Ein junges Mädchen steht im Vordergund des Bildes und zeigt mit dem Finger auf ein Objekt außerhalb des Bildrandes. Im Hintegrrund steht eine Frau.
Bildrechte: imago/ Sophie Mildner

MDR KLIMA-UPDATE | 29. September 2023 Der Eco-Gender-Gap: Sind Frauen das grünere Geschlecht?

Ausgabe #108 vom Freitag, 29. September 2023

22. September 2023, 11:00 Uhr

Frauen sind umweltbewusster als Männer – zeigen diverse Studien. Sind Männer dann die Klimasünder? Ganz so einfach ist es nicht. Aber wer sich mit den geschlechterspezifischen Unterschieden beschäftigt, kann vielleicht bessere Klimapolitik machen.

Junge Frau schaut frontal in die Kamera.
Bildrechte: MDR

Liebe Lesende,

viele prominente Köpfe der Klimabewegung sind Frauen. Man denke an Greta Thunberg, Luisa Neubauer oder Carla Hinrichs. Und auch darüber hinaus scheint Umweltbewusstsein ein weibliches Thema zu sein. Schier endlos ist die Zahl der Nachhaltigkeits-Influencerinnen, Öko-Haushaltsprodukte und Zero Waste-Periodenartikel. Und: Nachhaltige Produkte werden oft eher an ein weibliches Publikum vermarktet. Im Gegensatz zu Autos und Fleisch – beides klassische "Männerprodukte".

Sind Frauen also das grüne Geschlecht und Männer die Klimasünder? In unserer Redaktionskonferenz stößt diese These auf vehementen Protest. In den Städten gebe es keine derartigen Unterschiede mehr, prognostiziert ein Kollege. Und auch ich muss gestehen, in meinem persönlichen Umfeld sehe ich diesen Zusammenhang kaum. Viele meiner männlichen Freunde leben beispielsweise vegan oder vegetarisch, ich nicht.

Über diese anekdotischen Beweisführungen hinaus gibt es aber tatsächlich diverse Studien, die nahelegen, dass Frauen deutlich umweltbewusster denken und handeln als Männer. Man spricht vom "Eco-Gender-Gap". Wo und warum er existiert und wie wir daraus sinnvollere Klimapolitiken ableiten können, klären wir diese Woche im Klima-Update.


#️⃣ Zahl der Woche:

24

… Atomkraftwerke befinden sich in China derzeit in Planung oder im Bau. Diese Zahlen hat die World Nuclear Association veröffentlicht. Ein neues Kraftwerk soll dort demzufolge noch in diesem Jahr ans Stromnetz angeschlossen werden. Auf Platz zwei der Länder mit den meisten geplanten Atomkraftwerken liegt Indien mit acht, auf Platz drei die Türkei mit vier geplanten AKWs. Global steigt die Nutzung von Atomenergie, insgesamt befinden sich über 60 neue Reaktoren in Planung. Derzeit in Betrieb sind 440 Atomkraftwerke, diese versorgten die Welt 2021 mit zehn Prozent des gesamten Stroms. Die Zahlen kommen ebenfalls von der World Nuclear Association.

In Deutschland wurden im Zuge der Energiewende im April diesen Jahres die letzten Kernkraftwerke vom Netz genommen und auch im europäischen Gesamtschnitt sinkt die aus Atomenergie generierte Strommenge. Nach einer Berechnung des Portals Ember (Global Electricity Review) wurden 2022 16 Prozent weniger Terawattstunden AKW-Strom genutzt als noch 2021. 

Den Begriff Eco-Gender-Gap gibt es seit rund fünf Jahren

2018 stellte das Marktforschungsinstitut Mintel im Rahmen einer nationalen Befragung in Großbritannien fest, dass Frauen mehr Wert auf Nachhaltigkeit legen und eher bereit sind, sich umweltfreundlich zu verhalten. Der Begriff "Eco-Gender-Gap" war geboren. Den Forschenden fiel auf, dass mehr Frauen umweltfreundliche Verhaltensweisen verfolgen. Beispielsweise gaben sie eher an, dass sie recyceln, Wasser sparen oder die Heizung runterdrehen, wenn sie nicht zu Hause sind. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind nicht riesig, aber sie waren in der Studie konstant vorhanden.

