Salz zu verschütten bringt Unglück
Unerwartet, riskant, lebenswichtig: Salz ist für unsere Ernährung Fluch und Segen zugleich. Bildrechte: imago images/ Panthermedia

Lebensmittel Dresdner Forscher: "Süßstoffe sind aus chemischer Perspektive Salze"

05. Mai 2023, 16:51 Uhr

Alle reden über Zucker, doch auch Salz steckt in vielen Lebensmitteln, in denen wir es nicht vermuten. Warum Salz essentiell ist und dennoch die Gesundheit tausender Menschen bedroht, erklärt Lebensmittelchemiker Thomas Henle von der TU Dresden im Gespräch mit MDR WISSEN.

Professor Henle, warum ist eigentlich Salz in unseren Süßstoffen?

Wir verstehen im Volksmund unter "Salz" meist das gewöhnliche Kochsalz, also Natriumchlorid. Doch Süßstoffe sind aus chemischer Perspektive auch Salze. Sie bestehen aus Kationen und Anionen. Für die Nährwertkennzeichung wird der Natriumgehalt im Süßstoff für Kochsalz hochgerechnet, um so den Beitrag von Süßstoffen für die Natriumzufuhr abschätzen zu können. Das ist alles. Ein bisschen kompliziert.

Thomas Henle, Professor für Lebensmitteltechnologie TU Dresden
Thomas Henle ist Professor für Lebensmittelchemie an der TU Dresden und Editor-in-Chief der Fachzeitschrift "European Food Research and Technology“. Bildrechte: Thomas Henle

Die Angaben von NaCl stehen also nur für den Verbraucher auf dem Süßstoff?

Streng genommen ja. Den Konsumenten soll ermöglicht werden, zu sehen, wie viel Salz, das heißt eigentlich ja Natrium, sie insgesamt täglich aufnehmen. Tatsächlich spielt die Natriummenge, die man über Süßstoff aufnimmt, keine sehr große Rolle. Relevant wird es nur dann, wenn wir darüber sprechen, wie viel Salz insgesamt und eventuell zu viel aufgenommen wird.

Finger halten kleine weißeTablette über Kaffeetasse, daneben Dose mit Aufschrift "Süßstoff"
Süßstoffe sind chemisch gesehen eigentlich Salze. Damit sie für Verbraucher vergleichbar bleiben, finden sich dort deswegen in den dazugehörigen Nährwerttabellen Angaben zu Natriumchlorid. Bildrechte: IMAGO / teutopress

Wir konsumieren zu viel Salz?

Ja. Wir Deutschen essen im Schnitt von allem zu viel: Zu viel Fett, zu viel Zucker und eben auch zu viel Salz.

Salze sind doch wichtig für den Körper …

Ja, natürlich. Der Körper muss Salze aufnehmen, Elektrolyte sind essenziell. Die Zellen brauchen Salz, um Körperflüssigkeiten zu regulieren und auch die Nieren sind darauf angewiesen. Auf die Zufuhr von Salz vollständig zu verzichten kann im Extremfall sogar lebensbedrohend werden. Allerdings tendieren wir dazu, mehr Salz aufzunehmen, als wir brauchen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt sechs Gramm Salz am Tag, für das Funktionieren des Körpers brauchen wir mindestens ein bis zwei Gramm Salz täglich. Nach Verzehrstudien des Bundesministeriums für Ernährung nehmen jedoch Frauen etwa acht bis neun Gramm Salz am Tag sowie Männer sogar über zehn Gramm Salz täglich zu sich.

Warum ist das gefährlich?

Zu viel Salz kann zu Bluthochdruck und damit zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen, die wiederum zu den häufigsten Todesursachen in Industrieländern gehören. In Studien wurde nachgewiesen, dass der Konsum ab zwölf Gramm Salz pro Tag definitiv in Zusammenhang mit diesen Erkrankungen stehen kann. Vorsichtig formuliert: Wir essen mehr Salz als empfohlen wird und sollten dies reduzieren. Bluthochdruckpatienten würde ich sogar dringend empfehlen, ihren Salzkonsum zu prüfen und zu minimieren.

Es gibt sehr viele Bluthochdruckpatienten, fast jeder dritte Erwachsen hat zu hohen Blutdruck!

Ja, genau. Deswegen hat das Bundesernährungsministerium eine Reduktionsstrategie für Zucker, Fett und Salz verabschiedet. Unternehmen der Lebensmittelindustrie einigten sich darauf, den Salzgehalt in Lebensmitteln bis 2025 maßgeblich zu verringern. Sie erklärten sich freiwillig bereit, ihre Rezepte zu überarbeiten. 

Glauben Sie daran?

Die Zeichen stehen gut, doch es wird eine Herausforderung. Die Produkte sollen auch schmecken, Salz ist ja ein Geschmackträger. Die Verbraucher müssen langsamer an weniger Salz gewöhnt werden. Das ist schwer und gelingt nur zusammen. Ernährungsgewohnheiten umzustellen dauert einige Zeit, doch das Ernährungsministerium und auch die Industrie sind sich der Problematik bewusst. Letztlich hat keine Lebensmittelkette etwas davon, wenn die Kunden an Herzinfarkt oder Schlaganfall wegsterben.

