Atomkraftwerk in Juschnoukrajinsk in der Südukraine
Die Ukraine betreibt derzeit an vier Standorten insgesamt 15 Atomreaktoren (wie hier in Juschnoukrajinsk in der Südukraine). Bildrechte: IMAGO / agefotostock

Krieg Atomkraftwerke in der Ukraine: Droht durch den Krieg eine nukleare Katastrophe?

01. März 2022, 16:56 Uhr

In der Ukraine gibt es außer der Atomkraftwerksruine Tschernobyl noch 15 aktive Reaktoren. Der Nuklearsektor des Landes könnte durch den Krieg absichtlich oder unabsichtlich zur radioaktiven Gefahr für Europa werden.

Im Zuge ihres Vormarschs auf die ukrainische Hauptstadt Kiew drangen von Weißrussland kommende russische Truppen auch in die Sperrzone um das 1986 explodierte Atomkraftwerk Tschernobyl ein. Kommentatoren halten zwar für unwahrscheinlich, dass das russische Militär die Ruine beziehungsweise die neue, hochkomplexe Schutzhülle um die Ruine beschädigen würde. Die Strahlung würde bei ungünstigen Windverhältnissen auch russisches Territorium kontaminieren. Erhöhte Strahlungswerte, wie sie am Freitag berichtet wurden, könnten mit aufgewirbeltem Staub zusammenhängen, der von den sich durch die Zone bewegenden Truppen aufgewirbelt wurde.

Tschernobyl: Sicherheit des ehemaligen AKWs von täglich 3000 Beschäftigten abhängig

Einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge könnten die Kampfhandlungen aber trotzdem zur ernsten Gefahr für die Arbeiten an dem havarierten Reaktor und seinen drei regulär außer Dienst gestellten Nachbarreaktoren werden. Rund 3000 Arbeiter seien täglich auf dem Kraftwerksgelände mit den noch auf Jahrzehnte angelegten Aufräumarbeiten beschäftigt. Können Sie aufgrund der Kampfhandlungen nicht sicher zwischen ihren Wohnorten und Tschernobyl pendeln, könnte es bald zu gefährlichen Situationen kommen.

Luftaufnahme der Reaktorruine von Tschernobyl mit der neuen Schutzhülle "New Safe Confinement".
Die Aufräumarbeiten am früheren Kraftwerksstandort Tschernobyl müssen noch Jahrzehnte weitergehen und dürfen nicht unterbrochen werden, wenn Strahlenschäden verhindert werden sollen. Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

Die von den russischen Truppen vorgefundenen Arbeiter der laufenden Schicht würden derzeit wie Geiseln gehalten und zum Durcharbeiten gezwungen, berichtet die Zeitung unter Berufung auf ukrainische Quellen.

Laufende Atomreaktoren: Gefahr durch Querschläger oder Schäden am Stromnetz

Eine noch größere Gefahr geht nach Ansicht verschiedener Kommentatoren aber von den 15 noch laufenden Atomreaktoren aus, die die Ukraine an insgesamt vier Atomkraftwerkstandorten betreibt. Denn einerseits könnte es zu unabsichtlichem Beschuss kommen, wenn Raketen oder Geschosse fehlgeleitet würden. Andererseits wäre aber auch eine ernsthafte Beschädigung des Stromnetzes selbst eine Gefahr für die Kraftwerke.

Denn sowohl die Reaktoren als auch die Abklingbecken mit den verbrauchten Kernbrennstäben benötigen konstante Kühlung. Diese Kühlung hängt von Wasserpumpen ab, die selbst elektrisch betrieben werden und deren Strom aus dem Netz kommt. Wird ein Atomkraftwerk durch einen Zwischenfall vom Strom getrennt, gibt es zwar ein Notstromsystem, das von Dieselgeneratoren gespeist wird. Aber das funktioniert nur, solange genügend Kraftstoff zur Verfügung steht. Sowohl Kraftstoffreserven als auch das Stromnetz selbst sind mögliche Angriffsziele, da sie entscheidend für die Verteidigungsfähigkeit der Angegriffenen sind.

Auch US-Truppen haben schon unabsichtlich kritische Infrastruktur gefährdet

James M. Acton, Wissenschaftler am US Think Tank "Carnegie Endowment for International Peace" warnt auch deshalb besonders vor solchen Szenarien, in denen die Atomkraftwerke unbeabsichtigt durch Kriegshandlungen beschädigt werden können, weil US-Truppen selbst bei verschiedenen Einsätzen immer wieder demonstriert hätten, wie schnell im Kampf ungeplante Operationen in Katastrophen münden könnten. So hätten US-Spezialkräfte beispielsweise 2017 bei einer Operation in Syrien Luftunterstützung angefordert, die zur Bombardierung eines Staudamms führten, der eigentlich auf einer Nicht-Angriffsliste stand. Wäre der Damm gebrochen, hätte das zur Überflutung von Siedlungsgebieten und dem sicheren Tod mehrerer Zehntausend Zivilisten geführt.

In Bezug auf die ukrainischen Reaktoren hält Acton fest: "Atomkraftwerke wurden nicht entwickelt für Kriegsgebiete." Die Gefahr einer nuklearen Katastrophe stellt nur einen von vielen Gründen dar, warum die Kampfhandlungen in der Ukraine so rasch wie möglich aufhören müssen.

(ens)

6 Kommentare

Eulenspiegel am 02.03.2022

Hallo Anni
Vor einigen Jahren wurde in Norddeutschland ein AKW evakuiert. Der Grund ein vollbesetztes Passagierflugzeug flog direkt auf dieses AKW zu und de Funkverkehr war zusammengebrochen. In diesem Zusammenhang ist auch der 11 September 2001 interessant.
Und dies ist nur ein Punkt unter sehr vielen.
Das Ergebnis ist:
Ihre Behauptung die Atomkraft sei sicher können sie in keiner Weise belegen.

Anni22 am 02.03.2022

AkW dürfen regulär nicht überflogen werden. Gegen kleine Flugzeue hält die Hülle. Aber versehntlich wird kaum eine Großflugzeug in ein AKW fallen. Die Standorte sind bekannt und wie gesagt "verbotene Zonen".

Eulenspiegel am 01.03.2022

Hallo Anni
Dann erklären sie uns doch einfach mal wie so ein Atomkraftwerk gegen ein Flugzeugabsturz, ob nun ein Unfall oder absichtlich herbeigeführt, gesichert ist.