Aber ich kann auch ein gewisses Glück finden, in dem ich Geld habe und reich werde und möglicherweise Gewalt anwenden kann, wie mir Lust und lieb ist und vergewaltigen kann ich auch. Und das ist allemal besser als in diesem Dreckloch hier zu sitzen."

Gewalt ist eine Handlungsoption

Das sollten wir nicht vergessen, wenn wir uns um die Frage kümmern: "Warum können wir nicht in Frieden leben". Der, der das sagt, ist Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Und Münkler weiß, wovon er redet, denn an Münkler kommt man zumindest in Deutschland nicht vorbei, wenn es um die Frage von Krieg und Frieden geht. Googeln sie mal seinen Namen.

Also die, von denen wir gerade gesprochen haben, das sind die armen Schlucker, die dann im Schützengraben sitzen und zittern oder die ihre Triebe ausleben. Nicht nur die suchen ihre Chance im Krieg, sondern auch die, die die Kriege befehlen, die eine Nation in den Krieg ziehen lassen. Denn Gewalt und Krieg gehören zu uns Menschen sagt Dr. Christin Pschichholz, Miltiärhistorikern von der Uni Potsdam: Das ist bitter, aber das gehört zur Wahrheit sagt sie:

"Ich glaube, es ist immer wichtig zu verstehen, dass in uns Menschen immer zwei Seiten angelegt sind. Zum einen haben wir immer die Hemmung, Gewalt auszuüben und gleichzeitig gehört Gewalt und Krieg zu den Handlungsoptionen von Menschen, zum sozialen Handeln. Und das ist die Erkenntnis, dass Gewalt und Krieg zum menschlichen Handeln dazugehören. Das müssen wir leider erst einmal anerkennen, um dann wirklich spezifisch zu schauen, wo wir es verhindern können."

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Stilisiertes Messer mit Blutspuren und einer transparenten Zahl 10. 12 min
Große Fragen in zehn Minuten | Warum töten wir? Bildrechte: Lutz Hentschel

Perspektivwechsel: Was ist dann mit dem Frieden?

Wechseln wir die Perspektive. Wenn Krieg und Gewalt immer eine Option sind, dann sind Frieden und Gewaltlosigkeit natürlich auch immer eine Option. Friedensforscher warnen davor, Krieg als schicksalhaftes Phänomen zu akzeptieren. Wir sind nicht Knechte unserer Triebe, natürlich können wir auch anders. Psychologe Dr. Klaus Harnack von der Uni Münster z.B. fand die Frage 'Warum können wir nicht in Frieden leben' schon viel zu tendenziös und auch grundsätzlich falsch:

"Wenn wir davon ausgehen, dass wir einen freien Willen haben, können wir uns selbstverständlich für den Krieg oder für den Frieden entscheiden. Ich denke auch, dass wir genau diese Facetten da draußen sehen. Aber dafür durchleben wir seit vielen tausend Jahren eine kulturelle Prägung und versuchen genau mit diesem Erbe auch umzugehen."

Einen ähnlichen Tenor hat auch eine Erklärung der UNESCO, die Mitte der 1980er-Jahre von 50 Wissenschaftlern geschrieben wurde. Ich habe mal die wesentlichen Sätze, die zu unserem Thema passen, zusammengefasst:

"Die Menschheit ist nicht zum Krieg verdammt, sie kann von falsch verstandenem biologischem Pessimismus befreit werden. (…) Ebenso wie Kriege im Geiste der Menschen entstehen, so entsteht auch Frieden in unserem Denken. Dieselbe Spezies, die den Krieg erfunden hat, kann auch den Frieden erfinden. Jeder von uns ist selbst dafür verantwortlich."

Lernen aus der Vergangenheit

Das ist die ewige Diskussion. Was macht unser evolutionäres Erbe mit unserem freien Willen? Sind wir ihm ausgeliefert oder prägen uns gesellschaftliche Normen und Moralvorstellungen so, dass wir uns davon lösen können? In meinem Podcast "Warum töten wir" weisen Wissenschaftler auf einen interessanten Zusammenhang zwischen Lebensstandard und Gewalt hin. Je besser es uns geht, desto weniger Morde gibt es. Und als ich mit Münkler darüber spreche, ob wir aus der Vergangenheit lernen, ob uns die neun und die 50 Millionen Toten aus den Weltkriegen eine Lehre sind, bringt Münkler noch einen anderen sozialen Aspekt ins Spiel, der bei Kriegslust und Kriegsbereitschaft eine Rolle spielt. Frauenmangel und Männerüberschuss. Schon in den ersten Erzählungen über den Krieg, die Troja Sage, die Gründung Roms mit dem Raub der Sabinerinnen – diese Auseinandersetzungen begannen mit dem Raub von Frauen. 

