Elektroauto beim Laden
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Mobilität Verkehrswende: "Worauf warten wir? Denkt ihr, dass es billiger wird?"

21. Mai 2024, 17:02 Uhr

Fachleute haben über eine neue Studie diskutiert, laut der es für Deutschland billiger ist, schnell mit der Verkehrswende zu beginnen, statt noch weitere Jahre zu warten. Einhellige Meinung: Die Studie kommt genau zur richtigen Zeit. Die Politik müsse so schnell wie möglich handeln.

Mann mit Brille und Kopfhörern vor einem Mikrofon
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Schnell mit der Verkehrswende zu beginnen, kostet die deutsche Volkswirtschaft weniger, als die Wende erst später einzuleiten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der "Agora Verkehrswende", einer Denkfabrik, die den Klimaschutz im Verkehrssektor als oberstes Ziel ausgibt und analog zur "Agora Energiewende" nach Lösungen sucht, die mehrheitsfähig sind.

Die Voraussetzung ist klar: Spätestens 2045 soll der deutsche Verkehr klimaneutral sein. Verglichen wurden in der Studie dann drei Szenarien. Szenario eins lautet "weiter so", das heißt, alles läuft bis 2045 so weiter, wie es bislang gesetzlich geregelt und geplant ist. Szenario zwei setzt voraus, dass schon ab 2025 die Verkehrswende mit starkem Umbau und vielen Investitionen eingeleitet wird. Bei Szenario drei startet diese Wende erst 2030, also fünf Jahre später, kommt aber dennoch bis 2045 erfolgreich zum Ziel.

Endergebnis der vielen Teilrechnungen, die das Analyse- und Beratungsunternehmen Prognos für Agora Verkehrswende gemacht hat: Frühe Investitionen (ab 2025) sorgen dafür, dass die deutsche Volkswirtschaft schon ab 2032 alljährlich weniger Geld ausgeben muss als im Referenzszenario "weiter so". Und die Ausgaben wären um ein Vielfaches geringer, als wenn man erst fünf Jahre später startet.

Die relativ hohen Anfangsinvestitionen im Szenario "Wende 2025" würden sich demnach schon vor 2045 amortisieren. Insgesamt wäre das Szenario "Wende 2025" auf lange Sicht 60 Milliarden Euro billiger als ein "weiter so", wohingegen eine "Wende 2030" mehr als 500 Milliarden Euro teurer wäre.

Mobilitätswende: Stärkung von Bus und Bahn

Eine vierköpfige Expertenrunde diskutierte die Studie nach der Veröffentlichung. Darunter war Alexander Möller vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. Er sagt, die Studie komme genau zur rechten Zeit, weil sie den ÖPNV unterstütze, der sich gerade in einer gewaltigen Krise befinde.

"Die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs auf der Schiene und der Straße ist in einer Notstandssituation", sagt Möller. Durch 9-Euro- und Deutschland-Ticket gebe es viel zu wenige Einnahmen. "Auf der Einnahmenseite sind wir inzwischen zu 60 bis 70 Prozent abhängig von öffentlichem Geld, also nach Haushaltslage des Bundes. Und wenn man vom Finanzministerium abhängig ist, ist man bei einem unterpriorisierten Thema verloren."

Die Verkehrswende dürfe aber eben nicht mehr unterpriorisiert sein, auch aus Gerechtigkeitsgründen. Der durchschnittliche deutsche Haushalt gebe 350 Euro pro Monat für Mobilität aus, davon aber 80 bis 90 Prozent fürs Auto inklusive aller Nebenkosten, argumentiert Möller. "Das bringt einen Zwang, in Dinge zu investieren, die 23 Stunden am Tag rumstehen, nur damit ich irgendwie von A nach B komme, das ist zutiefst ungerecht. Und dagegen stellen wir eine ÖPNV-Daseinsvorsorge."

Verkehrswende: Das Elektroauto steht im Mittelpunkt

Den Zeitpunkt der Studienveröffentlichung findet auch Jens Burchardt von der Boston Cosulting Group gut. Er berät Unternehmen und öffentliche Einrichtungen zu Fragen, wie kohlenstoffarmes Wirtschaften funktionieren kann. Passend sei der Zeitpunkt, weil es laut Burchardt gerade keinen Sektor gebe, "in dem die Dringlichkeit von Emissionssenkungen und die empfundene Dringlichkeit in der Politik so weit auseinanderklaffen" wie eben beim Thema Verkehr. Rechnerisch sei völlig klar: "Wenn ich ein kumulatives Emissionsziel erreichen will, ist es immer billiger, früh anzufangen."

