eine Wortcollage
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Onlinestudie Schlecht für gute Nachrichten: Negative Wörter bringen mehr Klicks

22. März 2023, 13:18 Uhr

Sie haben auf diesen Artikel geklickt? Nun ja, statistisch gesehen war das schon fast klar. Oder zumindest recht wahrscheinlich – denn: Wir haben ein negativ konnotiertes Wort in die Überschrift eingeschleust. Eine aktuelle Studie unter Beteiligung der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) zeigt, dass Online-Artikel signifikant mehr Klicks erhalten, wenn die Titel negativer sind. Harte Zeiten für gute Nachrichten!

"If it bleeds, it leads" – besagt eine alte Journalistenweisheit. Besonders negative, blutige Headlines galten in der Print-Ära nämlich meist als Garant für eine besonders hohe Auflage. Analog dazu gibt es aus wissenschaftlicher Perspektive bereits seit den 1960ern die Nachrichtenwerttheorie, die grob besagt: Wenn ein Ereignis besonders negativ ist, wird es in der Berichterstattung eher hervorgehoben – "only bad news are good news".

Das Altpapier am 20. Februar 2023: Porträt des Altpapier-Autoren René Martens
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Autor René Martens kommentiert im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Negative Überschrift = signifikant mehr Klicks

Diese Annahmen wurzelten ursprünglich allerdings immer in der Perspektive der "Creators", sprich der Journalistinnen und Journalisten, betont Stefan Feuerriegel. Wichtig sei in diesem Zusammenhang aber auch, die Perspektive der Lesenden zu berücksichtigen. Feuerriegel, Leiter des Instituts für Künstliche Intelligenz (KI) im Management an der LMU, hat mit seinem Team eine aktuelle Studie zum Thema veröffentlicht. Das Ergebnis der Forschenden: Negativ konnotierte Worte in einer Überschrift sorgen tatsächlich dafür, dass der entsprechende Artikel signifikant häufiger von den Leserinnen und Lesern angeklickt wird.

Mich hat überrascht, wie simpel es ist.

Prof. Stefan Feuerriegel | LMU

"Uns hat eigentlich nicht überrascht, dass die Menschen auf Negativität reagieren – was mich überrascht hat, war eher wie simpel es ist", sagt Feuerriegel. Schon eine sehr kleine Änderung, ein einzelnes negatives Wort könne die Klickzahlen um über zwei Prozent steigern. Und das kann die Reichweite eines ganzen Portals beeinflussen. Für die aktuelle Studie, die im Magazin Nature veröffentlicht wurde, untersuchten Feuerriegel und seine Mitforschenden den Zusammenhang zwischen Veränderungen an den Überschriften und den Klickzahlen auf dem Newsportal "Upworthy".

Ein junger Mann blickt zentral in die Kamera
Prof. Stefan Feuerriegel forscht am Institute of Artificial Intelligence (AI) in Management der Ludwig-Maximilians-Universität München Bildrechte: LMU München

Daten aus dem Portal "Upworthy" nachgenutzt

Das Portal wurde 2013 zu einer der am schnellsten wachsenden Unterhaltungswebsites und wollte seinen Lesenden positive Geschichten in der Welt der sonst so dunklen News anbieten. Um die erhofften hohen Klickzahlen zu erreichen, probierten die Journalistinnen und Journalisten hinter Upworthy jeweils bis zu 20 verschiedene Headlines pro Artikel aus. Nachdem die erhofften Klick-Erfolge längerfristig ausblieben, stellten die Betreibenden die Daten aus dem Portal dem Forschungsteam um Stefan Feuerriegel zur Verfügung.

Die Daten von Upworthy zeigen, dass bereits ein einziges negatives Buzzword in der Überschrift die Klickrate deutlich steigern konnte: Bei einer Überschrift mit durchschnittlicher Länge erhöhte jedes weitere negative Wort die Klickrate um 2,3 Prozent. Dabei ging es in der Studie keineswegs um heftige Worte mit Schock-Wirkung. Es waren einfache Vokabeln wie "wrong", "bad" oder "awful" (dt. falsch, schlecht, abscheulich). Das sei durchaus eine kleine Ironie, findet Feuerriegel – immerhin hatte das Portal es ja ursprünglich zum Ziel gehabt, positive Geschichten zu teilen. Positive Worte wie "love", "pretty" oder "beautiful" animierten die Lesenden dagegen nicht so sehr.