Die Grafik zeigt, wie viel Prozent der befragten Männer und Frauen bestimmte nachhaltige Verhaltensweisen durchgängig umsetzen. Frauen liegen durchgehend vor den Männern.
Umweltschonende Verhaltensweisen bei Männern und Frauen. Die Daten wurden 2018 in Großbritannien erhoben. Bildrechte: Mintel/ Sophie Mildner

Mobilitätsunterschied in den Städten 

Der Eco-Gender-Gap lässt sich auch nachweisen, wenn es um Autos geht: Eine Studie aus der Verkehrsforschung kommt 2020 zu dem Ergebnis, dass die geschlechterspezifischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen noch immer groß sind. Befragt wurden Menschen in Hamburg, Berlin, Frankfurt und München. Die zentralen Punkte: Städterinnen besitzen weniger Autos als Städter und nutzen diese seltener. Sie sind generell bereit, mehr Geld für nachhaltige Mobilität auszugeben und stehen dem ÖPNV deutlich aufgeschlossener gegenüber. Das ändert sich allerdings ein wenig, wenn Frauen Kinder bekommen. In der Studie gaben sie an, diese Kinder lieber mit dem Auto zu transportieren. Männer dagegen wurden eher zu Radfahrern, wenn sie ein Kind hatten. Die Studienautoren vermuten, dass das auch damit zusammenhängt, dass Menschen, die Verantwortung für ein Kind tragen, oft ein höheres Umweltbewusstsein aufweisen.

Ein spannendes Ergebnis der Mobilitätsstudie ist aber auch: Männer sind deutlich offener für technologische Innovationen als Frauen. Das spielt gerade im Zusammenhang mit Elektromobilität oder mit Carsharing eine große Rolle, hier hatten Frauen oft deutlich mehr Vorbehalte.

Aber warum gibt es den Eco-Gender-Gap?

Die Analysten von Mintel kommen 2018 zu zwei unterschiedlichen Befunden. Zum einen sind Frauen immer noch häufiger für den Haushalt verantwortlich als Männer. Sie entscheiden oft, ob nachhaltige Produkte gekauft werden und kümmern sich darum, dass die Heizung aus ist, wenn alle das Haus verlassen. Somit sind sie schon von ihrer Rolle her stärker mit Nachhaltigkeit verbunden. Zum anderen vermutet das Mintel-Team damals auch: Es gibt eine Kluft zwischen Männern und Umweltthemen – und das könnte daran liegen, dass Männer mitunter das Gefühl haben, sich um die Umwelt zu bemühen, sei weniger "männlich". Dass sie sich weniger für das Thema interessieren, hinge demnach hauptsächlich mit Geschlechterstereotypen zusammen.

Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie im Journal of Consumer Research von 2016: Das unterschiedliche Ökobewusstsein von Männern und Frauen hat weniger mit auseinandergehenden Persönlichkeitsmerkmalen der beiden Geschlechter zu tun, sondern wird von Geschlechter-Stereotypen beeinflusst. Die Forschenden beziehen sich auf eine Reihe von sieben Studien, die nahelegen, dass die Konzepte von greenness und femininity kognitiv miteinander verbunden sind – dementsprechend würden Menschen, die sich nachhaltiger verhalten, von anderen als weiblicher stereotypisiert und wahrgenommen. Dass Männer sich weniger für Nachhaltigkeit interessieren, hat also nichts damit zu tun, dass sie weniger empathisch, altruistisch oder verantwortungsvoll wären. Sie fürchten lediglich das damit einhergehende, weibliche Image.

Das bestätigen auch die Ergebnisse einer Studie von Janet Swim im Journal Sex Roles (2019): Umweltfreundliches Verhalten und Geschlechternormen hängen maßgeblich zusammen. Das gilt sowohl für Frauen, die deswegen ein ökologischeres Verhalten an den Tag legen, als auch für Männer. Letztere waren bei der Befragung beispielsweise weniger erpicht darauf, einen Jutebeutel für Einkäufe zu verwenden oder zu recyceln, weil sie Angst hatten, als weiblich oder schwul wahrgenommen zu werden – spannenderweise kennt man diese Angst bereits aus Studien zu Veganismus und Vegetarismus bei Männern. Einer der Gründe, warum Männer nicht auf Fleisch verzichten wollten, war, dass sie es als Bestandteil ihrer Männlichkeit verstanden. 

