Phlegräische Felder Europas Supervulkan brodelt so stark wie lange nicht

22. Mai 2024, 10:18 Uhr

Die Phlegräischen Felder sind derzeit noch aktiver als im vergangenen Herbst. Hunderte Male hat westlich von Neapel in April und Mai schon die Erde gebebt, und auch die Anhebung der Erdschichten geht schneller vonstatten als gewöhnlich. Die Angst der Bewohner wächst, dass ein verheerender Ausbruch nicht mehr lange auf sich warten lässt.

Mann mit Brille und Kopfhörern vor einem Mikrofon
Bildrechte: Robert Rönsch

Es brodelt gerade mehrmals täglich westlich von Neapel. Von den Hunderten in den Phlegräischen Feldern (italienisch: "Campi Flegrei") in April und Mai registrierten kleinen und mittleren Erdbeben hatten 295 eine Magnitude von mindestens 1,0. Und 60 davon kamen sogar auf 2,0 und mehr. Ein vorläufiger neuer Höhepunkt wurde am Pfingstmontag erreicht, da hatte das stärkste Beben eine Magnitude von 4,4 – der schwerste Erdstoß in den Phlegräischen Feldern seit 40 Jahren.

Dem starken Beben am Montag um 20:10 Uhr folgten in den drei Stunden danach noch drei weitere mit Magnituden von 3,9, 3,1 und 3,6. Am Mittwochmorgen (22. Mai) um halb neun folgte ein neuerliches Beben mit Stärke 3,6. Nun könnte man meinen, das ständige Rumoren unter so einem Supervulkan-Riesenkrater sei nicht ungewöhnlich. Und auf Tausende Jahre Erdgeschichte gerechnet, stimmt das bei den Phlegräischen Feldern auch. Aber in jüngerer Vergangenheit hat es dort so viele Beben binnen kurzer Zeit nicht gegeben.

Von August bis Oktober 2023 gab es zwar schon mal eine Phase mit starken Erschütterungen, aber es waren nicht so viele in einem Monat, und danach beruhigten sich die Campi Flegrei auch wieder. Jetzt hat die Aktivität einen neuen Höhepunkt erreicht.

Phlegräische Felder: Letzter Ausbruch liegt fast 500 Jahre zurück

Die Campi Flegrei sind kein gewöhnlicher kegelförmiger Vulkan über der Erde, sondern ein riesiges Vulkanfeld. Dessen Fläche ist mehr als 200 Quadratkilometer groß, und der Krater ist eine sogenannte Caldera.

Sie besteht aus einem zentralen Bereich, der bei einem großen früheren Ausbruch etwa 1.500 Meter in die Tiefe kollabiert ist, und aus einer äußeren Zone, die kaum halb so tief eingesunken ist. Zu zwei Dritteln liegt die Caldera unter dem Wasser des Mittelmeers.

Grafik zu Eruption des Monte Nuovo, 1538
Zeitgenössische Darstellung des Ausbruchs auf den Phlegräischen Feldern mit der Bildung des Monte Nuovo 1538 Bildrechte: IMAGO / Gemini Collection

Unter der Caldera schlummert eine riesige Menge Magma, das ist klar. Zuletzt wurde es 1538 auf die Erde geschleudert. Bei diesem letzten Ausbruch hat sich "aus dem Nichts" und binnen nur 24 Stunden der 140 Meter hohe Monte Nuovo ("Neuer Berg") westlich vom Zentrum Pozzuolis gebildet.

Insgesamt dauerte die Eruption acht Tage, aber gehörte trotzdem zu den eher kleineren Ausbrüchen auf den Phlegräischen Feldern in der Historie. Außer in der Stadt Pozzuoli, wo etwa 90 Prozent der Gebäude zerstört oder beschädigt wurden, kam es nur zu recht wenigen Schäden, auch weil die meisten Einwohner die Anzeichen für den Ausbruch richtig gedeutet und sich rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatten.

Phlegräische Felder: Was geschieht, wenn Europas Supervulkan ausbricht?

Bei einem neuerlichen Ausbruch kann das Ausmaß anders und deutlich schlimmer sein. Das ist nicht sicher, aber möglich. Zwei Filme, die das thematisieren und in 3D-Animationen verheerende Auswirkungen zeigen, wo nicht nur die Hafenstadt Pozzuoli, sondern auch die nicht weit entfernte 900.000-Einwohner-Metropole Neapel von Magma, Staub und Gestein bedeckt wird, haben in Italien für viel Aufsehen gesorgt.

Zum einen war das eine Dokumentation des (italienischsprachigen) Schweizer Fernsehens und zum anderen ein Youtube-Film des beliebten Kanals Geopop, der fast zwei Millionen Abonnenten hat. Dieser Film wurde schon mehr als eine Million Mal angeschaut. Ein Zeichen, dass die Phlegräischen Felder gerade vielen Menschen Sorgen bereiten.

Und tatsächlich weiß niemand genau, was geschieht, wenn es geschieht. Wird nur der Süden Italiens von den Auswirkungen betroffen sein? Oder große Teile des Mittelmeerraums? Oder sogar große Teile Europas oder der Welt? Supervulkane haben das Zeug dazu.