 "Bei Steven Pinker findet man den Satz: Die Einführung der Monogamie sei die größte Pazifizierung in der Geschichte der Menschheit" sagt Herfried Münkler. "Weil es sozusagen für jeden Mann eine Frau gibt. Wobei unterstellt wird, dass das der Befriedigung von Trieben und Antrieben dient, so dass man sagen kann, dass Gesellschaften, bei denen eine Disparität zwischen Männern und Frauen besteht, Gesellschaften sind, bei denen diese Disparität zu einem Männerüberhang wird, entweder erhöhte Kriminalitätsraten hervorbringt oder aber, wenn man die nach außen ablenken will, gewissermaßen Kriegsbereitschaft."

Gesellschaften, die keine Helden brauchen

Die Kombination von Monogamie und Lebensstandard, sagt Münkler, bringt postheroische Gesellschaften hervor. Gesellschaften, in denen niemand mehr den Helden spielen muss und will. In denen niemand sein zufriedenes Leben aufs Spiel setzen möchte. Das ist nicht ganz die These, steckt aber so ein bisschen mit drin: Wenn man die Männer im Zaum hält, so die Interpretation, ist die Welt ein friedlicherer Ort.

Münkler: "Wir sind eine postheroische Gesellschaft. Es gibt jedenfalls in der deutschen Gesellschaft wenige, die unbedingt Gewalt anwenden, Krieg führen und derlei tun wollen. Und das hat etwas mit Wohlstand, Ausgeglichenheit und derlei mehr zu tun. Also an dem Punkt, könnte man sagen, gibt es schon einen Lerneffekt, der aber nicht nur ein Lerneffekt ist, sondern der auch von gewissen sozioökonomischen Voraussetzungen abhängig ist."

Und damit bekommt der Gedanke der Friedensbewegung, "Stell Dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin", einen realistischen Hintergrund. Stellen wir uns vor, allen auf der Welt geht es gut – wäre das ein weltweites Friedensszenario? Wenn keiner mehr Lust auf Krieg hat? "Keiner ist ein sehr unspezifischer Begriff" so Münkler. "Der müsste in diesem Falle heißen: keiner von acht oder neun Milliarden Menschen. Keiner. Kein einziger. In diesem Falle sind die Bedingungen tendenziell unerfüllbar."

"Dann kommt der Krieg zu dir"

Erinnern wir uns an den Anfang. Es wird immer einen geben, der Krieg als Option in Betracht zieht. Die Wahrscheinlichkeit, dass es keinen gibt, geht gegen 0. Sie liegt bei 1:8 Milliarden. Die Wahrscheinlichkeit auf einen Lottogewinn mit Zusatzzahl liegt bei 1: 140 Millionen. Alles klar!

Münkler: "Das Verhältnis zwischen Krieg und Frieden ist insofern problematisch, weil Frieden sehr viel höhere Anforderungen stellt - an uns alle - als Krieg. Wo es letzten Endes ein Einziger schafft, eine gesamte Friedensordnung zu zerstören. Was bei Schiller so schön heißt: es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Das heißt, diese dummerweise Konstellation, wenn einer in einer Population nicht in Frieden leben will und sich vielleicht massive Vorteile davon verspricht, wenn er aggressiv auftritt und diese Vorteile könnten umso größer sein, je friedlicher die anderen sind. Wobei die Frage steht: Wehren sie sich dagegen oder nehmen sie die Gewalt hin und unterwerfen sich?"

Diese Betrachtungsweise hat sehr realistische Konsequenzen - zumal das Zitat aus einem Gedicht von Berthold Brecht "Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin" - nicht vollständig ist. Die wenigsten wissen, wie es weitergeht, so Münkler. "Was wir in der Regel nicht zitieren, ist der Satz, der hinterherkommt: Dann kommt der Krieg zu Dir. Das wusste der Bert Brecht natürlich mit Blick auf den Nationalsozialismus ziemlich genau."

