Streit in der Wissenschaft Ist die Kopfspeicheldrüse ein neues Organ oder nicht?

08. Dezember 2020, 16:22 Uhr

"Kopfspeicheldrüse" nannte die Forschungsgruppe aus Amsterdam ein Paar von Speicheldüsen, das sie als bisher unbekanntes Organ in der Nähe des Nasen-Rachen-Raums gefunden hatten. Jetzt wiedersprechen etliche Wissenschaftler - der Fund sei keinesfalls ein neues Organ.

Röntgenbild eines Schädels
Bildgebungsverfahren wie ein Röntgenbild zeigen die Speicheldrüsen im Nasen-Rachen-Raum, die die Niederländer beschrieben hatten, nicht. Bildrechte: imago images / Shotshop

Ist sie nun ein Organ oder ist sie keins, die Kopfspeicheldrüse? In der Wissenschaft gilt als Organ gemeinhin ein Teil des Körpers, der spezielle Aufgaben erfüllt und aus mehreren Geweben besteht. Wer will, unterscheidet noch zwischen inneren und äußeren Organen, also solchen wie Herz, Lunge, Leber - die sind in Größe und Gestalt klar abgegrenzt vom Rest des Körpers. Äußere Organe sind zum Beispiel Haut und Nervensystem, die sich beide über den ganzen Körper ausdehnen.

Das, was die Forscher im September 2020 in den Niederlanden in einer Studie als potentiell neues Organ vorstellten, und damit für allerlei Schlagzeilen sorgten, wäre dieser Logik folgend, wohl ein inneres Organ. In der Conclusio ihrer Studie heißt es übersetzt:

Der menschliche Körper enthält ein Paar von bisher übersehenen und klinisch relevanten makroskopischen Speicheldrüsenpositionen, für die wir den Namen Tubarendrüsen vorschlagen.

The tubarial salivary glands: A potential new organ at risk for radiotherapy

Wenn nun nicht gleich eine ganze Reihe von Forscherinnen und Forschern sagen würden: von wegen neues Organ! Zum Beispiel Professor Dr. Ingo Bechmann, Direktor des Instituts für Anatomie der Universität Leipzig. Er sagt: "Speicheldrüsen an dieser Stelle im Nasen-Rachen-Raum sind mir aus Standardlehrbüchern für Studierende der Humanmedizin bekannt."

"Neues" Organ seit 1866 bekannt

Und es kommt noch ärger. Das Wissen um die vermeintlich frisch entdeckten Speicheldrüsen ist offenbar weit älter, zeigen Bechmann und Fachkollegen der Uni Jena in einer frisch veröffentlichten Richtigstellung auf, in der es unter anderem heißt:

Die Ansammlung von Speicheldrüsen an dieser Stelle ist mindestens seit 1866 geläufig und wiederholt in der wissenschaftlichen Literatur und in Lehrbüchern beschrieben worden.

Auszug aus der Publikation in der Fachzeitschrift Laryngo-Rhino-Otologie

Professor Dr. Orlando Guntinas-Lichius, Direktor der Klinik für HNO-Heilkunde am Universitätsklinikum Jena führt dazu aus: "Neben den sechs großen Speicheldrüsen befinden sich Hunderte kleine Speicheldrüsen in der Schleimhaut von Mundraum, Lippen und Rachen. Dass es Ansammlungen von Speicheldrüsen auch im Nasenrachen und in der Nähe der Luftröhre gibt, wurde schon vor 150 Jahren beschrieben."

Aber was hat es nun überhaupt mit all den Drüsen auf sich? Im und um das Gewebe der Schleimhaut von Lippen, Mundhöhle, Nase und Mittelohr sind etwa 800 bis 1.000 dieser kleinen Drüsen in unterschiedlicher Dichte verteilt. Normalerweise sind sie nicht sichtbar, auch konventionelle Bildgebungsverfahren können sie nicht zeigen. Nur wenn wir Tumore oder Zysten haben, werden sie bemerkt wobei solche Geschwulste im Nasen-Rachen-Raum äußerst selten sind.

(lfw)

Welche Organe können eigentlich gespendet werden?

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