Wortlose Sprache Wie wir mit Gesten Maschinen steuern

12. August 2019, 13:57 Uhr

Mit dem nach oben gereckten Daumen signalisieren wir Zustimmung, der nach unten gedrehte Daumen ist die Absage, der Tod im antiken Gladiatorenzirkus. Gesten begleiten uns, dabei sind sie keine eigene Sprache wie etwa die Gebärdensprache für Gehörlose. Die Wissenschaft erforscht sie, denn mit Gesten lassen sich Maschinen, etwa in der Fabrik 4.0, steuern.

Die Geste des Telefonierens mit dem abgespreizten Daumen und Zeigefinger kennt jeder - obwohl sie Aspekte des alten Telefonhörers nachahmt. Das könnte sich ändern, denkt Sprachwissenschaftlerin Ellen Fricke an der TU Chemnitz:

Eine Frau gibt ein Handzeichen zum telefonieren
"Wir telefonieren" - so versprechen wir heute unseren Anruf an. Und in Zukunft? Bildrechte: imago/Bernd Friedel

Wir nutzen diese Geste, obwohl Handys heutzutage flach sind. Es kann sein, dass wir durch die flachen Handys inspiriert werden, eine andere Geste zu erfinden, indem wir zum Beispiel die flache Hand ans Ohr halten.

Prof. Ellen Fricke

Das wäre eine Vorschau in die Zukunft. Jana Bressem von der Arbeitsstelle "Gestenforschung und Sprechwissenschaft" an der TU Chemnitz erklärt, was Gesten so spannend macht:

Uns interessiert, wie wir Gesten mit der Alltagskommunikation als Grundlage nehmen können für die Gestaltung von Mensch/Maschine-Schnittstellen.

Prof. Jana Bressem

Maschinen können Gesten aber keine Gebärden lesen

Prof. Fricke_Dr. Bressem
Prof. Bressem (r.) und Prof. Ellen Fricke forschen seit Jahren gemeinsam. Bildrechte: TU Chemnitz

Im Unterschied zur Gebärdensprache sei die redebegleitende Geste ganz eng mit der Lautsprache verbunden, sagt die Wissenschaftlerin. Es gibt eine bestimmte Regelmäßigkeit, mit der wir nach der Lautsprache Gesten produzieren und nutzen. Eine Sprache im Sinne einer Lautsprache mit fester Grammatik und festem Wortschatz ist sie zwar nicht. Aber man kann sagen, dass gestische Zeichen tatsächlich auch sprachlich sein können, sagt Jana Bressem:

Gebärden sind standardisiert, bestimmte Gebärden gehen mit bestimmten Bedeutungen einher. Sie haben eine komplexe Grammatik, einen Wortschatz, es gibt Wörterbücher für Gebärden. Das ist eine voll ausgebildete Sprache und es gibt auch Einzelsprachen: Die deutsche Gebärdensprache, die amerikanische, die französische…

Jana Bressem

Gesten dagegen haben kein solches System. Redebegleitende Gesten brauchen die Lautsprache, damit sie selbst Bedeutung übermitteln können.

Hinter jeder Geste steckt eine Geschichte

Natürlich haben Gesten auch eine eigene Geschichte, nicht unähnlich der Herkunftsgeschichten von Sprachen. Etwa die zwei Finger, die den Eid vor mittelalterlichen Gerichtshöfen signalisierten - das ist eine solche Gesten-Geschichte. Oder der nach unten gedrehte Daumen bei römisch-antiken Gladiatorenkämpfen, wenn Sieger oder Verlierer bestimmt werden sollte. Das ist eine Seite.

Die andere ist die, dass Gesten in anderen Ländern anders gedeutet werden können. Beispiel: das Victory-Zeichen mit Zeige- und Mittelfinger. Was bei uns als Sieg gedeutet wird, ist etwa in Japan, Südkorea oder Taiwan das Zeichen für "glücklich". In unseren Tagen ist der nach oben gereckte Daumen, das berühmte OK-Zeichen, die wohl am häufigsten gebrauchte Geste. Bressem erläutert, dass das aber noch nicht immer so war. Zuvor nahm vor allem der aus Ringfinger und Daumen geformte Kreis diese Bedeutung ein.

Das ist tatsächlich eine Geste, die im 20. Jahrhundert besonders populär geworden ist, bei der weiß man, dass sozusagen der Ringfinger das O abbildet und der Rest der Hand für das K steht.

Jana Bressem

Auch die Wischgeste ist mehr als nur eine algorithmisch interpretierte Bewegung auf dem Tablet, erklärt Bressem:

Denken Sie an so Sachen wie: 'Darüber möchte ich jetzt nicht reden.' Dann bewegen Sie die Hand von links nach rechts, und wischen die Argumente weg als wären sie Krümel vom Tisch. In der Mensch/Maschine-Schnittstelle benutzen wir die Geste, um einzelne Programme wegzuwischen.

Jana Bressem
Eine Frau mit Brille lächelt
Marianne Eisl Bildrechte: Credit Erwin Rachbauer

Warum die Gesten im Fokus nicht nur der Sprachwissenschaftler stehen, erläutert Marianne Eisl, Kuratorin des "Ars Electronica Futurelab" im österreichischen Linz. Das Futurelab, auch "Museum der Zukunft" genannt, stellt zukünftige Technologien schon heute aus. Gestensteuerung, sagt sie, wird schon heute eingesetzt, mit einer Einschränkung, sagt Heisl:

Meistens nur unterstützend zur analogen haptischen Steuerung in der Industrie 4.0. Bei der Bedienung von Maschinen können Roboter Menschen unterstützen. Ich kann mit Gesten mit dem Roboter kommunizieren wie mit einem Menschen. Menschliche Gesten werden genommen, um die Interaktion mit einem Roboter zu erleichtern.

Marianne Eisl

Mehr über unsere Kommunikation mit Gesten finden Sie hier:

03_GESTEN_Shadow Gestures_Ars Electronica Futerlab 5 min
Bildrechte: Foto Michael Mayr

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | RADIO | 11. August 2018 | 10:20 Uhr