Die Zukunft dieser ganzen Industrie hängt an der Frage, ob sie auch in E-Mobilität führend wird.

Jens Burchardt, Managing Director Boston Cosulting Group

Für Burchardt steht fest, dass der wichtigste Hebel der Umstieg auf E-Mobilität ist: "Das Gelingen dieser Wende und vor allem der Elektrifizierung sollte eigentlich in Deutschland eine der wichtigsten industriepolitischen Prioritäten überhaupt sein."

Der deutsche Automobilsektor erwirtschafte fast fünf Prozent des Bruttoinlandprodukts. Und er tue das "mit einer Antriebstechnologie, die zukünftig irrelevant wird. Selbst wenn ich globale Prognosen herannehme, wird sich der Markt für Verbrenner bis 2035 mehr als halbieren", sagt Burchardt. "Das heißt, die Zukunft dieser ganzen Industrie hängt an der Frage, ob sie auch in E-Mobilität führend wird. Und das wird sie nur dann, wenn wir ihr hier einen sehr starken Heimatmarkt schaffen, also viel, viel schneller elektrifizieren, als wir das aktuell tun."

Und tatsächlich erleben E-Autos gerade alles andere als einen Boom. Beim Blick auf die monatlichen Neuzulassungen kann man bestenfalls von einer Stagnation, aber eher noch von einer Abwärtsbewegung sprechen.

Was die Unternehmen vor allem bräuchten, sei Nachfrage, sagt Burchardt. "Ich brauche mehr Menschen, die E-Autos kaufen. Die beiden Gründe, warum sie das heute nicht tun, sind einerseits Reichweitenangst, andererseits der höhere Anschaffungspreis." Genau da müsse die Regulierung ansetzen. "Ich muss Ladeinfrastruktur-Ausbau fördern, und ich muss Kaufanreize für E-Pkw setzen."

Jeder zweite von uns befragte Haushalt sagt, für mich spricht die Umweltbilanz gegen das Elektroauto. Und da haben wir wirklich ein Problem.

Daniel Römer, KfW Research

Einen dritten Grund, warum E-Autos nicht gekauft werden, liefert Daniel Römer von der Förderbank KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau). Diesen Grund habe eine Untersuchung der KfW zutage gebracht. "Jeder zweite von uns befragte Haushalt sagt, für mich spricht die Umweltbilanz gegen das Elektroauto. Und da haben wir wirklich ein Problem."

Denn es gebe ja viele Studien, die das widerlegen, aber offenbar dringen die nicht zu den Menschen. "Da kann man ja durchrechnen, ab wie vielen Tausend Kilometern Laufleistung ein Elektroauto klimafreundlicher ist", sagt Römer. "Aber das scheint ein Bauchgefühl zu sein, das die Menschen einfach nicht loslässt. Vielleicht ist da auch nochmal eine Image-Kampagne nötig."

Verkehrswende: Muss die Schuldenbremse aufgehoben werden?

Für eine schnelle Verkehrswende ist anfangs viel Geld nötig. In der Studie der Agora Verkehrswende wird nicht unterschieden, wer für die Ausgaben aufkommt: die öffentliche Hand, die (Privat-) Wirtschaft oder die Verbraucher. Aufgeschlüsselt wird hingegen nach Sektoren im Verkehrswesen.

Und Fakt ist, dass es zum Beispiel beim Ausbau von ÖPNV und Bahn-Infrastruktur ohne große staatliche Investitionen nicht gehen wird. Und dafür wird der Staat Kredite aufnehmen müssen, sagt Philippa Sigl-Glöckner. Sie ist Ökonomin, war früher fürs Finanzministerium tätig und hat die Denkfabrik "Dezernat Zukunft" gegründet. "Dass man ohne Kredite Bahninfrastruktur finanziert, das wäre ein historisches Novum, das hat noch kein Land geschafft", so Sigl-Glöckner.

Was ist aber mit Schuldenbremse und Grundgesetz? Kreditaufnahmen seien nicht so unmöglich, wie es oft dargestellt würde, sagt die Ökonomin. "Im Grundgesetz steht nämlich, entgegen der landläufigen Annahme, keine Kreditobergrenze drin. Im Grundgesetz steht drin, dass man sich jedes Jahr mit 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschulden darf – plus mehr oder weniger, je nachdem, wie die Wirtschaft läuft." Das sei die sogenannte Konjunkturkomponente.

