Wissen-News Babys lernen Sprache zuerst über den Rhythmus – und dann über die Laute

01. Dezember 2023, 17:01 Uhr

Eltern werden dazu angehalten, ihren Kindern möglichst früh vorzusingen und mit ihnen zu sprechen. Bislang war man davon ausgegangen, dass Kinder über die dabei geäußerten phonetischen Laute sprechen lernen. Eine aktuelle Studie stellt das infrage und legt nahe: Viel entscheidender ist der Sprechrhythmus.

Bislang war man davon ausgegangen, dass Babys bereits im Bauch der Mutter mit dem Spracherwerb beginnen, indem sie phonetische Informationen, also kleine Lautelemente, verarbeiten. Das hilft ihnen später beim Spracherwerb, so die Annahme. Eine aktuelle Studie stellt das infrage und kommt zu dem Ergebnis, dass vielmehr rhythmische Informationen entscheidend sind, wenn es um den Spracherwerb in den ersten Monaten geht.

Gehirnaktivität von Säuglingen aufgezeichnet

Die Forschenden zeichneten Muster der elektrischen Gehirnaktivität bei 50 Säuglingen im Alter von vier, sieben, und elf Monaten auf. Die Babys sahen sich ein Video einer Grundschullehrerin an, die einem Säugling 18 Kinderreime vorsang. Dabei fanden sie heraus, dass die phonetische Kodierung bei Babys sich erst im Laufe des ersten Lebensjahres allmählich herausbildete. Die erste Laute dieser Art, die Kinder erfassen können, sind Labiallaute (beispielsweise "Papa") und nasale Laute (beispielsweise "Mama"). Auch im Alter von 11 Monaten, als die Babys ihre ersten Worte sagten, war die Verarbeitung phonetischer Laute noch schwach ausgeprägt.

Rhythmus kann schon ab zwei Monaten verarbeitet werden

Der Schlüssel zum Sprachenlernen sind nach Annahme von Studienleiterin Giovanni Di Liberto Kognitions- und Informatikwissenschaftlerin am Trinity College Dublin demnach vielmehr rhythmische Informationen, also die Betonung verschiedener Silben von Wörtern oder das Heben und Senken des Tonfalls. Diese werden nach Ergebnissen einer weiteren Studie von Di Liberto schon im Alter von zwei Monaten verarbeitet. Sie erklärt: "Säuglinge können rhythmische Informationen wie ein Gerüst oder ein Skelett verwenden, um phonetische Informationen hinzuzufügen. Zum Beispiel könnten sie lernen, dass das Rhythmusmuster von englischen Wörtern typischerweise stark-schwach ist, wie in "daddy" oder "mummy", wobei die Betonung auf der ersten Silbe liegt. Sie können dieses Rhythmusmuster verwenden, um zu erraten, wo ein Wort aufhört und ein anderes beginnt, wenn sie natürliche Sprache hören."

Phonetische Laute sind möglicherweise nicht die wichtigste Grundlage unserer Sprache

Die Ergebnisse könnten einen Unterschied machen, wenn es darum geht herauszufinden, warum manche Kinder an Legasthenie oder Sprachentwicklungsstörungen leiden. Möglicherweise könnten auch diese Probleme ihren Ursprung im Rhythmus haben und nicht in einzelnen Lauten. Die Studie ist auch deshalb spannend, weil viele Linguisten davon ausgehen, dass phonetische Laute die Grundlage unserer Sprache sind. Die aktuelle Studie deutet nun darauf hin, dass Rhythmus eine viel entscheidendere Rolle spielen könnte.  

Links/Studien

Die Studie Emergence of the cortical encoding of phonetic features in the first year of life ist im Journal Nature Communications erschienen und kann hier nachgelesen werden.

iz

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