Arzt im Patientengespräch per Videochat
Die Digitalisierung hat für Medizinerinnen und Mediziner neue Wege der Patientenbetreuung gebracht. Bildrechte: IMAGO/Westend61

Patientenfragen Ist die Künstliche Intelligenz empathischer als der Arzt?

02. Mai 2023, 09:03 Uhr

Künstliche Intelligenz ist auch in der Medizin ein großes Thema. Klar, die Ärztinnen und Ärzte wird keine Software je ersetzen, aber sie könnte ihnen ganz erheblich bei der täglichen Arbeit unter die Arme greifen. Denn eine aktuelle Untersuchung zeigt jetzt: Auf schriftliche Patientenfragen kann die KI häufig qualitativ hochwertig und vor allem auch empathischer als die Medizinerinnen und Mediziner antworten. KI-Technologien könnten in Arztpraxen künftig hilfreiche Assistenten für alle sein.

Die Hoffnungen in Künstliche Intelligenz im Bereich der Medizin sind groß: Sie soll bei der Pharmaforschung helfen, bei der Analyse von Röntgenbildern und Studiendaten und kann Ärztinnen und Ärzten womöglich auch den Alltag erleichtern. Eine neue Studie von Forschenden der University of California San Diego legt jetzt nahe, dass Chatbots wie ChatGPT ein ernstzunehmender Assistent bei der Beantwortung schriftlicher Patientenanfragen sein können.

ChatGPT antwortet qualitativ hochwertiger und einfühlsamer

Das Forschungsteam wollte in der Untersuchung die Frage beantworten, ob ChatGPT sinnvoll auf Fragen antworten kann, die Patientinnen und Patienten dem medizinischen Fachpersonal stellen? Und wenn ja, wie gut sind diese Antworten? Denn ein KI-Assistent, der das leisten kann, könnte den überlasteten Ärztinnen und Ärzten helfen. Zwar könnte ChatGPT schon eine medizinische Zulassungsprüfung bestehen, meint der Co-Autor der Studie, Dr. Davey Smith, Professor an der UC San Diego School of Medicine, "aber die direkte Beantwortung von Patientenfragen genau und einfühlsam ist eine andere Sache".

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Ein stilisiertes Auge in Nahaufnahme, ergänzt durch technisch anmutende grafische Elemente. Text: Wie wird die Zukunft? 11 min
Wie wird die Zukunft? Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Zuletzt habe die Covid-Pandemie die Einführung virtueller Gesundheitssysteme beschleunigt, stellt das Forschungsteam fest. Das habe auf der einen Seite zwar dafür gesorgt, dass Patientinnen und Patienten leichter Zugang zu medizinischer Versorgung bekämen, auf der anderen Seite ständen Ärztinnen und Ärzte aber auch einer regelrechten Flut elektronischer Patientennachrichten gegenüber, in denen nach Rat gefragt werde. Das habe zu einem rekordverdächtigen Burnout-Niveau in der Medizin beigetragen.

Die Möglichkeiten zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung mit KI sind enorm.

Dr. John W. Ayers, University of California San Diego

Die neue Studie zeige nun eindrücklich, welche Rolle KI-Assistenten künftig in der digitalisierten Patientenbetreuung spielen könnten – und dass sie sowohl das Fachpersonal entlasten, als auch einen Mehrwert für die Ratsuchenden bieten könnten. Das Forschungsteam hat schriftliche Antworten von Ärztinnen und Ärzten auf reale Gesundheitsfragen mit denen von ChatGPT verglichen. Das Ergebnis: In 79 Prozent der Fälle bevorzugte ein Gremium lizenzierter medizinischer Fachkräfte die Antworten von ChatGPT. Zusätzlich bewertete es die Antworten sogar als qualitativ hochwertiger und einfühlsamer.

Logos des ChatGPT Chatbot und des Forschungslabors OpenAI auf Smartphone- und Laptop-Bildschirmen
ChatGPT hat in 79 Prozent der Fälle die bessere Antwort geliefert. Bildrechte: IMAGO / ZUMA Wire

ChatGPT-Antworten in 79 Prozent der Fälle bevorzugt

Für den Vergleich von Mediziner- und KI-Antworten auf echte Patientenfragen brauchte das Forschungsteam zunächst eine möglichst große und vielfältige Stichprobe von Gesundheitsfragen und Antworten echter Menschen. Doch die durften weder identifizierbar sein, noch persönliche Informationen enthalten.