Es wird nicht billiger. Worauf warten wir?

Philippa Sigl-Glöckner, Ökonomin "Dezernat Zukunft"

Sigl-Glöckner ist sich "ziemlich sicher, dass man, wenn der politische Wille da ist, da Geld herausbekommen kann." Schwierig sei bei der Konjunkturkomponente nur die fehlende Planbarkeit über längere Zeiträume, weshalb große Verkehrsinvestitionen eben doch wieder kompliziert würden. "Um das wirklich gut anzugehen, müssen wir eine Grundgesetzänderung machen", bilanziert Sigl-Glöckner, "aber wir sollten damit nicht warten."

Der Grund ergebe sich aus der neuen Studie genauso wie aus all ihren eigenen Arbeiten und Erfahrungen: "Es wird nicht billiger. Worauf warten wir?" Da man die nötigen Kapazitäten nicht irgendwann im Handumdrehen herzaubern könne, müsse man heute beginnen, sie aufzubauen. Was man die Politik immer wieder fragen müsse, fordert Philippa Sigl-Glöckner, "jedes Mal, wenn das Geld nicht bereitgestellt wurde: Denkt ihr, dass es billiger wird?"

Ein mit Containern voll belandenes Frachtschiff 53 min
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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 15. Mai 2024 | 06:21 Uhr

4 Kommentare

part vor 9 Wochen

Hallo MDR-Team,
ich bin ein Befürworter von Schwingstäben, die piezoelektrisch Strom erzeugen, nicht so monströs sind und weniger umweltschädlich wie die veralteten WKA. Neben dem Fundament gibt es zudem noch andere Umweltbelastungen durch diese Anlagen über Schwefel-Hexafluorid, kurz SF₆ oder Neodym oder die Verbrennung der GFK-Flügel in der Zementindustrie, wenn sie ausgedient haben. Mitunter werden die Flügel auch wie Restabfall verbuddelt nach einer Laufzeit von ca. 20 Jahren. Jedes Teil hat einen ökologischen Fingerabdruck, der mitunter sogar in Afrika entsteht und die heimische Umwelt nicht belastet. Das Positive an solchen Anlagen ist, das ehemalige Feldwege nun auch bei schlechtem Wetter befahrbar sind. Ich würde mich sehr freuen, wenn der MDR endlich einmal über die besseren Alternativen zu den jetzigen WKA berichten würde, vielleicht liest es dann auch ein Politiker?

MDR-Team vor 9 Wochen

Hallo part,
wo genau nehmen Sie denn ihre Zahlen her? Weder ist jeder Betonmischer gleich, noch die Fundamente der Windkraftanlagen. Der Durchmesser des Fundaments und damit die Menge an Beton ist abhängig von der Höhe der zu errichtenden Windenergieanlage. Es können durchaus 1.000 m3 Beton für ein Fundament benötigt werden. Doch der CO2-Fußabdrucks durch den Bau des Fundaments wird durch die CO2-Einsparung bei der Stromproduktion meist bereits im ersten Jahr kompensiert. Insgesamt spart eine Windkraftanlage über eine relativ kurze Laufzeit deutlich mehr CO2 ein, als bei seinem Bau verursacht wird.
▸ https://www.mdr.de/wissen/faktencheck/faktencheck-windraeder-108.html
Freundliche Grüße vom MDR-WISSEN-Team

part vor 9 Wochen

Hintergrundfakten zum Thema: Windräder

Heute mal etwas Mathematik für die Fachleute, so geht's mit dem angeblichen Ökostrom. 105 Säcke Zement passen in einen Betonmischer.
Bei 7.800 Fuhren, sind das dann... 819.000 Säcke Zement. Ein Sack hat einen CO2-Abdruck von 15 kg. Das macht dann insgesamt
12.285.000 kg CO2, nur für die Fundamente des Windparks.
Wie gesagt, da ist der Sprit, die Abnutzung der Fahrzeuge, des Waldes, die Bagger, die gefällten Bäume, getöteten Tiere, das Ständerwerk, Rotorblätter usw. alles noch gar nicht dabei, denn Fachleute denken oft zu einseitig. Dieses Land hatte einst eine günstige Energieversorgung, diese wurde gekappt. Alles auf Elektroenergie zu setzten, ist wie auf einen Sonnensturm wie 1859 zu warten. Besser langsam Planen und mit Vernunft als mit der Brechstange über das Volk herzufallen.

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