Modernes Denken für den Frieden

Die logische Konsequenz ist ein ganz alter Gedanke von Platon, den der Römer Cicero auf den Punkt brachte: Willst Du Frieden, rüste zum Krieg. Also sei vorbereitet, sei stark und wehrhaft, dann lässt man dich in Ruhe. Und wenn man stark ist, Macht hat, dann nutzt man sie auch, um eigene Interessen durchzusetzen. Eigentlich ein Teufelskreis. Russland, die USA und China sind Beispiele dafür.

Dr. Klaus Harnack, der Psychologe ist sich sicher, dass Frieden nicht altes, sondern modernes Denken braucht. Einen anderen Umgang miteinander, Transparenz, die Vertrauen schafft. Und an die Stelle von faulen Kompromissen, die niemandem etwas bringen, gehören andere Lösungen sagt er:

"Zum Beispiel, dass wir wegkommen vom klassischen Kompromissdenken hin zu integrativen Lösungen. Also der Kompromiss ist in gewisser Weise ja immer 'wir machen 50:50', jeder muss irgendwie Abstriche machen. Und das ist, was ganz tief in uns verankert ist. Dass das ein Weg ist, um Frieden zu schaffen, um Ausgleich zu schaffen. Den Kuchen sozusagen in der Mitte durchzuteilen. Wenn wir über integrative Lösungen reden, dann reden wir eben über Bedürfnisse, also was möchtest du denn von diesem Kuchen haben? Und wenn jemand sagt, ich möchte die Schlagsahne und ich mag die Kirschen obendrauf, dann fange ich nicht an diesen Kuchen in der Mitte durchzuschneiden. Dann würde ich eben Kirschen und Schlagsahne, dem einen geben und den Boden dem anderen."

Ich finde das klingt klug. Die Frage ist nur, wie kommen wir zu einem Zustand, in dem Transparenz, nicht ausgenutzt wird, als Zeichen von Schwäche gedeutet wird? Oder das Zugeständnis, dass der andere, statt nur die Hälfte des Kuchens, das bekommt, was er will?

Tun wir alles, und zur richtigen Zeit?

Wenn man mit Friedensforschern redet, dann tritt noch ein anderes Problem zutage. Nämlich, dass wir vermutlich nicht alles Menschen-Mögliche tun, um das Phänomen Krieg und seine Ursachen wirklich zu verstehen. Diesen Eindruck hat zumindest Dr. Carola Roloff vom Zentrum für Naturwissenschaften und Friedensforschung in Hamburg: 

"Das Problem ist, die Friedensforschung wird erst wirklich gehört, wenn es eskaliert ist und das ist viel zu spät. Also die Friedensforschung baut darauf, dass man rechtzeitig nach Krisenherden guckt. Und wenn man wirklich Frieden will – schau'n sie mal, wie viel investieren wir in Waffen und wie viel investieren wir vom Staat in die Erforschung von Ursachen von Krieg und die Möglichkeiten von Prävention."

Die deutsche Antwort auf den Ukrainekrieg waren 100 Milliarden Euro. Sondervermögen für die Bundeswehr. Von einer Finanzspritze an die Friedensforschung habe ich nichts gehört. Die Argumente der Politik und der Militärs sind grundsätzlich nachvollziehbar, passen aber genau in diese Denkmuster. Wenn auf der anderen Seite jemand sitzt, der unbedingt Krieg führen will, dann nützt das mit der Sahnetorte und der Friedensforschung ganz grundsätzlich gar nichts. Dann ist es wichtig, stark zu sein.

Es gibt also eine Menge Antworten auf die Frage, warum wir es nicht hinkriegen in Frieden zu leben. Aber eigentlich geht es ja darum, ob wir es schaffen könnten? Die Realität spricht eine deutliche Sprache: 2021 gab es weltweit 22 Kriege. Eine Tendenz, dass solche Konflikte abnehmen, lässt sich nicht erkennen.

Aber wie ist das jetzt Dr. Harnack? Können wir in Frieden leben, könnten wir es hinkriegen, dass Kriege – wenn wir sie schon nicht komplett verhindern können – wirklich die absolute Seltenheit, die absolute Ausnahme bleiben? "Das sind natürlich alles Themen, wo man denkt, da haben sich Gott, Einstein und Nietzsche zusammengesetzt und genau die drei wären befugt, genau das zu tun, weil es eben so große Fragen sind."