Das Nationale Geophysikalische und Vulkanologische Institut Italiens (INGV) sieht aber keine Anzeichen für einen unmittelbar bevorstehenden Ausbruch, geschweige denn für einen riesigen, wie er sich zuletzt vor 15.000 Jahren ereignet hat. Stärkere Erdbeben als zuletzt seien allerdings in näherer Zukunft möglich, heißt es.

Woher kommt der Optimismus, dass ein Ausbruch nicht unmittelbar bevorsteht?

Ohne Vergleichswerte klingen die Zahlen, die das INGV wöchentlich an jedem Donnerstag veröffentlicht, recht beunruhigend. Nicht nur die Zahl der Erdbeben hat spürbar zugenommen, sondern auch die Hebung der Erdschichten. Bei der am stärksten davon betroffenen Messstation östlich des Hafens von Pozzuoli, hob sich die Erde von Januar bis Anfang April um etwa einen Zentimeter pro Monat an, und zuletzt waren es sogar zwei Zentimeter in nur 15 Tagen, also die vierfache Geschwindigkeit.

Dennoch kam das INGV in einem Wochenbericht Ende April zu der Einschätzung, es gebe "keine Anhaltspunkte, die auf signifikante kurzfristige Entwicklungen hindeuten", sprich: Ein Ausbruch steht nicht unmittelbar bevor. Zum einen liegt das an den geochemischen Parametern. Die Temperatur des hydrothermalen Systems unter der Erde war recht konstant, auch die Kohlendioxid-Messungen zeigten keine Auffälligkeiten.

Ein Erdbeben in Neapel.
Aus den Phlegräischen Feldern tritt regelmäßig heißer Dampf aus. Bildrechte: IMAGO / Independent Photo Agency Int.

Und zum anderen spricht auch die Art der derzeitigen Beben und Hebungen nicht für einen Vulkanausbruch, wie die renommierte Vulkanforscherin Eleonora Rivalta vom Geoforschungszentrum Potsdam im Gespräch mit dem Deutschlandfunk erläuterte. Wenn es Magma wäre, das da aufsteige und die Erde anhebe, dann müsste es im Untergrund einen "vulkanischen Gang" geben, einen Aufstiegskanal für das Magma. Die Erdbeben würden sich dann aber in einer viel kleineren Zone konzentrieren – und nicht wie jetzt über die ganze Caldera verteilt.

"Wir glauben, dass die Hebungen kein Zeichen dafür sind, dass in irgendeiner Form Magma aufsteigt", sagt Rivalta. "Diese aktuellen Erdbeben sind ein Zeichen dafür, dass sich das Hydrothermalsystem in der Caldera ausdehnt, also das schwammartige Gestein über der Magma-Kammer." Gefährlich kann das natürlich trotzdem sein, weil schwerere Erdbeben wahrscheinlicher werden und auch unkontrollierbare Eruptionen von sehr heißem Dampf möglich sind.

Phlegräische Felder: Alle hoffen auf genügend Vorwarnzeit bei einem Ausbruch

In der Wissenschaft ist man sich relativ sicher, dass die Vorzeichen eines unmittelbar bevorstehenden Ausbruchs des Supervulkans anders wären als die, die man gerade beobachten kann. Konzentriertere und stärkere Erdbeben zum Beispiel. Auch die Anhebung der Erde würde dann wahrscheinlich noch viel dramatischer verlaufen.

So wie 1538 zum Beispiel, als sich der Boden dort, wo die Eruption geschah, vorher um 19 Meter angehoben haben soll. Zum Vergleich: Seit 2016 hat sich in der Bucht von Pozzuoli der Boden um 80 Zentimeter gehoben. Seit den 1950er-Jahren, als die aktuelle Hebungsphase begann, sind es aber immerhin schon vier Meter Gesamthebung.

Ein Finger deutet auf einen Monitor
Zentrale des Nationalen Geophysikalischen und Vulkanologischen Instituts Italiens: Hier wird die Anhebung der Erde in den Phlegräischen Feldern mit Hilfe von 35 Messstationen an Land und im Meer genau verfolgt. Bildrechte: IMAGO/Flash Press Agency

Die ersten spürbaren Schwarmbeben in der Region vor dem Ausbruch 1538 hatte es mehr als 60 Jahre zuvor gegeben. Zwei sehr schwere Erdbeben folgten 33 und 30 Jahre vor dem Ausbruch. Besonders stark wurden die Erdstöße und Gasaustritte dann in den letzten zwei Jahren vor der Eruption. Und in den letzten acht Tagen wackelte der Boden in Pozzuoli nach zeitgenössischen Berichten ständig, in Neapel wurden täglich fünf bis zehn Erdbeben wahrgenommen.

Dass auch solche Vorwarnzeichen extreme Schäden hervorrufen können, ist klar. Aber zumindest bliebe bei einem solchen Szenario relativ viel Zeit für Evakuierungen und andere Vorbereitungen bis zur tatsächlichen Eruption.

Anmerkung der Redaktion. Wir haben diesen Artikel, der ursprünglich von Ende April 2024 stammt, und die interaktiven Grafiken am 22. Mai 2024 aktualisiert.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 21. Mai 2024 | 19:36 Uhr

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