Schlittenhunde ziehen einen Inuit Schlitten.
Schlittenhunde ziehen einen Inuit Schlitten. Bildrechte: WDR/Kieran O'Donovan

Denkste Haben Inuit wirklich 400 Wörter für Schnee?

14. Februar 2021, 12:00 Uhr

Es ist ein sehr beliebtes Gleichnis und in diesen Wintertagen wird es gern benutzt: Die Inuit haben – je nach Erzähler – 40, 50, 100 oder gar 400 Wörter für Schnee. Zeit, den Schneeschieber rauszuholen und aufzuräumen.

Hunderte Wörter für Schnee: Das klingt exotisch und für Menschen, die fast ihr ganzes Leben umgeben von Schnee und Eis verbringen, wie die Inuit zumindest nicht auf den ersten Blick unlogisch. Nichtsdestotrotz ist es vor allem eins: Unsinn.

Bereits in den 1980er-Jahren haben Sprachwissenschaftler gegen diesen Mythos angekämpft und waren immer wieder verzweifelt. So beschreibt es Geoffrey Pullum in seiner Veröffentlichung von 1989: "The great Eskimo vocabulary hoax" – zu Deutsch etwa "Der große Eskimo-Schnee-Schwindel". Wort- und geistreich vergleicht er das immer wieder auftauchende Gerücht von den hunderten Schneewörtern mit dem Film "Alien". Egal wie viele fiese Aliens Sigourney Weaver oder die anderen Astronauten umbringen, irgendwo erscheint immer wieder ein neuer Angreifer.

Zeit, dass wir damit aufräumen. Deshalb gibt es hier die wichtigsten Antworten:

Woher kommt das Gerücht?

Der Ursprung der Geschichte liegt offenbar in zwei Veröffentlichungen aus den Jahren 1911 und 1940. Geoffrey Pullum beschreibt in seinem Artikel im Fachmagazin "Natural Language and Linguistic Theory" von 1989 sehr genau, wie eine Theorie von Benjamin Lee Whorf, Brandschutzinspektor von Connecticut und Wochenend-Sprachliebhaber, in die Welt kam, die den Hoax prägen sollte. Hier können Sie sie als pdf im Original lesen.

Vielleicht drei, vielleicht zwölf

Nein, Inuit oder andere Völker der eskimo-aleutischen Sprachen haben nicht hunderte Wörter für Schnee. Im Grönländischen etwa finden sich drei Allgemeinbegriffe und einige Unterbegriffe, im Alaska-Yupik könnten es zwölf sein, hat hier der Wikipedia-Eintrag gut zusammengetragen.

Es wird weiter geforscht

Da sich die Legende aber weiter hält, wird auch weiter geforscht. So erschien 2016 ein Artikel im Fachmagazin PLOS One, der sich mit dem Zusammenhang zwischen Umwelteinflüssen und Sprachentwicklung anhand der Wörter für Schnee beschäftigte. Hauptergebnis war: Völker in wärmeren Gefilden haben öfter nur ein Wort für Eis und Schnee. Wie viele Wörter die Inuit für Schnee haben, untersuchte die Studie allerdings nicht. Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch von der Freien Universität Berlin äußerte sich deshalb im Spiegel skeptisch über die Aussagekraft der Studie.

Um das zu untermauern, verwies Stefanowitsch auf die vielen Wörter, die es im Deutschen für Schnee gibt. Hier seine Beispiele: Altschnee, Blutschnee, Brettschnee, Faulschnee, Filzschnee, Firn, Flugschnee, Harsch, Windharsch, Schmelzharsch, Bruchharsch, Industrieschnee, Kunstschnee, Lawinenschnee, Lockerschnee, Nassschnee, Neuschnee, Pappschnee, Pulverschnee, Schwimmschnee, Sulz, Triebschnee und Wildschnee.

Eingefleischte Skifahrer (...) kennen sie fast alle – und zwar nicht, weil sie in einer anderen Umwelt leben, sondern, weil sie mehr Anlässe und eine größere Notwendigkeit haben, differenziert über Schnee zu sprechen.

Anatol Stefanowitsch, Sprachwissenschaftler, FU Berlin

Und was ist mit den Schotten?

Es könnte aber sein, dass einem bei weiteren Suchen nach dem Thema diese Überschrift begegnet: Schotten haben über 400 Wörter für Schnee. Dann liest man unter anderem von "fleefle" (Schnee, der um die Ecke weht) oder "flindrikin" (leichter Schneeschauer). Aber schon bei "sneesl" sind Fragen angebracht. Denn das bedeutet Forschenden zufolge, dass es zu schneien beginnt - oder auch zu regnen. Nichtsdestotrotz behaupten sie in ihrer Mitteilung, 421 Wörter für – irgendwas mit – Schnee gefunden zu haben. Aber vielleicht wird das ja der nächste Hoax. 

(gp)

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