Diese Stichprobe lieferte ihnen das soziale Netzwerk Reddit. Dort posten unter dem sogenannten Subreddit r/AskDocs Patientinnen und Patienten anonym und öffentlich Fragen, die von Ärztinnen und Ärzten beantwortet werden. Das Subreddit hat rund 478.000 Mitglieder und die antwortenden Fachkräfte sind durch Moderatoren verifiziert. Je nach Anmeldeinformationen der Antwortenden ist vermerkt, wer eine entsprechende Qualifikation besitzt. Das Ergebnis ist also ein großer Datensatz echter medizinischer Fragen mit den entsprechenden Antworten von lizenziertem medizinischen Fachpersonal. Zusätzlich haben Medizinerinnen und Mediziner aus dem Team geprüft, ob die Konversationen ihre Erfahrungen aus der klinischen Praxis spiegelten, so die Forschenden.

Symbile diverser Socialmedia Platformen
Auf der Social Media-Plattform Reddit posten Menschen anonym ihre Gesundheitsfragen. Bildrechte: Imago/PantherMedia / Markus Mainka

Für ihre Untersuchung haben sie zufällig 195 Postings von AskDocs untersucht, bei denen jeweils ein verifizierter Arzt auf die Frage geantwortet hat. Diese Frage stellte das Team dann ChatGPT und bat den Chatbot, eine passende Antwort zu verfassen. Anschließend bewertete ein Gremium aus drei medizinischen Fachkräften jede Frage und die entsprechenden Antworten dazu. Dabei haben sie natürlich nicht gewusst, welche Antwort von einem Menschen und welche von ChatGPT stammte. Das Gremium verglich die Antworten hinsichtlich der Qualität der Informationen und der Empathie und wählten jeweils die aus, die sie bevorzugten. In 79 Prozent der Fälle war das die ChatGPT-Antwort.

Die ChatGPT-Nachrichten antworteten mit nuancierten und genauen Informationen, die oft mehr Aspekte der Fragen des Patienten ansprachen als es bei den Antworten des Arztes der Fall war.

Jessica Kelley, Human Longevity San Diego

Das Fachgremium hat die Antworten von ChatGPT insgesamt als qualitativ signifikant besser bewertet als die der Ärztinnen und Ärzte: Waren 22,1 Prozent der menschlichen Antworten von guter oder sehr guter Qualität, lag der Wert bei ChatGPT mit 78,5 Prozent 3,6 mal höher. Dasselbe Bild zeigte sich auch bei der Empathie: einfühlsame oder sehr einfühlsame Antworten hat ChatGPT mit 45,1 Prozent 9,8 mal häufiger gegeben als die Ärztinnen und Ärzte mit 4,6 Prozent.

Wird die KI zum digitalen Assistenzarzt?

Doch die Schlussfolgerung des Forschungsteams ist nicht, dass Ärztinnen und Ärzte künftig überflüssig werden. Die ultimative Lösung sei jetzt nicht, den eigenen Arzt "gleich rauszuschmeißen". Ganz im Gegenteil: Es ist das medizinische Fachpersonal, das Konsequenzen ziehen sollte. Denn offenbar sei es ja so, dass ein Arzt, der eine Technologie wie ChatGPT nutze, die Antwort auf die Frage nach besserer und einfühlsamerer Betreuung gefunden haben kann.

Ich hätte nie gedacht, das zu sagen, aber ChatGPT ist das Rezept, das ich meinem Posteingang verschreiben würde. Dieses Werkzeug wird die Art und Weise verändern, wie ich meine Patienten unterstütze.

Dr. Aaron Goodman, UC San Diego School of Medicine

Die Medizinerinnen und Mediziner am Universitätsklinikum von San Diego wollen aufgrund ihrer Erkenntnisse nun den logischen nächsten Schritt gehen, um die Vision des KI-Assistenten wahr werden zu lassen. "Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Werkzeuge wie ChatGPT effizient qualitativ hochwertige, personalisierte medizinische Ratschläge zur Überprüfung durch Kliniker erstellen können, und wir beginnen diesen Prozess bei UCSD Health", erklärt Dr. Christopher Longhurst von UC San Diego Health.

Mehr KI = mehr Gerechtigkeit?

Allerdings, so schließt das Forschungsteam, sei es wichtig die Integration von KI-Assistenten im Rahmen einer randomisierten kontrollierten Studie zu begleiten, um beurteilen zu können, ob sich der Einsatz der Technologie tatsächlich in der Praxis als sinnvolle und hilfreiche Unterstützung erweise. Die Forschenden erhoffen sich von den KI-Assistenten außerdem, dass sie Ärztinnen und Ärzte in der patientenfreundlichen Kommunikation schulen könnten und dazu beitragen Ungleichbehandlungen im Gesundheitssystem zu verringern – etwa indem marginalisierte Gruppen einen einfacheren Zugang zu hochwertigen medizinischen Informationen bekommen.

Link zur Studie

Ayers, John W. et al.: Comparing Physician and Artificial Intelligence Chatbot Responses to Patient Questions Posted to a Public Social Media Forum. In: JAMA Internal Medicine. https://dx.doi.org/10.1001/jamainternmed.2023.1838.

(kie)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | artour | 27. April 2023 | 22:10 Uhr