Exorzismusforschung Exorzismus: Fluch oder Segen für die Betroffenen?
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27. November 2024, 18:05 Uhr
Wer Exorzismus hört, hat schnell schreckliche Bilder vor Augen: Von Menschen, die schreien, die festgekettet sind, die mit einer verzerrten Stimme sprechen. Hollywood und die Schlagzeilen von Extremfällen aus aller Welt haben unser Bild geprägt. Entsprechend absurd klingt es, dass der Vatikan einen Exorzisten-Kurs anbietet. Wenn aber nun Betroffene wirklich glauben, besessen zu sein, kann ein Exorzismus auch helfen?
In Filmen ist schnell klar, wer vom Teufel besessen ist. Die betroffene Person ändert mehr und mehr ihre Verhaltensweisen, hat Gedächtnislücken, wird teils extrem aggressiv. Früher oder später wird deshalb verzweifelt ein katholischer Priester gerufen, der sich um die Sache kümmern soll.
Auch bei Axel Seegers, Leiter des Bereichs Weltanschauungsfragen bei der Erzdiözese München und Freising, landen Anfragen von Menschen, die "sagen, sie fühlen sich bedroht oder belastet von Dämonen". Mehrere im Jahr, wie er angibt. Ganz so eindeutig wie im Film sei das aber nicht. Den Menschen passierten einfach Dinge, die sie sich nicht erklären könnten: "Ich kann mich an eine ältere Dame erinnern, die erzählt hat, dass permanent oben auf dem Speicher Geräusche waren. Es waren aber keine Tiere oder Ähnliches festzustellen. Eine andere Person hat sich an mich gewandt und sagte, dass sie permanent Impulse erlebt, etwas zu tun, was sie aber gar nicht tun möchte."
Anfragen wie diese erhält die Kirche weltweit und auch regional unterschiedlich stark – je nachdem, wie fest verankert der Teufelsglaube in der Gesellschaft ist. In der katholischen Kirche in Afrika, Asien oder Südamerika sei das Thema mehr verbreitet als in Europa, meint die Religionswissenschaftlerin Dr. Nicole Bauer, die seit Jahren am Thema Exorzismus forscht. Ihr zufolge sei aber die Nachfrage in Polen oder Frankreich trotzdem hoch, während man in Deutschland verhaltener sei – nicht zuletzt durch den Fall der Studentin Anneliese Michel, die in den 70er-Jahren durch Exorzismen und die dadurch unterlassene medizinische Hilfeleistung zu Tode gekommen war.
Was davon dann wirklich zu einem "Großen Exorzismus" führt – also das, was gemeinhin als Teufelsaustreibung bekannt ist – ist nicht erfasst. Trotzdem weiß Nicole Bauer aus Gesprächen mit katholischen Priestern, dass es auch in Deutschland noch vereinzelt Exorzismen gibt. Das offizielle Ritual ist dabei deutlich harmloser als oft dargestellt.
Der Exorzismus in der katholischen Kirche: Gebete mit hohem Anspruch
Wie ein Exorzismus in der katholischen Kirche abzulaufen hat, ist offiziell im Rituale Romanum festgehalten – einem liturgischen Buch aus dem Jahr 1614, das Formulare zur Taufe, der Eheschließung, aber eben auch zu Exorzismen enthält. Neben Kriterien, wie eine Besessenheit sich äußert, finden sich dort auch Anweisungen für die Rahmenbedingungen, etwa, dass bei einem Exorzismus an Frauen auch eine weibliche Person anwesend sein muss oder der Hinweis, dass ein Priester kein Arzt sei, so Dr. Nicole Bauer. Seit einer Überarbeitung im Jahr 1999 ist die Einbeziehung eines Arztes im Verdachtsfall sogar Pflicht, um eine psychische Erkrankung auszuschließen. Ebenso braucht es seit 1983 laut Kirchenrecht die Zustimmung und den offiziellen Auftrag des zuständigen Bischofs.