Was kann man daraus ableiten? 

Dass alle Geschlechter sich beim Thema Nachhaltigkeit gleichermaßen engagieren, wäre wünschenswert. Aus feministischer Perspektive gibt es das Konzept der Care-Arbeit. Arbeit, die darin besteht, sich um andere zu sorgen, ist häufig Frauenarbeit – offenbar umfasst das stellenweise auch die Sorgearbeit für unseren Planeten. 

Eine Studienreihe im Journal of Brand Management kommt 2022 zu dem Ergebnis, dass Männer auf nachhaltige Produkte besser reagieren, wenn ihnen durch das Produkt ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und Macht vermittelt wird – und empfiehlt deshalb, dass sich das Marketing von ökologischen Produkten darauf konzentrieren sollte, Männern zu vermitteln, dass sie mit dem Kauf einen positiven gesellschaftlichen Einfluss haben. In meinem Kopf drängt sich unweigerlich das Bild einer Art Superhelden-Werbung auf. Ähnlich derer, mit der Coca Cola damals die kalorienreduzierte Coke Zero als Getränk für Action-Helden bewarb – in Abgrenzung zu Cola light (ebenfalls kalorienreduziert, aber weiblicher konnotiert). Vielleicht wirkungsvoll, aber auch ein wenig albern. Und schließlich ist klimabewusstes Verhalten ja kein Produkt, das wir Männern mühevoll ein wenig schmackhafter machen müssen.

Die Studie Gendered discourse about climate change policies von 2018  gibt Hinweise darauf, dass auch die Art, wie wir über Umweltthemen sprechen, einen Unterschied macht. Werden Klimathemen eher durch eine Wirtschafts- und Wissenschaftsbrille betrachtet, fühlten sich Männer in der Studie eher angesprochen, während Frauen besser auf Ethik- und Gerechtigkeitsaspekte reagierten. Das sind natürlich statistische Daten und die Ergebnisse der Studie bedeuten keinesfalls, dass Männer sich nicht für soziale Aspekte der Klimakrise interessieren könnten.

Ich denke aber, dass wir mehr Menschen für Klimathemen erreichen können, wenn wir uns bewusst sind, dass unterschiedliche Menschen auf unterschiedliche Aspekte der Themen reagieren werden. Aus politischer Sicht könnte das beispielsweise bedeuten, dass man mehr Zustimmung von Männern für Klimapolitik erreicht, wenn nicht Ethik im Vordergrund steht, sondern technologischer Fortschritt.


🗓 Klima-Termine

Sonntag, 1. Oktober – Dresden

Der Fuß- und Radentscheid Dresden lädt am Sonntag ab 15 Uhr vor den Kulturpalast zur "Kidical Mass" ein. In Anlehnung an die Fahrraddemo Critical Mass soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass sich Kinder auf dem Rad nicht immer sicher in der Stadt bewegen können. Mehr Informationen gibt es hier. 

1. bis 31. Oktober – Schmalkalden

Der BUND Thüringen organisiert eine Apfelernte auf der Streuobstwiese im kleinen Steinbach. Nähere Infos und Kontakt gibt es hier.  

17. Oktober – Leipzig

Der Nabu startet am Donnerstag eine Nistkasten-Aktion rund um das BMW-Gelände. Beginn ist um 10 Uhr. Weitere Informationen sind hier zu finden. 


