Corona Wissenschaft und Politik: Wer warum mit wem spricht
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18. November 2021, 10:37 Uhr
Die Corona-Pandemie hat die Bereiche der Wissenschaft aus dem Labor mitten ins politische Geschehen katapultiert. Wer berät wen, wer wertet welche Studie wie, wer wird warum von wem zu Beratungen hinzugezogen? Stimmen aus Politik und Wissenschaft erklären die Gemengelage aus ihrer Sicht.
"Wissenschaft ist keine Wahrsagebox, in die man eine Münze reinwirft und unten kommt die Antwort raus, sondern sie ist ein sehr komplexes Gebilde, aus dem sich mit der Zeit einige Ergebnisse herausarbeiten lassen, die dann auch nutzbar sind." Das Zitat stammt von Annette Leßmöllmann. Sie ist Professorin für Wissenschaftskommunikation am Karlsruher Institut für Technologie. In der Corona-Pandemie gibt es den Vorwurf, die Bundesregierung lasse sich einseitig beraten und bevorzuge manche Wissenschaftler. Vor allem der Virologe der Berliner Charité, Christian Drosten, gilt als "Wahrsagebox der Kanzlerin". Bereits im Januar wies Merkel diesen Vorwurf zurück:
Es gibt ein breites Spektrum an Wissenschaftlern. Nicht nur die, die jetzt gerade eingeladen sind, sind diejenigen, mit denen ich spreche und mit deren Ergebnissen ich mich befasse.
Merkel unterstrich nur ihre ablehnende Haltung gegenüber Wissenschaftlern, die dem Virus freien Lauf lassen wollen, um so eine Herdenimmunität zu erreichen. Sie begründete das damit, dass sie sich verpflichtet fühle, Leben zu schützen.
Ministerpräsidentenrunden: Ein Wissensstand für alle war die Idee
Vor den Ministerpräsidentenrunden hatte es in der Vergangenheit Gespräche mit unterschiedlichen Wissenschaftlern gegeben. Je nach Thema waren sie vom Bundeskanzleramt dazu eingeladen worden. Die Idee dahinter war auch, alle Ministerpräsidenten auf einen Wissensstand zu bringen. Der Präsident des Helmholtz-Institutes, Otmar Wiestler, sieht darin kein Problem:
Sie müssen der Politik zugestehen, dass sie auf Expertinnen und Experten zugeht. Im Übrigen hat sich die Bundesregierung oft auch auf Gremien gestützt, wenn Sie an die Leopoldina denken, also die Nationale Wissenschaftsakademie. Die ist ja immer wieder um Stellungnahmen gebeten worden und da ist ja a priori schon sichergestellt, dass ein sehr breites Abbild unterschiedlicher Persönlichkeiten und unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen vertreten ist.
Vorwürfe: Hinterzimmerabsprachen
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet ließ sich in seinem Gremium vor allem von dem Virologen Hendrik Streeck beraten. Der warf der Bundesregierung vor, ihn angeblich zu Beratungen nicht eingeladen zu haben, weil man seine Meinung nicht hören wollte. Er prangerte Hinterzimmerabsprachen und die Politisierung der Wissenschaft an. Der Physiker und Hochschullehrer für Verkehrssystemplanung, Kai Nagel, kann verstehen, dass sich die Länder gern von ihren eigenen Wissenschaftlern beraten lassen. Da gehe es auch um Vertrauen, sagte er dem ARD-Hauptstadtstudio. Trotzdem scheint es ihn auch zu ärgern, dass sie sich nicht immer für seine Erkenntnisse interessieren:
Was helfen würde, wäre wahrscheinlich, wenn insbesondere die Landesregierungen mehr Kapazitäten für Informationsverarbeitung hätten. Da habe ich manchmal das Gefühl, dass die ihre eigenen Beratungsgremien haben und das ist dann auch die Grenze dessen, was sie wahrnehmen.
In den Medien wurde Nagel oft ins Team Merkel eingeordnet. Er selbst sieht das aber nicht so:
Wir sind immer irgendwie als bundeskanzlernah kommuniziert worden. Aber wir sind tatsächlich durch die Berliner Landesregierung ins Spiel gebracht worden und waren jetzt auch in der Anhörung von der SPD rekrutiert.
Alle drei Wochen schreibt er einen Bericht zu seinen Studien, der an die Regierung geht, aber auch öffentlich einsehbar ist. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach veröffentlicht auf Twitter viele Studien, die er liest. Auch er ist oft bei Corona-Beratungen dabei.
Kein Kinderspiel: Studien-Bewertung
Jörg Hacker, ehemaliger Präsident des Robert-Koch-Institutes und bis 2020 Präsident der Leopoldina, sagt, eine gute Studie erkennt man daran, dass sie in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht wurde.
Ich glaube, dass schon die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oft Probleme haben bei der Bewertung. Wichtig ist das sogenannte Peer Review, das bedeutet also, dass unabhängige Gutachter auftreten und Begutachtungen wahrgenommen werden.
In der Pandemie dürfe man nicht vergessen, dass sogenannte Pre-Prints, also frühe Veröffentlichungen, möglicherweise nicht so zuverlässig sind. Wissenschaftliche Erkenntnisse zum Coronavirus werden immer komplexer durch die Mutationen und verändern sich momentan schnell. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, der Regierung sei wichtig, dass alle Corona-Maßnahmen wissenschaftlich begründet werden.
Deswegen gibt es ganz engen Austausch mit unterschiedlichsten Experten. DAS Beratergremium gibt es in dem Sinne nicht, sondern es gibt Beratungen, natürlich nicht nur auf der Ebene der Bundeskanzlerin, sondern auch bei den zuständigen Ministern, je nach Ressort mit unterschiedlichen Expertinnen und Experten.
FDP-Generalsekretär Volker Wissing meint, bei der Besetzung des Expertengremiums, das die Bundesregierung berate, blicke niemand mehr durch. Er wünscht sich in der Runde mehr ökonomische und sozialwissenschaftliche Kompetenz, aber auch Bildungsexperten. Auch Jan Korte von den Linken bedauert, dass es keinen wirklichen Einblick gibt, auf wessen Expertise in welchem Ausmaß zurückgegriffen wird. Die Linke fordert deswegen einen transparenten Pandemierat mit Wissenschaftlern aus allen Fachgebieten.