Von welchen Produkten sprechen Sie?

Brot enthält große Mengen von Salz. Deutsches Brot ist die Hauptquelle von Salz – in 100 Gramm finden sie 1,5 Prozent Salz. Die zweite stark gesalzene Produktgruppe sind Fleisch und Wurstwaren. Die hohen Salzgehalte betreffen übrigens auch vegane Ersatzprodukte. Drittens enthalten Fertiggerichte viel Salz, deren Rezepte sollen ebenfalls bis 2025 überarbeitet werden.

Salz als Problemkind – viele Länder haben größere Probleme.

Sagen Sie das nicht. Deutschland gehört zu den dicksten Ländern der Welt. In nur wenigen Ländern sind Übergewicht und Adipositas – oft verbunden mit zu viel Fett, Salz und Zucker – stärker ausgeprägt als in Deutschland.

Doch nicht in den USA?

Die USA haben mehr schwer adipöse Menschen, doch steht Deutschland hier kaum nach. Übergewicht ist ein Problem in allen Industrieländern, doch in manchen ist es besonders groß. Wie sich Ernährung und Gewicht der Bevölkerung ändern, sehen Sie ziemlich gut an Ländern an der Schwelle zu Industrieländern. Hier explodieren die Adipositas-Zahlen.

Übergewichtiger Mann schneidet Gemüse in einer Küche. 3 min
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3 min

MDR AKTUELL Mo 07.09.2020 09:16Uhr 02:50 min

https://www.mdr.de/wissen/audios/uebergewichtigkeit-wird-unterschaetzt100.html

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In welchen Lebensmitteln finden wir versteckte Salze?

Salz spielt in der Lebensmittelproduktion eine zentrale Rolle, sowohl als Geschmacksträger sowie zur Haltbarmachung. Ich bin vorsichtig bei der Formulierung "versteckte Salze". Die Salzgehalte sind in den Nährwerttabellen der Produkte genau angegeben. Insofern würde ich eher von "unerwarteten Salzen" sprechen. Diese finden sie neben Brot- und Backwaren in vielen Gemüse-Konserven, doch auch in Käse, vor allem in Feta- und Hartkäse. Alles, was würzig und deftig schmeckt, enthält auch viel Salz. Wenig Salz finden Sie in Gemüse und Obst. Dafür haben Sie im Obst wieder viel Zucker. Ein Glas Apfelsaft enthält so viel Zucker wie ein Glas Cola.

Vielschichtig. Auf alle Fälle ist weniger mehr?

Bei uns in den Industrieländern. Die Lebensmittelchemie hat mit zwei riesigen Herausforderungen weltweit zu kämpfen. Einerseitsdas Problem Übergewicht und die damit zusammenhängenden gesundheitlichen Konsequenzen.. Andererseits müssen aber immer noch viele Menschen in ärmeren Ländern hungern. Hinzu kommen die steigende Weltbevölkerung und der Klimawandel. Die Nahrungsmittelproduktion trägt einen großen Anteil bei der Entstehung von Klimagasen. Um in Zukunft alle Menschen zu ernähren, müssen wir nicht nur die Produktionsweisen hinterfragen, sondern auch intensiv zu neuen Nahrungsmittel-Quellen forschen.

Meinen Sie Insekten?

Beispielsweise Insekten. Sie liefern Proteine, die eine bis zu dreifach höhere biologische Wertigkeit besitzen als etwa Getreideproteine. Eiweiß ist der limitierende Faktor, denn die Menge der Fleischerzeugung ist begrenzt. Wir können nicht mehr so viele Anbauflächen für Tiernahrung verwenden, hinzu kommen die moralisch-ethischen Fragen zur artgerechten Haltung.

Was ist Ihre Idee?

Wir an der TU Dresden forschen beispielsweise zu Mehlwürmern. Sie sind klein, können aber in großen Mengen gezüchtet werden. Sie eignen sich als Nahrung für uns, aber auch als Tierfutter. Zudem ist ihre Haltung einfacher und verbraucht viel weniger Platz. Der Nährwert ist in etwa so hoch wie bei Hühnerfleisch.

Mehlwürmer können also eine Alternative sein?

Das werden die weiteren Forschungen zeigen. Doch grundsätzlich wäre es empfehlenswert, den eigenen Fleischkonsum zu hinterfragen und zurückzuschrauben. Dies bedeutet definitiv nicht, dass alle Vegetarier oder gar Veganer werden müssen. Vielleicht reicht auch einfach eine Rückbesinnung auf die Zeit, in der es nur ein bis zwei Mal die Woche Fleisch gab. Also weniger das tägliche Billigfleischprodukt, und dafür ab und zu hochwertiges Fleisch. Das würde übrigens auch mithelfen, das Salzproblem lösen, um den Bogen zum Ausgangspunkt zu spannen. Ich würde mir grundsätzlich wünschen, dass wir wieder lernen, unsere Lebensmittel generell wertzuschätzen. Wir sollten mehr Respekt haben, vor unseren Nahrungsmitteln, vor deren Erzeugung und auch der Herstellung.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Hörer machen Programm | 02. Mai 2023 | 08:20 Uhr