Das Ritual selbst ist dann in eine gottesdienstähnliche Handlung eingegliedert, teilweise sogar in den Gottesdienst selbst integriert, erklärt die Religionswissenschaftlerin. Dabei würde die betroffene Person mit Weihwasser besprengt, eine Litanei und Psalmen gebetet, das Evangelium verkündet und mit unterschiedlichen Begleitworten die Hand aufgelegt. Auch das Glaubensbekenntnis und das "Vater unser" würden gebetet und am Ende wie in den Filmen das Kreuz gezeigt, während der Priester die Exorzismus-Formel aufsagt. Eine frühere Version, in der man den Teufel auffordere zu gehen, sei mittlerweile optional. Stattdessen gibt es nun auch die Möglichkeit, Gott um Hilfe zu bitten. Eine Option, die vor allem in Deutschland bevorzugt würde, so Dr. Nicole Bauer.
Trotz dieses vergleichsweise harmlosen Ablaufs ist das Netz voll von Videos, in denen Menschen bei diesen Ritualen zuckend und wimmernd auf dem Boden liegen oder sich vor Schmerzen krümmen. Ein Teil davon stammt aus Freikirchen oder von selbst ernannten Exorzisten, die sich nicht an diese Regeln halten müssen, doch auch in katholischen Exorzismen, beispielsweise in Polen, reagieren die Menschen stark auf die Gebete. Was also macht ein Exorzismus mit denen, die fest daran glauben, besessen zu sein?
Exorzismus beim besessenen Patienten: Hilfe, die auch schaden kann
Problematisch wird es auf jeden Fall dann, wenn der Exorzismus zum einzigen Ausweg wird, meint Dr. med. Christa Roth-Sackenheim, Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Psychiater. In ihrer Praxis hat sie viele der Kriterien, die im Rituale Romanum für eine dämonische Besessenheit gelten, schon erlebt – etwa, dass Menschen eine Aversion gegen christliche Symbole (oft im Zusammenhang mit Missbrauch) haben oder aber plötzlich unglaubliche Kräfte entwickeln, aber auch, dass ein Exorzismus zu einer kurzzeitigen psychischen Entlastung für die Betroffene geführt hat. "Und dann kam die Erkrankung mit Wucht wieder und es kam zum Suizid, so nach dem Motto: 'Ich bin so schlecht, dass selbst der Exorzismus mir nicht helfen konnte'."
Das sei aber ein Extremfall. Grundsätzlich könnten solche religiösen Rituale aber auch helfen, so die Psychiaterin. Denn die Betroffenen sind "unverrückbar davon überzeugt, zum Beispiel vom Teufel besessen zu sein." Das wäre mit rationalen Argumenten nicht zu verändern. Solch eine Psychose mit religiösem Inhalt entstehe meist durch ein religiöses Umfeld und bei religiösen Menschen. Religion sei dadurch oft "die Eintrittskarte, dass man unter Umständen medizinisch was machen kann".
Auch ein Exorzismus – zumindest im geregelten Rahmen, wie es die katholische Kirche vorschreibt – kann laut Dr. med. Christa Roth-Sackenheim unterstützen: "Für uns Psychiater hat das viel damit zu tun Selbstheilungskräfte, die der Mensch hat und die was mit Autosuggestion zu tun haben, zu aktivieren." Beim Placebo-Effekt habe man denselben Ansatz. Allerdings sollte dies nur ergänzend zur medizinischen Versorgung stattfinden, auch wenn die Kirche das offiziell nicht erlaubt. Etwas, wofür auch Axel Seegers plädiert: "Wenn jemand zu mir kommt, dann kann ich mit ihm gemeinsam beten, ich kann mit ihm singen, ich kann ihm sogar die Krankensalbung spenden. Und ich kann gleichzeitig schauen, dass er in einen Gesprächsprozess hineinkommt, dass er auch andere Hilfsmöglichkeiten bekommt, sodass er ganzheitlich auch wieder auf einen besseren Weg kommt." Das eine schließe das andere nicht aus – in beide Richtungen.
Dieses Thema im Programm: ARD Videopublisher | 21. November 2024 | 13:20 Uhr