Die Klickrate In dieser Studie wurde Klickrate jeweils anteilig an der Zahl der Impressions gemessen. Also: Wie viele Leute, die die entsprechende Überschrift gesehen haben, haben sie auch angeklickt. Beim Portal Upworthy lag diese sogenannte click-through-rate zwischen Null und 15 Prozent.

Je nach Überschrift doppelt so viele Klicks

"Je nachdem, wie sie die Überschrift zählen, können Sie dann mitunter doppelt so viele Klicks haben", resümiert Feuerriegel. Das Besondere an seiner Studie sei, dass man über knapp 22.000 Experimente verfolgen könne und in diesem Fall, weil lediglich die Überschrift verändert wurde, tatsächlich auch sicher sein könne, dass die unterschiedlichen Zugriffsraten wirklich direkt auf die neuen Titel zurückzuführen seien.

Negative Headlines nicht strategisch nutzen

Spannend sind diese Ergebnisse mit Sicherheit auch für Journalistinnen und Journalisten – man sollte im Hinterkopf behalten, dass Upworthy keine klassische Nachrichtenseite war und ist, sondern vielleicht besser als "Clickbait"-Portal eingestuft werden sollte, aber es liegt zumindest nahe, dass die entsprechenden Mechanismen auch auf Newswebsites wie dieser hier nicht ganz wirkungslos sind. Stefan Feuerriegel empfiehlt den Medien allerdings: Nicht bedingungslos an der Praxis der negativen Schlagzeilen teilzunehmen. "Ich persönlich finde, seriöse Medienhäuser sollten jetzt nicht strategisch negative Begriffe für ihre Berichte verwenden".

Links/Studien

Die aktuelle Studie im Journal Nature gibt es hier zum Nachlesen.

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Das Altpapier am 14. Februar 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Autor Klaus Raab kommentiert im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
Das Altpapier am 21. Februar 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 28. Februar 2023 | 13:00 Uhr

Bildcollage mit dem Titel des Beitrags und den Protagonisten Benjamin Bigl und Alexander Sängerlaub. Diverse Medien werden stilisiert angedeutet. 11 min
Bildrechte: MDR MEDIEN360G / Fotos: Swen Reichhold (B. Bigl), Florian Görner (A. Sängerlaub)
11 min

Neben den Grundkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen wird eine weitere Kompetenz immer wichtiger: Die Medienkompetenz. Aber was bedeutet das eigentlich?

11:29 min

https://www.mdr.de/medien360g/medienwissen/medienkompetenz-wie-wenig-deutsche-ueber-medien-und-journalismus-wissen-100.html

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Zwei stilisierte Menschen auf gelben Grund. Eine Figur hat ein Headset auf und telefoniert darüber mit der zweiten Figur. Die Figur mit Headset befragt die Figur mit dem Telefon zu ihren Hörtgewohnheiten im Radio. Auf der Grafik steht der Titel des Videos: Reichweite - So messen die Medien. 2 min
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2 min

Alle Medienarten wollen wissen, wie sie genutzt werden. Doch bei den Methoden, mit denen die mediale Reichweite gemessen wird, gibt es große Unterschiede.

Do 01.04.2021 08:00Uhr 01:37 min

https://www.mdr.de/medien360g/medienwissen/so-messen-medien-reichweite-100.html

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2 min

Mo 23.01.2023 10:03Uhr 01:34 min

https://www.mdr.de/unternehmen/kommunikation/pressevorfuehrraum/saal/video-690566.html

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Stilisierte Grafik eines Reporters mit großer Kameraausrüstung. Im Hintergrund befinden sich zwei Fotos. Auf dem linken Foto ist Pablo Iglesias an einem Rednerpult zu sehen, auf dem rechten Foto Boris Johnson zwischen vielen Journalisten. 12 min
Sie benötigen Skandale, Emotionen und reduzieren Inhalte auf wesentliche Aussagen. Populismus und Medien haben einige Gemeinsamkeiten. Sind sie ein Traumpaar? Bildrechte: MDR | MEDIEN360G