📰 Klimaforschung und Menschheit

Menschen in Europa sind zu mehr Klimaschutz bereit, als die Politik annimmt

Sogenannte Suffizienz-Politik hat beim Klimaschutz ein größeres Potenzial als bisher von der Politik vorgesehen. Das geht aus einem Zukunftsimpuls des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie hervor. Demnach könne der eigenverantwortliche Umgang mit Ressourcen als eine Art "Booster" dazu beitragen, zugesagte Klimaschutzziele doch noch zu erreichen. Dazu müsse diese Politik "beherzt" angegangen werden. Zudem müssten passende Rahmenbedingungen geschaffen werden und alle Sektoren ihren Beitrag leisten. Menschen in Europa mangele es dabei nicht am Willen, eine solche Politik zu unterstützen. So seien 39 Prozent der von EU-Bürgerinnen- und Bürgerräten vorgeschlagenen Maßnahmen solche, die auf eigenverantwortliches Handeln zurückzuführen seien. In den nationalen Energie- und Klimaschutzplänen hingegen machten entsprechende Maßnahmen lediglich acht Prozent aus. Politisch unpopuläre Vorhaben wie ein Tempolimit auf Autobahnen würden 71 Prozent der Deutschen befürworten. Die verhaltensbedingte Reduktion des Energieverbrauchs im vergangenen Winter hätte abermals das Potenzial von Suffizienz bewiesen und dazu beigetragen, dass es zu keiner Energieknappheit gekommen ist.

Sechs Jugendliche verklagen die EU-Klimapolitik

Sechs junge Portugiesen zwischen elf und 24 Jahren präsentierten am Donnerstag eine Klimaklage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Sie argumentieren, dass Portugal, Deutschland und 31 weitere europäische Staaten ihre Menschenrechte verletzen, weil sie nicht genug tun, um sie vor dem Klimawandel zu schützen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty unterstützt die Klage. 2017 wüteten in Portugal verheerenden Waldbrände, die höchstwahrscheinlich durch klimawandelbedingte Trockenheit begünstigt wurden. Sie waren Amnesty zufolge der Auslöser der Klage. Sollte sie erfolgreich sein, könnten die 27 EU-Mitgliedstaaten sowie das Vereinigte Königreich, die Schweiz, Norwegen, Russland und die Türkei verpflichtet werden, ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Außerdem könnte das Urteil künftige Klimaklagen stärken.

Deutsche Unternehmen sehen Extremwetterereignisse als Gefahr

Der Klimawandel wirkt sich auch auf die Geschäftstätigkeit von Unternehmen aus. Das geht aus einer aktuellen Befragung von mehr als 1.300 Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern hervor, die vom Bonner Institut für Mittelstandsforschung durchgeführt wurde. Dürre und Überschwemmungen sind dabei die derzeit größte Sorge – und die rührt aus einem Erfahrungswert: In den vergangenen fünf Jahren mussten bereits viele Unternehmen auf Extremwettereignisse wie außergewöhnliche Hitze oder Starkregen reagieren. Besonders betroffen waren dabei Unternehmen aus der Landwirtschaft, der Energie- und Wasserversorgung sowie des Gastgewerbes. Die Größe der Unternehmen spielt dabei keine Rolle in der aktuellen Gefahreneinschätzung. Geschäftsführer sowohl von kleinen als auch von mittleren und großen Unternehmen bewerten die Folgen von Extremwetterereignissen als gefährdend. Wie sehr sich allerdings damit beschäftigt wird, hängt stark von persönlichen Überzeugungen des gesamten Unternehmenspersonals ab. Informationen aus Politik und Verbänden oder durch mediale Berichterstattung sind der Befragung zufolge dabei wenig ausschlaggebend für die unternehmensinterne Positionierung.


📻 Klima in MDR und ARD

Manganknollen aus der Tiefsee des Pazifiks 4 min
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👋 Zum Schluss

Mich haben einige Studien zum Eco-Gender-Gap durchaus überrascht. Denn in meinem Freundeskreis lassen sich die Ergebnisse kaum wiederfinden. Und wie sieht es bei Ihnen aus? Schreiben Sie uns gerne an klima@mdr.de, ich freue mich sehr über Ihr Feedback. 

Falls Sie sich weiter über das Thema informieren wollen, lege ich Ihnen ein Video von unseren Kolleginnen beim hr funkkolleg.Klima ans Herz. Zum Video Klimawandel: Sind die Männer schuld? Geht es hier.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende 
Inka Zimmermann 


Sie haben eine Frage oder Feedback?

Schreiben Sie uns an klima@mdr.de.

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